Die Autorin Jessica T. Mathews (1), antwortet selber: „Nur Experten stellen solche Fragen, nicht aber eine breitere Öffentlichkeit.“ Wer wisse schon, dass 136 Militärspiele mit mehr als 6’500 festangestellten Musikern das Militärbudget mit 500 Millionen Dollar pro Jahr belasten? Hier könnte, so glaubten Mitglieder eines Kongressausschusses gespart werden, ohne die Schlagkraft der US-Streitkräfte zu schwächen.
Weit gefehlt. Eine gut geölte Lobby argumentierte, Militärspiele müssten den Patriotismus der Soldaten stärken. Der Jazz sei schliesslich während des Ersten Weltkrieges nach Europa gebracht worden. Und während der Jugoslawienkriege habe eine 1996 in Bosnien stationierte Blues Band für das Image der USA mehr bewirkt als die 4,5 Milliarden Dollars, die das Pentagon für seine Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung habe.
Zu hohe politische Kosten
Die Ausgaben für die Militärspiele in der Höhe von 500 Millionen Dollars wurden nicht gekürzt, auch nicht um die Hälfte.Letzteres, so rechnete die Autorin nach, hätten den kaum spürbaren Anteil von 0,33 Prozent des gesamten Pentagon-Budgets von mehr als 750 Milliarden Dollar ausgemacht. Die riesige Summe für die Verteidigungsausgaben sowie die Gewohnheit, Militärausgaben mit Patriotismus gleichzusetzen, erschwere eine seriöse Aufsicht über die Militärausgaben in den USA. Mit anderen Worten: Die politischen Kosten sind zu hoch, wenn sie den realen Einsparungen gegenübergestellt werden.
Wie in den meisten westlichen Ländern repräsentiert das nationale Budget die politischen Prioritäten des Landes. So wurden in den USA nach dem Koreakrieg (1950–1953) die Militärausgaben um 20 Prozent gekürzt. Nach dem Vietnamkrieg (1955–1975) gab es ein Minus von 30 Prozent. Und als 1990 der Kalte Krieg zu Ende ging, waren Präsident George H. W. Bush, Verteidigungsminister Dick Cheney sowie der Oberkommandierende der US-Streitkräfte Colin Powell bereit, das Militärbudget um weitere 26 Prozent zu kürzen. Schliesslich war die Sowjetunion verschwunden und die USA wurden zur einzig verbliebenen Supermacht. Sogar von einer „Friedensdividende“ war die Rede.
Die „Achse des Bösen“
Die abrupte Trendwende erfolgte mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington. Die „Friedensdividende“ löste sich in Luft auf. Wer aber war der neue Feind? Präsident George W. Bush fand ihn in der „Achse des Bösen“. Die USA stürzten sich in Kriege in Afghanistan und Irak, die Hunderttausende von Toten und Verletzten forderten, unvorstellbare Summen verschlangen und gegen das Völkerrecht verstiessen.
Wenn die USA heute ernstzunehmenden Gefahren ausgesetzt wären, könnte die enorme Summe von 750 Milliarden vielleicht gerechtfertigt sein. In Wirklichkeit geben die USA aber mehr für ihre Verteidigung aus als die nächstfolgenden acht Länder zusammen: China, Saudi-Arabien, Indien, Frankreich, Russland, Grossbritannien, Deutschland und Japan. Und drei von ihnen sind Nato-Mitglieder, und mit Japan unterhalten die USA enge wirtschaftliche und militärische Beziehungen.
Für 2020 rechnet Jessica T. Mathews mit einer weiteren Erhöhung des Pentagon-Budgets von mindesten 100 Milliarden Dollar zusätzlich zu den 750 Milliarden nach der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten im Jahre 2018.
