Journal21.ch will die Jungen vermehrt zu Wort kommen lassen. In der Rubrik „Jugend schreibt“ nehmen Schülerinnen und Schüler des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl regelmässig Stellung zu aktuellen Themen.
Jonathan Clivio wurde im Jahr 1999 geboren und besucht die fünfte Klasse im Realgymnasium Rämibühl in Zürich. Er interessiert sich für Politik, Theater und Mathematik. Im letzten Jahr erreichte er bei „Jugend debattiert“ die Regional-Halbfinals und im Känguru-Mathematikwettbewerb den dritten Platz der Deutschschweiz.
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Was trennt den Menschen vom Affen? Das Mittelmeer.
Das ist nicht rassistisch. Das ist nur witzig. Sie denken, mein Witz sei rassistisch, weil ich mich über Afrikaner lustig mache und sie als Affen bezeichne. Dann denken Sie nicht genug weit.
Auf das Risiko hin, dass ich wie ein verstaubter Podiumsredner am Albisgüetli klinge: Es war ein Witz. Ein Witz kreiert einen Kontext, der die Bedeutung einer Aussage radikal verändert. In einem Witz geht es um eine Verdrehung der Wirklichkeit, die man nicht erwartet. Mein Witz funktioniert nur, wenn mein Publikum nicht rassistisch ist. Die Verdrehung der Wirklichkeit kann nur stattfinden, wenn man Afrikaner nicht als Affen sieht. Ein eingefleischter Rassist würde den Witz gar nicht verstehen. Er würde ihn vielleicht gar nicht als Witz wahrnehmen, sondern vielmehr als eine interessante biologisch-geographische These. Sie haben natürlich trotzdem das Recht, nicht zu lachen, ohne ein Rassist zu sein.
Ich hoffe, wir sind jetzt einer Meinung, dass ich nicht zwingend ein Rassist bin, nur weil ich diesen Witz hier niederschreibe und laut lachen musste, als ich ihn das erste Mal hörte. Vielleicht finden Sie aber, dass der Witz zwar nicht rassistisch, aber zumindest sehr unangebracht war; Dass Rassismus und die Unterdrückung nicht-europäischer Ethnien Themen sind, über die man nicht scherzen dürfe. Aber ich bin da kein Asiat: Ich sehe das nicht so eng. Mir fällt tatsächlich kein Weg ein, wie ich als weisser Mitteleuropäer angebracht mit dieser Thematik umgehen kann, aber irgendwie muss ich es ja; Und nicht nur mit Rassismus, sondern auch mit Antisemitismus, Sexismus, Homophobie und so weiter. Das Feld der Diskriminierungen scheint unendlich. Ebenso zahlreich scheinen die Begriffe, die nicht akzeptabel und diskriminierend sind: Neger, Schwuchtel, Weib und Mohrenkopf.
Es ist keine Lösung, Wörter, die semantisch an Diskriminierung erinnern, einfach aus dem alltäglichen Sprachgebrauch zu verbannen. Sie haben jetzt vielleicht leer geschluckt, als Sie „Neger“ lasen: Doch genau dieses panische Political-Correctness-Getue ist schädlich. Weil die Devise herrscht, etwas lieber so zu formulieren, dass auch ja niemand nur den Anflug eines Grundes hat zu vermuten, dass irgendjemand sich womöglich irgendwie angegriffen fühlen könnte, genau darum haben wir jetzt diesen krankhaften Umgang mit der Thematik. Frei nach der Devise: „Lieber zweimal zensiert, als einmal wirklich reflektiert.“ Genau dieses Verhalten bietet Rassisten eine Bühne, die ihnen in keinster Weise zusteht.
Weil man aus Angst, jemanden zu verletzen, nicht mehr über Rassismus spricht, weil man es aus Anstand nicht mehr wagt, einen Witz zu reissen, der sexistisch interpretiert werden könnte, weil man Worte, die mit Antisemitismus oder einer sonstigen Form von Diskriminierung in Verbindung gebracht werden, immer verschluckt, noch bevor man sie richtig zu Ende gedacht hat, kreiert man ein Vakuum. Genau dieses Vakuum wird dann von minderbemittelten Figuren gefüllt, denen es scheissegal ist, ob sie unanständig, verletzend oder diskriminierend sind: Und so können sich schwerreiche, rassistische Reaktionäre als grosse Revolutionäre darstellen, die für die Meinungsfreiheit kämpfen. Die übertriebene Panik davor, rassistisch zu wirken, hat paradoxerweise dazu geführt, dass Rassisten wieder Platz im Mainstream haben, weil sie nun behaupten können, mit ihrem ekligen Gedankenmüll für Meinungsfreiheit zu kämpfen.
Das krankhafte Verhältnis zu Rassismus hat die Vernunft in einen Zweifrontenkrieg gebracht. Ich muss den Kopf schütteln, wenn ich davon höre, dass ein Nationalrat zurücktreten muss, weil er einen misslungenen Vergleich zwischen Tierquälerei und dem Holocaust machte. Ich muss aber auch kotzen, wenn ich ein Plakat der SVP sehe, das offensichtlich auf die rassistischen Ängste ihrer Wähler abzielt. Sie können dann jegliche berechtigte Kritik als hyperkorrekte Panikmache abtun.
Ich bin überzeugt, dass wir fähig sind, Unterdrückung von Meinungsfreiheit und Zensur von Schutz vor Unterdrückung zu unterscheiden. Das Problem ist einfach, dass es keine Lösungen gibt, die einen einfachen Ausweg bieten.
Auf der Suche nach solchen Lösungen kommen die absurdesten Vorschläge zustande. So forderte zum Beispiel ein Artikel in der „Zeit“, dass wir jede sexuelle Aktion zuvor vertraglich regeln. Mit meinen achtzehn Jahren strotze ich zwar noch nicht gerade vor sexueller Erfahrung, aber dass ein Vertrag kein geiles Vorspiel ist, kann ich garantieren.
Wenn man immer zuerst Paragraphen reiten muss, ehe man seinen Partner besteigen kann, dann fühlen sich die Menschen eingeengt. Und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis wieder ein Schwein wie Weinstein in Erscheinung tritt, um sich als sexueller Befreier feiern zu lassen: Der zu radikale Kampf gibt dem Problem selbst eine Plattform.
Ich versuche, zum Abschluss dieses Artikels ein nettes Fazit zu geben, an das Sie sich halten können, damit Sie kein krankhaftes Verhältnis zur Political-Correctness entwickeln. Leider ist dieses Fazit nicht ganz so einfach zu finden, weil ich keine der beiden extremen Thesen gutheissen kann. Meine Parole lautet weder: „Alles, was auch nur leicht nach Unterdrückung riecht, ist das absolute Böse“, noch lautet sie: „Sagt alles, was ihr sagen wollt; es ist auch in Ordnung, wenn ihr zur Vernichtung aller Juden aufruft.“ Mein Fazit ist die vernünftige Synthese der Mitte: „Seid einfach keine intoleranten Idioten! Das ist nämlich behindert.“
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Verantwortlich für die Betreuung der jungen Journalistinnen und Journalisten von „Jugend-schreibt“ ist der Deutsch- und Englischlehrer Remo Federer ([email protected])
Weitere Informationen zum Zürcher Realgymnasium Rämibühl unter www.rgzh.ch