Derzeit wird in Berlin darüber diskutiert, wie die schönen Pläne, auf die sich die künftigen Koalitionäre in den nächsten Wochen einigen wollen, finanziert werden können. Eine andere Grenze gerät dabei weitgehend aus den Augen: Der zukünftige Strombedarf aufgrund der neuen Projekte dürfte mehr Probleme verursachen als Fragen der Finanzen.
Probleme der Windkraft
Die Erzeugung von Strom ist nicht in erster Linie ein technisches Problem. Rein technisch betrachtet hätte sich in den vergangenen Jahren schon weitaus mehr Strom aus Windenergie gewinnen lassen, als dies bis jetzt der Fall ist. Aber Windräder stossen dort, wo sie aufgestellt werden sollen, auf Widerstände der ortsansässigen Bevölkerung. Das gleiche gilt für Stromtrassen. Wo sie verlegt werden sollen, werden Bedenken laut, und es bringt auch nicht viel, sie aus optischen Gründen unterirdisch verlegen zu wollen. Bauern klagen darüber, dass sich dabei ihr Boden übermässig erwärmt, was wiederum auch auf hohe Energieverluste hindeutet.
Es geht also nur «schleppend voran». Nun haben sich die zukünftigen Koalitionäre in ihren Sondierungsgesprächen darauf verständigt, «Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren» zu verkürzen. So steht es mehrfach in dem «Ergebnis der Sondierungen zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP». Weiter heisst es: «Wir machen es zu unserer gemeinsamen Mission, den Ausbau der Erneuerbaren Energien drastisch zu beschleunigen und alle Hürden und Hemmnisse aus dem Weg zu räumen.»
Beschneidung der Einspruchsrechte
Das hört man gern, denn wer hat sich nicht schon über eine zu träge Bürokratie geärgert. Auf der anderen Seite aber sichert diese zusammen mit den Verwaltungsgerichten die Einspruchsrechte von Bürgern und Verbänden, Umweltschützern zum Beispiel. Sollen diese Einspruchsmöglichkeiten zugunsten der Beschleunigung gestrichen werden? Wenn die zukünftige Regierung sich selbst eine «Mission» zuschreibt, kann sie der Meinung sein, dass sich der Widerspruchsgeist vor Ort dieser Mission schlicht und einfach unterzuordnen hat. Eine Mission duldet keinen Widerspruch. Ob das die Gerichte dann auch so sehen, wird sich erst noch zeigen.
Es klingt zwar gut, dass entsprechend der Sondierungen nur zwei Prozent der deutschen Landesfläche für Windkraft ausgewiesen werden, aber man kann jetzt schon erleben, wie hart im Einzelfall um diese zwei Prozent gestritten wird, wenn diese ausgerechnet vor der eigenen Haustür liegen. Allerdings sollen die Kommunen «finanziell angemessen profitieren». Auch bei den Grünen regiert Geld die Welt.
Sicher ist allerdings, dass das technisch Mögliche sich nicht so umsetzen lassen wird, wie es zu einer Umstellung auf Stromerzeugung aus Wind und Sonne notwendig wäre. Dass in Zukunft auch bei privaten Bauten die Dächer mit Solarpanelen bestückt sein sollen, klingt gut, aber auch das wird die absehbaren Engpässe ebenfalls nicht beseitigen. Denn der Bedarf an elektrischer Energie wird dramatisch steigen. Das hat mit der Erfüllung zweier nicht nur grüner Wünsche zu tun:
Energiefressende Wünsche
Liegt die Zukunft des Autos tatsächlich in elektrischen Antrieben, wird das den Strombedarf ganz erheblich erhöhen. Wenn man sich einmal vor Augen führt, wieviel Energie im heutigen Strassenverkehr mit den Staus als Normalzustand Stunde für Stunde und Tag für Tag umgesetzt wird, kann man davon eine vage Vorstellung gewinnen.
Der zweite Wunsch bezieht sich auf die Digitalisierung. Dieses Wort zieht sich durch das ganze Ergebnispapier der drei Sondierer. Alles muss digitaler werden: Verwaltungen sowieso, natürlich auch Bildungseinrichtungen, Verkehr. Es gibt eigentlich nichts, was sich nicht digital aufmöbeln liesse. Der Haken besteht allerdings darin, dass digitale Infrastrukturen für ihren Betrieb enorme Mengen an Strom verbrauchen.
