Jahrzehntelang war er eine Unperson, die in Guatemalas Öffentlichkeit totgeschwiegen wurde. Und viele aus der herrschenden Elite des Landes sehen die Sache, für die er eintrat, heute noch als tödliche Gefahr. Doch dieses Jahr wurde die Mauer des Schweigens durchbrochen. Zu seinem 100. Geburtstag wurde In Reden und Konferenzen seiner gedacht, der Stadtrat seiner Geburtsstadt Quetzaltenango gab dem lokalen Flughafen sogar seinen Namen: Jacobo Árbenz Guzmán.
Die Zweifel
Der Sohn eines Schweizer Apothekers, der 1901 nach Guatemala emigriert war, später morphiumsüchtig wurde und sich das Leben nahm, hatte das unverzeihliche Verbrechen begangen, kommunistische Literatur gelesen zu haben und amerikanische Interessen zu stören. Ausgerechnet die Tochter eines Oligarchen aus El Salvador, seine spätere Frau María Vilanova, hatte in ihm das Interesse an den gefährlichen Schriften Karl Marx‘, Lenins und Stalins geweckt. Sie hatte ihm ein Exemplar des „Kommunistischen Manifests“, das sie von einem Frauenkongress mitbrachte, auf seinen Nachttisch gelegt.
Zunächst jedoch, als Kadett an der Escuela Politécnica, hatte er sich grossen Respekt beim Direktor und den Lehrern der von amerikanischen Offizieren geleiteten Schule verdient und war ein begeisterter Anhänger Franklin Delano Roosevelts. Er hatte in Fort San José in Guatemala-Stadt und später unter „einem Oberst, der Analphabet“ war, in einem entlegenen Dorf gedient, ehe er als Lehrer an die Militärakademie zurückkehrte. 1943 wurde er schliesslich zum Hauptmann befördert. In San José hatte er die Wachmannschaften kommandiert, die aneinander gekettete Häftlinge, darunter zahlreiche politische Gefangene, bei der Zwangsarbeit beaufsichtigten. Diese Erfahrung sollte seine Zweifel am herrschenden System wecken.
Ein „kleiner Napoleon“
Seit 1931 regierte General Jorge Ubico in Guatemala. Zwar hatte Ubico nach seiner Wahl einen „Marsch in die Zivilisation“ versprochen, doch dann militarisierte er Regierung, Behörden, Post, Schulen, sogar Symphonieorchester und errichtete eine der brutalsten Diktaturen Lateinamerikas. „Ich bin wie Hitler. Ich exekutiere zuerst und frage später“, prahlte er. Er führte eine Art Leibeigenschaft und Zwangsarbeit ein und erliess Gesetze, die es Landbesitzern erlaubten, als „Disziplinarmassnahme“ Arbeiter hinzurichten.
Gleichzeitig befreite er die Bostoner Bananenfirma United Fruit Company von Einfuhrzöllen und Grundsteuern und gab ihr Hunderttausende von Hektar öffentlichen Lands. Unter dem „Kleinen Napoleon der Tropen“, wie sich der Bewunderer des korsischen Generals gerne nennen liess, wurde United Fruit zur alles dominierenden Macht. Ihr gehörten nicht nur 42 Prozent allen landwirtschaftlich nutzbaren Landes, sondern auch die einzige Eisenbahn, die Elektrizitätswerke und die Hafenanlagen in Puerto Barrios an der Atlantikküste.
Unter dem Druck landesweiter, von der Mittelklasse und jungen Offizieren angeführter Proteste und Streiks, trat er im Juli 1944 schliesslich zurück und übergab die Regierung einem Vertrauten, General Federico Ponce. Nun schlossen sich auch zahlreiche politische und militärische Führer der Opposition an. Am 19. Oktober griff Árbenz mit einer kleinen Gruppe von Soldaten und Studenten den Nationalpalast an. Ponce floh ins Exil und gemeinsam mit einem weiteren Offizierskameraden sowie einem Anwalt bildete Árbenz eine Regierungsjunta. Die Drei versprachen, noch im selben Jahr Wahlen abhalten zu wollen, die eine Koalition linker Parteien, (die Partido Acción Revolucionaria, PAR) und ihr Präsidentschaftskandidat, der Philosophieprofessor Juan José Arévalo, mit 85 Prozent aller abgegebenen Stimmen gewannen.
