Das seien doch „Totengräber der Marktwirschaft“ hatte schon vor zwei Jahren der gestandene Chef eines (nicht börsenkotierten) Unternehmens ausgerufen, als unser Gespräch sich den millionenschweren Vergütungsexzessen für die Topmanager und das VR-Establishment einschlägig bekannter schweizerischer Grossfirmen zuwandte.
Millionen-Boni für sinkenden Aktienkurse
Die Metapher ist weiterhin hochaktuell. Wie soll man dem Normalbürger das in der Marktwirtschaft gerne beschworenen „Leistungsprinzip“ plausibel machen, wenn Spitzenmanager teilweise Dutzende von Millionen kassieren, während gleichzeitig die Aktien des gleichen Unternehmens um zweistellige Prozentwerte absacken (siehe Grossbanken) oder jahrelang vor sich hindümpeln? Von einer moralisch halbwegs glaubwürdigen Rechtfertigung für die immer grotesker werdenden Diskrepanzen zwischen einem mittleren Lohn in diesen Unternehmungen und den Millionen-Boni in den obersten Chefetagen ganz zu schweigen.
Wenn also die Minder-Initiative solchen Abzocker-Praktiken einen Riegel vorschieben – genauer: eine sinnvolle und eigentumsrechtlich logische Hürde voranstellen – will, so ist das gleichzeitig auch ein Dienst an der Glaubwürdigkeit marktwirtschaftlicher Prinzipien. Denn im Kern geht es bei dieser Initiative darum, dass diejenigen, denen ein Unternehmen tatsächlich gehört – nämlich die Aktionäre – zwingend über die Gesamtsumme aller Vergütungen des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung entscheiden. Damit würde endlich dem zu Recht erhobenen Vorwurf der Boden entzogen, von der Kaste der Spitzenmanager werde die Gehalts- und Boni-Politik als Selbstbedienungsladen missbraucht, indem man sich gegenseitig märchenhafte Millionenpakete zuschiebe, ohne dass die Aktionäre dagegen wirksam einschreiten könnten.
Der Gegenvorschlag - keine überzeugende Alternative
Die von den Gegnern der Minder-Initiative ins Feld geführten Argumente, mit der zwingenden Genehmigung der Top-Vergütungen durch die Aktionäre würden Spitzenmanager vertrieben und die flexiblen Entscheidungsmöglichkeiten der Geschäftsführung behindert, leuchten nicht ein. Im Übrigen ist es den Aktionären keineswegs verwehrt, grosszügigen Gehältern oder Boni zuzustimmen, wenn sie mehrheitlich von der Angemessenheit solcher Zuwendungen überzeugt sind.
Dass die Minder-Initiative gleichzeitig Abgangsentschädigungen oder Vorauszahlungen an VR- und GL-Mitglieder ausdrücklich untersagt, dient ebenfalls der lohnpolitischen Transparenz und der vielbeschworenen Stärkung der Aktionärsrechte. Schliesslich verlangt die Initiative die ersatzlose Abschaffung sogenannter Depotstimmen. Mit diesem dubiosen Instrument werden die Stimmrechte von Aktien, die sich in den Kunden-Depots von Banken befinden, automatisch im Sinne der betreffenden Geschäftsleitungs-Anträge gezählt – sofern der Aktien-Inhaber sich nicht ausdrücklich über die Verwendung seines Stimmrechts äussert.
Nun behaupten die Anhänger des vom Parlament nach gut dreijährigem trickreichem Taktieren verabschiedeten Gegenvorschlages, ihre Vorlage enthalte etwa achtzig Prozent der in Minders Abzocker-Initiative enthaltenen Forderungen. Diese Behauptung sollte nicht zum Nennwert geschluckt werden. In einem Leserbrief an die NZZ vom 21. März 2012 hat Claudio Kuster, Schaffhauser Co-Initiant der Volksinitative Folgendes festehalten: „Fakt ist, dass von den 24 Forderungen des Volksbegehres nur gerade deren 5 (also 21 Prozent) in den Gesetzesentwurf (des Parlaments) übernommen werden. Weitere 12 Punkte werden wohl im Gegenentwurf thematisiert, aber nicht im Sinne der Initianten.“ Dieser Klartext überzeugt weit mehr als die verschwommenen Suggestionen der Gegenentwurf-Propagandisten.
Es geht um marktwirtschaftliche Glaubwürdigkeit
Warum also sollte Minder sein Volksbegehren zurückziehen, wie das von den Apologeten des Gegenentwurfs so flehentlich gewünscht wird? Offenkundig deshalb, weil sich herumgesprochen hat, dass die Initiative bei den Stimmbürgern sehr populär ist – gerade auch unter den Anhängern bürgerlicher Parteien und der SVP, was von bürgerlichen Kommentatoren durchaus bestätigt wird. Diese Befürworter der Minder-Initiative geht es mehrheitlich gewiss nicht darum, die Wirtschaft und ihren Standort Schweiz zu schädigen, wie von deren Gegnern und besorgten Top-Managern unterstellt wird. Es geht um die Stärkung marktwirtschaftlicher Glaubwürdigkeit und des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Das sind Grundpfeiler des helvetischen Erfolgsmodells. Diese Pfeiler werden gefährdet durch die masslose Gier einer gewissen Schicht von Spitzenmanagern, die nur der persönlicher Profit interessiert, aber keine Verantwortung für Verluste trägt und sich um soziale Folgen zu foutieren scheint.
Es geht auch nicht darum, Millionen-Gehälter prinzipiell zu verhindern, sondern darum, darüber zwingend die eigentlichen Besitzer einer Unternehmung entscheiden zu lassen – die Aktionäre. Schliesslich muss betont werden, die von der Minder-Initiative erhobenen Forderungen keineswegs für sämtliche Firmen gelten würden, sondern nur für die börsenkotierten Grossunternehmen.
Eine Chance für die direkte Demokratie
Sollten Minder und seine Mitstreiter ihr Volksbegehren zurückziehen, so würde der zahnlosere Gegenvorschlag automatisch in Kraft treten. Dieser Vorschlag ist zwar ein teilweiser Fortschritt, aber er enthält eben – wie von einem Mitglied des Initiativ-Komitees klar und deutlich formuliert – bei weitem nicht die gleichen zwingenden Bestimmungen, um den Selbstbedienungs-Missbräuchen unter Top-Managern endlich Einhalt zu gebieten. Warum sollen über derart wichtige Fragen nicht die Stimmbürger entscheiden? Wovor fürchten sich diejenigen, die eine Volksabstimmung unbedingt verhindern möchten?
Deshalb die Bitte: Ziehen Sie ihr Volksbegehren nicht zurück, Herr Minder! Sie würden damit den Stimmbürgern die Möglichkeit nehmen, den „Totengräbern der Marktwirtschaft“ zumindest in der Schweiz wirksam in den Arm zu fallen.