Märchen erzählen von wundersamen Begebenheiten und sind in der Regel frei erfunden. Dies gilt auch für diesen Beitrag, handelt er doch von Riesen und Zwergen, von Herrschaft und Knechtschaft und vermischt phantastische mit realen Elementen. „Glauben“ muss man bekanntlich Märchen nicht.
Geheimagent 007
2016 kursierten erstmals vage Gerüchte. Unter dem Codenamen „007“ werde eine nationale Gratiszeitung geplant, wusste der „Schweizer Journalist“ zu berichten. Aus dem Umfeld der „BaZ“ wären zukünftige Leitung und Chefredaktor auszumachen. Blocher dementierte.
Anfangs 2017 rätselte der „Tages-Anzeiger“ schon etwas konkreter: „60 Minuten“ erinnere an „20 Minuten“, der Pendlerzeitung aus dem Hause Tamedia. Dessen Sprecher forderte einen Rückzug der Titelidee wegen klarer Markenverletzung. Das Projekt sei nicht spruchreif, sagte Blocher.
Auch für den „Blick“ war das fortan ein Thema. Der vorgesehene Name für das Gratisblatt käme dort (beim TA) nicht gut an. Übrigens sei auch „1 Stunde“ als Marke eingetragen worden, hiess es.
Von Riesen und Zwergen
Anfangs März 2017 verlautete aus der Ringier-Zentrale, die Blick-Gruppe stünde nicht zum Verkauf, obwohl tatsächlich von einer Investorengruppe ein unverbindliches Kaufangebot von satten 230 Millionen Fränkli für „SonntagsBlick“, „Blick“ und „Blick am Abend“ offeriert worden seien. Hinter dieser Gruppe wurde alsbald Walter Frey, ehemaliger SVP-Nationalrat und VR-Präsident der Emil Frey AG vermutet. Da treffen wir erstmals auf einen Riesen: Mit einem geschätzten Vermögen von 1,75 Milliarden Franken (Bilanz) herrscht er über 6000 Mitarbeiter und steuert eine stolze Flotte von SUVs und anderen Prestigefahrzeugen.
Zwerge am Werk
Wenn wir schon in die Märchenwelt eintauchen: Zwerg ist eine Sammelbezeichnung für menschenähnliche, kleinwüchsige Fabelwesen, die früher meist unterirdisch in Höhlen oder im Gebirge lebten. Häufig wurde den Zwergen übermenschliche Kraft und Macht nachgesagt. Sie gelten auch heute als schlau, bisweilen listig, geizig und tückisch.
Moderne solche „Heinzelmännchen“ treffen sich an spannenden Tagungen. Ein aktuelles Beispiel: am 29./30. März 2017 im Gottlieb-Duttweiler-Institut im Rahmen einer Veranstaltung des „Zurich Economic Impulse“. Dass zu diesem Anlass ausgerechnet Nigel Farage, Gründer der Ukip (UK Independence Party) für ein Referat eingeladen wird, passt ausgezeichnet zu obigem Qualitätsbeschrieb für Zwerge.
Auf die Frage des Journalisten, ob Farage Verbindungen zur SVP unterhielte, antwortete dieser: „Bei meinem letzten Besuch in der Schweiz habe ich einige ihrer Vertreter getroffen, ja“ (TA). Übrigens: Auf der Liste der Beiräte des „Zurich Economic Impulse“ figuriert u. a. Thomas Aeschi, SVP-Nationalrat. Als strategischer Medienpartner wird die Emil Frey Gruppe aufgeführt, als Medienpartner z. B. Die „Weltwoche“.
Sonntagswitz oder bitterer Ernst?
Zurück zum Projekt mit dem Codenamen „007“. Am 12. März 2017 vermeldete die „NZZ am Sonntag“, dass ihre in der Vorwoche publizierten Recherchen zur Kaufofferte für die Blick-Gruppe eine Welle von Dementis und Ablenkungsmanövern ausgelöst hätten. Tatsache sei, dass der Wirtschaftsanwalt Martin Wagner seinen Klienten Walter Frey als Hauptinvestor beim Kaufsangebot benannte hätte. Zuoberst auf dem Schema des Projekts sei vermerkt gewesen: „Walter Frey. Abu Dhabi Media Group“.
