Aus Anlass seines Geburtstags am 9. Mai vor 150 Jahren zeigt das Berliner Bröhan-Museum bis Ende September eine umfangreiche Sammlung der Werke von Hans Baluschek. Dazu gibt es einen vorzüglichen Katalog mit instruktiven Beiträgen. Für viele Betrachter dürfte diese Ausstellung die erste Begegnung mit Baluschek sein. In Berlin allerdings war er nie ganz vergessen. Die meisten seiner Motive haben einen Bezug zu Berlin. Er selbst lebte viele Jahre in dem damaligen Vorort Schöneberg.
Nicht ganz zugehörig
Hans Baluschek war Mitglied der „Berliner Secession“, zu der zahlreiche der damals bedeutendsten Künstler zählten. Und vom 10. Dezember 1913 bis zum 13. Januar 1914 wurden mehr als vierzig seiner Werke im „Kunstsalon Paul Cassirer“ gezeigt, der Weltrang hatte. Baluschek bewegte sich also in den ersten Kreisen – und gehörte doch nicht dazu.
Er selbst beschreibt sich so: „Der Akademiker konnte mich nicht verknusen, weil ich ihm als Maler zu wild war! Der Impressionist rügte, meine Malerei sei keine ‚Malerei‘. Der Symbolist und der Phantast wurden ob meiner Phantasielosigkeit vom Ekel gepackt; wie sich Dadaisten und Expressionisten zu mir stellen, habe ich mich noch nicht bemüht, herauszufinden – man verachtet mich sicher. Im Allgemeinen nennt man mich einen Naturalisten, der sich vom Photographen nur durch malende Prätension trennt.“
Der Rezensent des „Berliner Tageblatts“ fand in seiner Besprechung der Ausstellung im „Kunstsalon Paul Cassirer“ die Formulierung: „Der unbestreitbare Wert dieses Malers ist sein Einzeltum.“ Ein anderer Rezensent nannte ihn dagegen einen „Illustrator im Gemälde-Format“. Baluschek passe weder in die „Berliner Secession“ noch in den „Kunstsalon Paul Cassirer“. Gemessen an dem, was sonst noch gesagt wurde, waren diese Urteile noch vergleichsweise milde. So berichtet der Kunstkritiker Willy Pastor, dass manche Betrachter von den „geschmacklosen“ Bildern „angewidert“ gewesen seien, weil diese „zu wenig Parfüm, zu viel Pfütze“ enthielten.
Hans Baluschek wollte durchaus provozieren. Er wollte das in Malerei umsetzen, was ein grosses Vorbild, Émile Zola, als Literat geleistet hatte: das Leben des Proletariats und der Randständigen nüchtern und hart schildern. Insofern fühlte er sich dem Naturalismus verbunden. Aber genau so, wie Zola souverän literarische Mittel zu nutzen wusste, genauso verfügte Baluschek über künstlerische Souveränität als Maler. Vielleicht sieht man das heute schärfer als früher. Der Kurator der gegenwärtigen Ausstellung in Berlin, Fabian Reifferscheid, stellt in seinem Beitrag zum Katalog einige Elemente davon heraus, zum Beispiel die Bildgestaltung. Deren Stimmigkeit überzeugt schon auf den ersten Blick und erst recht bei eingehender Analyse.
Und bei Bildern wie „Grossstadtlichter“ und „Grossstadtwinkel“ zeigt sich eine weitere Qualität Baluscheks. Er passt Perspektiven und Grössenverhältnis vollkommen dem an, was er mit seinen Bildern erzählen möchte. So erscheinen die Frauen im Bild „Grossstadtwinkel“ so, wie der Betrachter es im Rahmen einer guten Geschichte erwartet, aber dann sieht er, dass die Grössenverhältnisse frei gestaltet wurden. Die Fotografie könnte so etwas nicht.