Vor Kurzem berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass schon jetzt die Serverfarmen in Frankfurt mehr Strom verbrauchen als alle Einwohner der Stadt zusammen. In dem Kapitel «Moderner Staat und digitaler Aufbruch» der künftigen Koalitionäre wird von diversen digitalpolitischen Strategien geschwärmt, zu denen auch die «Blockchain-Strategie» gehören soll. Blockchains sind derzeit im Zusammenhang mit digitalen Währungen ins Gerede gekommen, weil ihr Stromverbrauch exorbitant ist. Mehr Digitalisierung wird den Bedarf an elektrischer Energie ganz enorm erhöhen.
Strom aus Gas?
Woher soll der zusätzlich benötigte Strom aber so schnell kommen, zumal Kohlekraftwerke zunehmend ausser Betrieb gehen sollen? An einer Stelle ist die Rede davon, dass Gaskraftwerke kurzfristig an die Stelle der Kohleverstromung treten könnten. Und die sollen so konstruiert werden, dass sie in Zukunft auf «klimaneutrale Gase» umgestellt werden können. Man darf gespannt sein, worauf sich die Koalitionäre in ihren weiteren Verhandlungen einigen werden, wenn die Gaspreise weiter so steigen, wie es derzeit der Fall ist.
Was geschieht eigentlich, wenn der elektrische Strom eines Tages schlicht und einfach nicht reicht? Diese Engpässe kommen schon jetzt wieder und wieder vor, allerdings noch nicht als längerfristige Mangelsituationen. Aktuell auftretende Ungleichgewichte im Stromnetz werden kurzfristig dadurch ausgeglichen, dass Fachleute fehlende Strommengen auf den Spotmärkten aufkaufen. Das ist ein ausgeklügeltes System, das in der Hand von hoch spezialisierten Ingenieuren dafür sorgt, dass es nicht zu Blackouts kommt. Damit das System funktioniert und auch langfristig stabil bleibt, kann man nicht auf Dauer zu wenig Strom produzieren und Engpässe in Kauf nehmen wie ein Lieferant, der seinem Kunden notfalls mal etwas weniger als die bestellte Ware liefert.
Rückkehr der Kernkraft
Das deutsche Stromnetz ist eng mit dem der umliegenden Länder verknüpft. Kurzfristig überschüssiger Strom wird an diese Länder verkauft, fehlender wird von dort bezogen. Insofern ist es eine schöne Idee, dass Deutschland in Zukunft ganz auf Atomstrom verzichten will. Frankreich macht das nicht. Weil Deutschland, wie auch in dem Sondierungspapier geradezu schwärmerisch hervorgehoben wird, in Europa «als längst tägliche Realität und Heimat» eingebunden ist, profitiert es selbstverständlich indirekt auch vom Atomstrom anderer Länder.
Schon jetzt werden in der FDP einzelne Stimmen laut, die sich für eine Laufzeitverlängerung der restlichen sich noch im Betrieb befindlichen Kernkraftwerke in Deutschland aussprechen. Die Betreiber winken derzeit zwar offiziell ab, aber versichern, dass «technisch gesehen» etwas in dieser Richtung möglich wäre. Mehr müssen sie ja auch nicht sagen. Denn wenn sich das Thema der Stromknappheit zuspitzt und sich immer deutlicher abzeichnet, dass kurzfristig alternative Energien nicht ausreichen, wird eine Regierung «aus Verantwortung» der vergleichsweise emissionsarmen Kernenergie «befristet» ihre Zustimmung nicht verweigern.
Die bittere Pointe besteht darin, dass die schönen Zukunftsvisionen, für die die Grünen nun auch die FDP und die SPD begeistert haben, zu einer Technik zurückführen könnten, die gerade die Grünen unter allen Umständen hinter sich lassen wollten. Die Vertreter der Kernkraft wiederum wollen ihre Technik mit grossen technischen Fortschritten im Zeichen der Sicherheit neu schmackhaft machen. Aber das ist ein anderes Thema.