Wagner hätte übrigens Ringier eindringlich darauf hingewiesen, dass der „Sonntags-Blick“ der Hauptleidtragende der Lancierung einer Gratis-Sonntagszeitung sei“. Der Sonntagswitz entpuppte sich als bitterer Ernst.
Ganz am Schluss des „NZZ am Sonntag“-Beitrags war noch die harmlose Information beigefügt, gemäss „Weltwoche“ stünde hinter dieser Kaufofferte Christoph Blocher (ein weiterer „Riese“: Familienvermögen gemäss Bilanz 7,5 Milliarden Franken) – Frey wäre also sein Strohmann.
Zufall: Doppelseite für Christoph Blocher
In der gleichen „NZZ am Sonntag“-Ausgabe feiert Christoph Blocher – im Interview mit Felix E. Müller – 100 Jahre SVP Zürich. „Jetzt, auf dem Höhepunkt, ist es mir unheimlich“, lautet der Titel des Lobgesangs etwas zweideutig. „Ich habe in der Wirtschaft oft erlebt, was passiert, wenn der Gewinn explodiert. Die SVP muss sehr aufpassen, dass sie bei der Sache bleibt“, schiebt Blocher nach. Besonders stolz zeigt er sich darüber, dass die Abhängigkeit seiner SVP von seiner Person nicht mehr so stark sei. Als er kürzlich mit gebrochener Nase im Spital lag, „hätte um halb eins in der Nacht Roger Köppel geschrieben, er vertrete mich als Referent an einer Veranstaltung“.
Apropos 100-Jahre-Jubiläum am 19. März 2017 im Kongresshaus Zürich: Konrad Langhart, Züricher SVP-Präsident, plädierte in seiner Begrüssungsrede dafür, dass auf die nächste Hunderternote anstelle von abstrakten Skizzen ein Portrait von Christoph Blocher gehöre. So wie einst Wilhelm Tell.
„Wir glauben nicht, was wir wissen“
Ebenfalls zufälligerweise gab es in der „NZZ am Sonntag“ eine Woche vorher einen interessanten Beitrag zu lesen: „Wir glauben nicht, was wir wissen“. Da wir uns ja in diesem Märchen-Beitrag kreativ verhalten und deshalb phantastische mit realen Elementen vermischen können, ist dieser Zwischenruf umso aktueller.
Andreas Hirstein ging der Frage nach, weshalb mehr und bessere Aufklärung nicht dazu beiträgt, dass sich in der Gesellschaft politische Lager nicht mehr unversöhnlich gegenüber stehen würden. „Offenbar setzen die Menschen ihre intellektuellen Ressourcen gezielt dazu ein, die in ihrem sozialen Umfeld vorherrschende Sicht zu bestätigen. Wissen, das den eigenen Erfahrungsschatz widerspruchsfrei ergänzt, integriert man bereitwillig ins eigene Weltbild. Widersprüchliches erklärt man für fehlerhaft und irrelevant.“
Ein SONNTAGS-Märchen?
Als Verfasser dieser Zeilen weiss ich jetzt nachgerade nicht mehr, was ich glauben soll. Widerspiegelt meine Sicht des geheimnisvollen, dunklen Schweizer-Medienwalds lediglich eigene limitierte detektivische Ressourcen? Was ist davon zu halten, dass Veit Dengler, „Modernisierer“ der NZZ, im Gespräch mit der „Weltwoche“ verkündet: „Alles neu denken – es braucht einen neuen Ansatz“. Den neuen Ansatz bei der NZZ kennen wir mittlerweile. Aktuelles Beispiel vom 18. März 2017: Chefredaktor Eric Gujer erteilt seiner Leserschaft im Leitartikel „So lässt sich Zukunft nicht gestalten“ einmal mehr eine seiner persönlich geprägten Lektionen.