Ein Weiteres kommt hinzu. Baluscheks Bilder enthalten zahllose Symbole und versteckte Botschaften. So wirkt „Grossstadtwinkel“ wie eine ganz normale abendliche Grossstadtszene. Erst bei genauerem Hinsehen entdeckt man die fein eingestreuten Hinweise darauf, dass es sich hier um einen Rotlichtbezirk handelt. Und in dem Bild „Heimweg“ mit dem Liebespaar erkennt Fabian Reifferscheidt ebenfalls Symbole mit sexuellen Konnotationen: Das hell erleuchtete Herz in der Toilettentür der Schlosserei und das warme Licht im Fenster des Dachzimmers darüber deuten auf eine bevorstehende Liebesnacht; sein Stock und ihr Beutel haben klare sexuelle Konnotationen.
Eigene Handschrift
Hans Baluschek war ursprünglich an der Berlliner Kunstakademie in akademischer Malerei ausgebildet worden. Die Entwicklung seines Malstils entfaltete sich vor diesem Hintergrund. So erfand er eine eigene Mischtechnik, die die Schärfe der Federzeichnung mit der Vagheit des Aquarells verbindet. Und in seiner Farbgebung bevorzugt er häufig, bei weitem nicht immer, eine schattenhafte Atmosphäre. Das wurde oft kritisiert, aber gleichzeitig hervorgehoben, dass Baluschek eine „eigene Handschrift“ hat, die man auf den ersten Blick wiedererkennt. Das kommt in der aktuellen Ausstellung eindrucksvoll zur Geltung.
Gleichzeitig sticht ein weiteres Merkmal ins Auge. So sind auf einigen Bildern zahlreiche Menschen abgebildet. Schaut man sich die Gesichter näher an, so stellt man fest, dass er drei oder vier verschiedene Gesichter zur Grundlage nimmt und diese wieder und wieder variiert, indem er sie leicht dreht, sie mit Hüten oder Schmuck verziert. Auch andere Bildelemente verwendet er mehrfach. Fabian Reifferscheidt nennt das Baluscheks „Baukastenprinzip“.
Baluschek stellte sich zwar ganz auf die Seite der Sozialkritik und verfasste dazu sogar zwei Bände mit Novellen. Zugleich aber war er von der Technik fasziniert, insbesondere von den Eisenbahnen und Bahnhöfen. Er war also kein Maschinenstürmer.
Kunstkritiker stellen Hans Baluschek aufgrund seiner sozialkritischen Orientierung in eine Reihe mit Heinrich Zille und Käthe Kollwitz. Das ist einerseits zutreffend, aber zugleich stechen die markanten Unterschiede ins Auge. Käthe Kollwitz hatte eine völlig andere „Handschrift“, und Heinrich Zille liess sich bei all seiner sozialen Empathie nicht davon abhalten, sich über das „Milljöh“ gehörig lustig zu machen. Diese Art des Humors lag Hans Baluschek völlig fern.
Hans Baluschek hat trotz seines sozialkritischen Denkens einige Bilder von grosser Schönheit geschaffen. Das muss kein Widerspruch sein, denn die Menschen auf seinen Bildern haben immer auch Momente erlebt, die sie selbst ganz sicher als schön empfanden. Andere dagegen steckten nur noch im Elend. Diesen hat Baluschek eindrucksvolle Zeichnungen von geradezu schmerzhaftem Naturalismus gewidmet. Dazwischen gibt es geradezu buchstäblich die Halbwelt, also die Prostituierten. Baluscheks Zeichnungen von ihnen gehen schon in Richtung Karikatur, aber nicht so weit wie bei Heinrich Zille. Das Werk von Hans Baluschek ist also sehr vielschichtig, und das Bröhan-Museum feiert ihn derzeit zu Recht.
„Zu wenig Parfüm, zu viel Pfütze“. Hans Baluschek zum 150. Geburtstag, Bröhan-Museum, Berlin; bis zum 27. September
Katalog zur Ausstellung: „Zu wenig Parfüm, zu viel Pfütze“, 168 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Wienand Verlag, Berlin 2020, ca. 32 Euro
Ausstellung vom 10. Dezember 1913 bis zum 13. Januar 1914: Kunstsalon Paul Cassirer, 1912–1914, Hg. von Bernhardt Echte und Walter Feilchenfeld, Nimbus. Kunst und Bücher AG, Wädenswil 2016