Zwei demokratisch gewählte Präsidenten
Obwohl Arévalos Reformen sehr moderat blieben, war er äusserst unbeliebt beim Klerus, den Grossgrundbesitzern, den Offizieren und vor allem bei dem Bananenkonzern und der US-Regierung. Mindestens 25 Putschversuche überstand der Professor, die meisten angeführt von reichen und konservativen Offizieren. Nach der Wahl Jacobo Árbenz‘ zum Präsidenten (1950) organisierte Edward L. Bernays, ein Neffe Sigmund Freuds und bekannt als „Vater der Public Relations“ im Auftrag der United Fruit eine beispiellose Pressekampagne, die Thomas P. McCann, der zwanzig Jahre bei der Bostoner Firma gearbeitet hatte und bei seinem Ausscheiden Vizepräsident des Unternehmens war, in seinem Buch „An American Company. The Tragedy of United Fruit“ beschrieb.
United Fruit finanzierte und verteilte einen 235 Seiten langen „Bericht über Guatemala“. Das Buch verzerrte die Fakten dermassen, dass es nicht einmal mit einem Copyright versehen werden konnte, weil sich niemand bereit zeigte, die Verantwortung als Autor oder Verleger zu übernehmen. Da wurde von einer „von Moskau gesteuerten Verschwörung in Mittelamerika“ schwadroniert, die eine „der erfolgreichsten Operationen der Sowjetunion ausserhalb des Eisernen Vorhangs ist.“
Im Juni 1952 erliess die Regierung Árbenz „Dekret 900“. Das Gesetz erlaubte die Enteignung ungenutzter Ländereien von einer Fläche grösser als 2,7 qkm. Die Besitzer enteigneter Grundstücke erhielten eine Kompensation, die dem im Mai 1952 in Steuererklärungen angegebenen Wert entsprach (der oft weit unterbewertet war, um Steuern zu sparen). Die Bezahlung erfolgte in Form von Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 25 Jahren und einer dreiprozentigen Verzinsung. Das Programm lief 18 Monate lang, in denen 6100 qkm an rund 100 000 Familien verteilt wurden. - Árbenz, selbst Landbesitzer, gab im Rahmen der Landreform sieben qkm seines Landes ab.
Der Putsch
Da traf sich gut, dass mit John Foster Dulles als Aussenminister und seinem Bruder Allen Dulles als CIA-Direktor gleich zwei ehemalige Mitarbeiter der Anwaltskanzlei Sullivan and Cromwell, die United Fruit juristisch vertrat, in der Washingtoner Regierung sassen und sich um die Gewinne der Bostoner Firma sorgten. Nun organisierten die Washingtoner Regierung, die CIA und United Fruit „Operation Success“ und stellten in Honduras und Nicaragua eine Invasionsarmee aus guatemaltekischen Exilanten, nicaraguanischen Nationalgardisten und amerikanischen Söldnern auf, um „amerikanisches Eigentum zu schützen“.
Als Vorwand für den Angriff diente der schwedische Frachter „MS Alfhem“, der Waffen aus der Tschechoslowakei geladen hatte. Die New York Times berichtete, bei den Waffen handele es sich um „Maschinenpistolen, Handgranaten, automatische Pistolen und 40 Gewehre mit der Markierung von Hammer und Sichel.“ Tatsächlich hatte die „Alfhem“ veraltete, teilweise unbrauchbare Waffen aus ehemaligen Wehrmachtsbeständen geladen. Nach der Ankunft der „Alfhem“ an ihrem Bestimmungsort patrouillierten US-Kriegsschiffe die mittelamerikanischen Küsten, „um Honduras vor einer Invasion zu schützen und die Waffenlieferungen nach Guatemala zu kontrollieren.“
Die Invasionsarmee unter Oberst Carlos Castillo Armas marschierte zehn Kilometer tief auf guatemaltekischem Gebiet vor, wo sie auf den erhofften Volksaufstand wartete. Doch der blieb aus. Gleichzeitig versagte Armas‘ Luftwaffe nach den ersten Bombenabwürfen über Puerto Barrios an der Atlantikküste. Schliesslich gab US-Präsident Dwight Eisenhower seine Zustimmung, die stärkere Luftwaffe des nicaraguanischen Diktators Anastasio Somozas einzusetzen, die Häfen, Öltanks, den internationalen Flughafen, eine Schule, etliche Ortschaften und sogar ein britisches Schiff bombardierte. Gleichzeitig setzte die CIA einen lärmigen Propagandaapparat in Gang, um den Gegner mit falschen Zahlen und Erfolgsmeldungen zu lähmen. Die Armee glaubte den Propagandameldungen von siegreichen Gefechten Castillos und Volksaufständen gegen die Regierung und zwang Árbenz schliesslich zum Rücktritt. Am 27. Juni trat Präsident Jacobo Árbenz Guzmán zurück.