Ganz anders die „NZZ am Sonntag“ des gleichen Wochenendes. Chefredaktor Felix E. Müller verrät hier seinen Tipp für Medienhäuser, wie ihre Zukunft aussehen könnte: „Ein Produkt im Trend: Guter Journalismus“. Gleichzeitig lässt er die neue Website „NZZaS“ aufschalten und gibt zudem eine Seite frei für den Komiker Fabian Unteregger, um mit dessen Blattkritik sein eigenes Werk durchleuchten zu lassen. Chapeau!
Keine politischen Absichten?
Wie ist das zu verstehen wenn, gemäss „infosperber“, Martin Wagner versichert, seine Geldgeber hätten beim Kaufsangebot für die Blick-Gruppe keine politischen, sondern kommerzielle Absichten verfolgt? Wo doch eben dieser Wagner am Anfang bei den politischen Umpolungen von „Weltwoche“ und „BaZ“ zu rechts-ideologischen Kampfblättern Pate gestanden hatte?
Weitere Fragezeichen: Die Geldgeber – wer ist gemeint? Frey, Blocher, Tettamanti? Wir dürfen raten. Der neue Chefredaktor der NZZ am Sonntag (Felix E. Müller geht Ende 2017 in Pension) – aus welcher Ecke wird er kommen?
Man munkelt: Im Rotary Club Zürich werde bereits diskret ausgetauscht; etwa Philipp Gut, Inland-Chef der „Weltwoche“? Da erinnern wir uns doch sogleich des Namens Markus Somm („BaZ“), den Etienne Jornod, VR-Präsident der NZZ-Gruppe ursprünglich als NZZ-Chefredaktor installieren wollte, was aber einen eigentlichen Aufstand des Redaktionsteams ausgelöst hatte. Noch halten sich im Dunkel des Märchenwalds scheue Zwerge versteckt. Sie nennen sich … Scheu, Zucker, Benini, Bernet u. a. m.
Medienmäzene: Machzentralen diskreten politischen Einflusses
Aus der Tiefe des Märchenwaldes tauchten sie auf, die Riesen und cleveren Zwerge. Damals, wie heute mussten die Helden unserer Märchen mächtige Gegner bezwingen und sich durchsetzen gegen das Böse. Draussen, auf dem Lande wohnten die „Herrschaften“, jene wenigen Mächtigen, in Schlössern. Eher bescheidener jene vielen, die in der Knechtschaft lebten. Wölfe bedrohten alte Tanten, Hexen mischten ihre Geheimrezepturen, die Wunder bewirken konnten.
Heute ziehen aus dem Hintergrund Medienmäzene – selbsternannte Helden – die Fäden. Diskret kaufen und verkaufen sie Meinungsblätter, wechseln Chefredaktionen aus, um – natürlich, was denn sonst? – politischen Einfluss zu nehmen. Um ihre persönliche Meinung als Wahrheit und Wirklichkeit ihren Untertanen zu präsentieren. Ihre tüchtigsten, gleichgesinnten Helfer erheben sie alsbald in tiefer Dankbarkeit aus der Knechtschaft, installieren sie an den Schalthebeln der Macht (Redaktionen) und dort schwingen diese ihre Knöppel. Dann schalten und walten sie fortan und leben sie noch heute, wenn sie nicht...
Glaubt man Gerüchten, gibt es in der Schweiz mindestens eine Sonntagszeitung zu viel. Das neue Sonntagsblatt – Ersatz für ein überzähliges? Zur Auswahl: Die Grösste (SonntagsZeitung)? Die Lauteste (Sonntags Blick)? Die Beste (NZZ am Sonntag)? Oder eben doch, nach der bewährten Devise „Allein gegen alle andern“, die Neue aus dem Hause Blocher (SONNTAGS-Märchen)?
Wäre das des modernen Märchens glückliches Ende? Glücklich für wen?