Wer diese Ausstellung betritt, sollte sich Zeit lassen. Denn die Bilder sind vergleichsweise klein, schwarz-weiss und hängen in den üblichen schmucklosen Rahmen in langen Reihen nebeneinander in den Ausstellungsräumen, als wären sie Buchseiten. Und ein erster Blick enthüllt auch nicht, was denn nun das Grossartige an diesen Werken sein soll.
Die Wirkung des Unscheinbaren
Wenn man sich aber Zeit nimmt und die Bilder auf sich wirken lässt, geschieht etwas Merkwürdiges. Nach und nach geht von diesen Bildern eine Magie aus, die man sich schwer erklären kann. Das Unscheinbare beginnt zu wirken, und es entsteht der Eindruck grosser Harmonie und Stimmigkeit.
Es gibt wohl kaum einen Fotografen, der im Laufe seiner jahrzehntelangen Arbeit derartig viele Bücher publiziert hat wie Robert Adams – vierzig an der Zahl. Diese Bücher sind zu einem Teil in Schaukästen ausgestellt. Neben Landschaftsaufnahmen enthalten sie auch Porträts oder Bilder von Siedlungen und Städten. Einige dieser Bücher sind im Zusammenhang mit Ausstellungen grosser amerikanischer Galerien entstanden.
The Place we live
Es muss also genügend Betrachter geben, die sich von der Stille und der inneren Stimmigkeit der Bilder von Robert Adams gefangen nehmen lassen. Ungewöhnlich ist auch, dass zur Ausstellung in Winterthur kein Katalog, dafür aber zwei ganz unterschiedliche Bücher angeboten werden: ein kleineres, allerdings sehr beeindruckendes Buch unter dem Titel: „What Can We Believe Where? Photographs of the American West“ für 25 SFR. Daneben gibt es ein Buch im Göttinger Steidl Verlag unter dem Titel, „The Place We Live“, in drei Bänden mit 640 Seiten und dem stolzen Preis von 198 CHF.
In den begleitenden Texten des Fotomuseums wird darauf hingewiesen, dass Robert Adams gegenwärtig als der bedeutendste Landschaftsfotograf in den USA gilt. Und stolz verweisen die Aussteller darauf, dass sie 240 Werke „aus allen Phasen von Adams´s 45-jähriger Karriere“ versammelt haben. Auch der Lebenslauf von Robert Adams beeindruckt. Er ist Jahrgang 1937 und hatte ursprünglich vor, als Professor für englische Sprache eine akademische Karriere einzuschlagen. Aber dann packte ihn die Fotografie.
Was wird erklärt?
Adams selbst und seine Kuratoren, Förderer und Verleger bieten als Erklärungen für seine Arbeit zwei Varianten an, die sich durchaus ergänzen: Zum einen sei Adams von der Schönheit der amerikanischen Landschaften fasziniert gewesen, zum anderen habe er unter dem Prozess der Zerstörung gelitten und diesen entsprechend dokumentiert. Diese Erklärungen sind ganz gewiss nicht falsch, aber in der genaueren Auseinandersetzung mit den Bildern merkt man, dass sie eigentlich gar nichts erklären.
Zu erklären wäre ja, worin denn die Faszination dieser Bilder liegt. Kann ein Fotograf über Jahrzehnte ein beachtliches Publikum damit faszinieren, dass er einerseits die Schönheit von Landschaften und auf der anderen Seite ihre Zerstörung fotografiert? Machen das die Aktivisten von Greenpeace nicht auch? Und gibt es nicht viele andere Fotografen, die ebenfalls schöne Landschaften fotografieren und sich dabei, ebenso wie Robert Adams, von einer früheren romantischen Sichtweise emanzipiert haben?
Man stösst hier auf das Phänomen, dass die Sprache der Bilder nicht unbedingt in die Worte der gesprochenen Sprache übersetzt werden kann. Die Bilder von Robert Adams sind so viel reicher als das, was als Erklärung über sie gesagt werden kann. In der Ausstellung stösst man nun auf ein zweites höchst bemerkenswertes Phänomen. Denn es gibt Texte zu einzelnen Bildern, die kleine Erzählungen sind. Adams erzählt also, anstatt abstrakt zu erklären. Das überzeugt viel stärker.
Der Einfluss Edward Hoppers
Aber es gibt eine Erklärung, die aufschlussreich ist. Er sei stark durch die Bilder von Edward Hopper beeinflusst worden, schreibt Adams an einer Stelle. Und tatsächlich erinnert das Lakonische der Fotografien an die Werke von Hopper, und man versteht plötzlich, dass das Beiläufige magisch werden kann, wenn es in seiner Essenz erfasst wird.
Und so lässt sich sagen, dass das Fotomuseum in Winterthur mit Robert Adams nicht nur den derzeit bekanntesten und wohl bedeutendsten Landschaftsfotografen der USA in seine Räume geholt, sondern die vielleicht wichtigste Ausstellung der letzten Jahre realisiert hat. Sie zeigt eine Fotografie, die in ihrer schwarz-weissen Schlichtheit den Betrachter nicht anspringt und überwältigt, sondern ihn zur Meditation einlädt und sich erst dann öffnet. Auch das kann heute noch die Fotografie.
Fotomuseum Winterthur, Robert Adams, The Place We Live, bis 31. August 2014