Was für Banker meistens «unvorhersehbar» ist, trifft natürlich immer ein. Als Begleitmusik zum auf der Kippe stehenden Steuerabkommen mit der Schweiz schwärmen in Deutschland wieder die Steuerfahnder aus. Gleichzeitig wird die UBS beschuldigt, über Verrechnungskonten Schwarzgelder in die Schweiz geschleust zu haben.
Mag sein, mag nicht sein, Tatsache ist: Das Steuerabkommen mit Deutschland ist tot. Das war und ist zwar für die Schweizerische Bankiervereinigung, die UBS und den Bundesrat unvorhersehbar, aber es ist ein Tatsache.
Und FATCA
Vorsichtig formuliert, verdichten sich die Gerüchte (der Bundesrat ist ja sehr zurückhaltend mit Informationen), dass die Schweiz ein neues Steuerabkommen mit den USA abschliessen wird. Es folgt den rechtsimperialen Bestimmungen der Überwachungskrake FATCA, mit der die USA allen Ländern der Welt die Besteuerung nicht nur von US-Staatsbürgern nach Ami-Recht aufzwingen wollen.
Das angebliche Verhandlungsgeschick der Schweizer Delegation soll anscheinend darin bestanden haben, dass Banken hierzulande nicht automatisch alle Kontoinformationen von US-Steuerpflichtigen an die USA ausliefern müssen. Im Prinzip.
Grandiose Niederlage
In der Realität, wenn die entsprechenden Informationen zutreffen, soll es aber so sein, dass im Fall einer Auskunftsverweigerung die USA berechtigt sind, sogenannte Gruppenanfragen zu stellen. Was in der Realität und faktisch bedeutet: Die Schweizer Regierung hat vollumfänglich nachgegeben, ist eingeknickt, hat jede Gegenwehr gegen den US-Rechtsimperialismus aufgegeben. Und sie hat das Schweizerkreuz neu interpretiert.
Es bedeutet offenbar nichts anderes als: zu Kreuze kriechen. Damit ist der Anspruch aufgegeben, dass die Schweiz zwar klein, aber nichtsdestotrotz ein souveräner Rechtsstaat ist. Das würde nämlich bedeuten, dass innerhalb der Schweiz nur Schweizer Gesetze gelten.
Das Märchen vom Steuerhinterzieher
Wohlgemerkt geht es bei FATCA nicht darum, üble Steuerhinterzieher, deren Schwarzgeld von Schweizer Gnomen verwaltet wird, zu entlarven. Sondern es geht darum, dass die USA ihren Anspruch durchsetzen, dass ihre Steuergesetze weltweit gelten. Wohlgemerkt gilt das nicht nur für US-Bürger, sondern für jeden, auch Schweizer, die in irgend einer Form, und sei es nur durch eine Erbschaft, mit US-Wertpapieren in Kontakt kommen.
Aber nicht nur für sie; denn auch jedes Finanzinstitut, das die in englischem Juristenchinesisch formulierten und ständig wuchernd ergänzten Bestimmungen von FATCA nicht umsetzt, läuft Gefahr, als Helfershelfer nach US-Recht angeklagt zu werden. Wobei schon die Drohung mit einer Klage genügt, um das Finanzinstitut in eine existenzbedrohende Krise zu stürzen. Weil es diese Drohung sofort vom sogenannten Interbanking abschneidet, der Lebensader für jede Bank, die zwangsweise mit der Weltwährung Dollar geschäften muss. Die Bank Wegelin musste deswegen zum Notverkauf schreiten, ohne dass die Bank bis heute wegen irgend eines Vergehens rechtskräftig verurteilt worden wäre.
Wildwest statt Recht
Perverserweise applaudiert von linken Kreisen, setzen die USA so imperialistische Weltmachtgelüste viel effizienter durch, als wenn sie mit dem Einsatz von Drohnen, Flugzeugträgern oder Special Forces drohen würden. Diese Mittel der Machtausübung sind für Länder wie Afghanistan oder Irak reserviert.
Viel subtiler, aber in den Auswirkungen viel erschreckender, ist ein Imperialismus, der durch die vorläufig noch wichtigste Währung der Welt ausgeübt wird. Um Brecht zu übertragen, kann man heute sagen: Was ist schon die Bombardierung einer Bank gegen die Knechtung einer Bank durch FATCA? Wobei alleine die Umsetzung dieses Vorschriftenmonsters jede grössere Bank Abermillionen kostet. Der Gehenkte zahlt noch seinen eigenen Strick. Aber im Falle der Schweiz ist das nicht mal alles.
Die vergessene Globallösung
Stehende Rede der federführenden Bundesrätin Widmer-Schlumpf war und ist, dass ein neues Steuerabkommen mit den USA nur dann abgeschlossen werden kann, wenn es verknüpft ist mit einer Lösung für die 11 auf der Folterbank der USA liegenden Schweizer Banken. Diese müssten zwar saftige Bussen für vergangene Verstösse gegen US-Recht in den USA bezahlen, blieben aber damit von weiteren existenzbedrohenden Massnahmen verschont.
Wir sprechen hier immerhin unter anderem von der Credit Suisse, der Zürcher und der Basler Kantonalbank. Anscheinend ist aber auch diese Vorbedingung für eine Unterwerfung unter FATCA inzwischen geopfert worden.
Die weisse Flagge
Nachdem Kundendaten, nachdem Mitarbeiterdaten unter Anwendung von Notrecht oder rechtsstaatlich fragwürdigen Unterzügen ausgeliefert wurden, ohne dass damit das Geringste gewonnen wurde, unterwirft sich die Schweizer Regierung nun vollständig der nur auf reiner Macht beruhenden Willkür der USA. Das zu kritisieren, bedeutet keine Verteidigung der Beihilfe zur Steuerhinterziehung.
Das zu kritisieren zielt vielmehr darauf ab, dass ein viel wichtigeres Gut als das Bankgeheimnis, nämlich die Rechtstaatlichkeit und die Rechtssouveränität der Schweiz, ohne Not geopfert wird. Das ist unerhört. Leider werden breiten Kreisen der Öffentlichkeit die Sinne dadurch vernebelt, dass all das als Ausdruck des berechtigten Kampfes gegen Steuerhinterziehung verkauft wird.
Ade Finanzplatz Schweiz?
Viel wichtiger für die Zukunft des Finanzplatzes Schweiz als der Abschied vom guten alten Schwarzgeldgeschäft, viel wichtiger als das vorhandene Know-how, sind zwei andere Faktoren: die Stabilität der Schweiz und das Vertrauen in den Rechtsstaat Schweiz.
Ein Rechtsstaat zeichnet sich durch drei Eigenschaften aus: Es gibt keine rückwirkenden Gesetze. Er ist berechenbar. Und er ist souverän, das heisst, er akzeptiert innerhalb seiner Grenzen keine fremden Gesetze. Diese drei Eigenschaften gehen gerade zum Teufel. Die Auswirkungen auf die Stabilität der Schweiz sind unabsehbar. Aber nicht unvorhersehbar.