„Während vielen Jahren“, so lautet das Fazit der Autorin, „haben die USA ihre Aussenpolitik fast ausschliesslich aufgrund ihrer militärischen Macht betrieben. Jene Bereiche, die nicht mit militärischen, sondern mit diplomatischen Mitteln gelöst werden müssten, blieben unterentwickelt. Wir sind eine selbstzufriedene und strategisch schwache Nation geworden, die grosse Mühe hat, sich in einer völlig veränderten Welt zurechtzufinden.“
Eisenhowers Warnungen nicht beachtet
Im Beitrag von Jessica T. Mathews ist eine Karikatur von Dwight D. Eisenhower zu sehen, auf der „Ike“ ein grosses Schwert zu zerbrechen versucht. Der ehemalige Oberkommandierende der alliierten Streitkräfte während des Zweiten Weltkrieges äusserte sich in seiner Abschiedsrede als Präsident am 17. Januar 1961 in aller Deutlichkeit: „Jede Waffe, jedes Kriegsschiff, jede Rakete ist letztlich Diebstahl. Die Kosten eines modernen, schweren Bombers entsprechen je einem modernen Backsteinschulhaus in mehr als 30 Städten.“ (2)
Der „militärisch-industrielle Komplex“, vor dem Eisenhower so eindringlich warnte, ist in den USA bis heute eine der finanzkräftigsten und erfolgreichsten Lobbies geblieben. Seine Argumente stossen im Senat und im Repräsentantenhaus auf offene Ohren, weil die Abgeordneten alles Interesse haben, in ihren Wahldistrikten tausende von Jobs zu erhalten. Dabei handelt es sich aber oft um Arbeitsplätze, die veraltete Waffensysteme produzieren, oder um Militärstützpunkte, welche die Streitkräfte schon lange schliessen möchten.
Grosse Staatsverschuldung
Das Verteidigungsbudget treibt die Staatsverschuldung weiter in die Höhe. Zurzeit beträgt sie 20,5 Billionen Dollars oder 106 Prozent des Bruttosozialproduktes. Die Fähigkeit der USA, sich als Inhaberin der Dollarwährung unbegrenzt zu verschulden, macht es möglich, die Kosten dieser Schuldenpolitik vor den Steuerzahlern zu verstecken.
Noch entscheidender erscheint der Autorin folgende Tatsache: „In unserer aussenpolitischen Elite gibt es eine Kultur der Verantwortungslosigkeit, in der Fehler keine Konsequenzen haben.“ Sie führe dazu, dass Leute wie John Bolton zum Sicherheitsberater von Präsident Trump ernannt werden können und die USA vom „unfähigsten Präsidenten der modernen Geschichte geleitet werden“ (Stephen Walt, Harvard University).
Hoffnung auf eine kommende Generation
Laut Umfragen will eine Mehrheit der Amerikaner unter 40 Jahren nicht mehr, dass sich die USA in jedem entlegenen Winkel der Erde einmischen. Das heisst nicht, dass die jüngeren Amerikaner Isolationisten sind. Im Gegenteil, diese kommende Generation interessiert sich für andere Themen, zum Beispiel für den Klimaschutz oder die Abrüstung. Und hier sollten die USA eine Führungsrolle übernehmen.
Diese neue Generation von Amerikanern lebt aber in einem Land, dessen Infrastruktur zerfällt, dessen Lehrer unterbezahlt sind, dessen Gesundheitssystem unter riesigem Druck steht. Zugleich weigern sich Bundesstaaten, Städte und die Zentralregierung, die Reichen so zu besteuern, wie es deren Vermögen entspricht. Und in den gleichen USA sterben jedes Jahr mehr als 70’000 Menschen wegen Drogenabhängigkeit. Das sind mehr als die Zahl der Personen, die durch Autounfälle, Aids oder Schusswaffen ums Leben kommen.
(1) Jessica T. Mathews: America’s Indefensible Defense Budget. New York Review of Books, July 2019.
(2) Präsident Eisenhowers Abschiedsrede am 17. Januar 1961.