Die Folgen
Die CIA führte eine Mordkampagne gegen jede linksgerichtete Gruppierung oder Partei durch, schrieb dem Land eine neue Verfassung und verbreitete Traktate über die Kunst des politischen Mordes: „Das Subjekt kann gelähmt oder unter Drogen in ein Auto gesetzt werden. (Diese Methode) ist aber nur zuverlässig, wenn der Wagen unbeobachtet von einem Fels hinabgestürzt oder in tiefem Wasser versenkt werden kann.“(1) Der neue Diktator Castillo Armas schloss alle Analphabeten, drei Viertel der Bevölkerung, von zukünftigen Wahlen aus, liess in den ersten vier Monaten 72.000 Menschen unter dem Vorwurf des Kommunismus verhaften und verbrannte alle „subversiven“ Bücher, darunter Victor Hugos „Les Misérables“, die Romane Dostojewskis oder des einzigen Nobelpreisträgers Guatemalas, Miguel Angel Asturías, der mit seinem „Der grüne Papst“ eine ätzende Kritik an dem Bananenkonzern geliefert hatte.
Es folgten 40 Jahre blutiger, US-gestützter Diktaturen, die jede Opposition und die indianische Bevölkerung gnadenlos verfolgten.
Niemals mehr Mitleid
Nach kurzer Zeit im mexikanischen Exil zog Jacobo Árbenz mit seiner Familie in die Schweiz. Die Regierung in Bern bot ihm eine Aufenthaltserlaubnis unter der Bedingung an, dass er die Schweizer Staatsbürgerschaft annähme (wozu er über seinen Vater berechtigt gewesen wäre). Er wollte aber seine guatemaltekische Staatsbürgerschaft nicht aufgeben. Weitere Stationen seines Exils waren Paris, Prag, Moskau, Montevideo, Havanna. Am 27. Januar 1971 starb Jacobo Árbenz Guzmán in Mexiko in seinem Badezimmer.
In den folgenden Jahren geriet die United Fruit Company zunehmend ins Kreuzfeuer der Kritik. Darum änderte sie 1970 ihren Namen in Chiquita Brands International Inc.
Nicht „Operation Success“ war für E. Howard Hunt Jr. – später der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Watergate-Affäre und dem Diebstahl der medizinischen Akten des Militäranalytikers Daniel Ellsberg, der die Pentagon-Papiere an die Presse geleitet hatte, bekannt geworden – ein Fehler. „Als er als CIA-Agent den Putsch gegen Präsident Árbenz leitete, hatte er eine Gruppe Gefangener auf der Landepiste festgehalten. Als er dabei war, das Land wieder zu verlassen, beschloss er Gnade walten zu lassen und liess sie frei“, schrieb Douglas Hallett, der zwischen Juni 1971 und September 1972 in Charles Colson’s (auch er ein Watergate-Klempner) Stab im Weissen Haus arbeitete, im Oktober 1974 in The New York Times Magazine. „Wenige Jahre später erfuhr er, dass einer der Gefangenen Ché Guevara war; er sagte, das habe gereicht, ihn zu überzeugen, niemals mehr Mitleid zu haben.“
(1) David Grann, “A Murder Foretold”, The New Yorker, April 2011, S. 51