Die Befürworter der No-Billag-Initiative behaupten, es gehe bei der Vorlage nicht um die Abschaffung des Fernsehens, sondern um die Abschaffung der Gebühren. Das ist eine der zurzeit grassierenden Propagandalügen. Wenn die SRG 75 Prozent der Einnahmen verliert, kann sie nicht sinnvoll weitermachen. Dann gibt es auch keine „Tagesschau“ mehr. Wer sagt, der freie Markt würde der SRG genug Geld zufliessen lassen, ist entweder wirklichkeitsfremd oder betreibt bewusst eine scheinheilige Kampagne.
Die Medien befinden sich in der Krise. Die Auflagen der Zeitungen sinken. Vor allem die Jungen sind nicht mehr bereit, für Informationen zu zahlen. Die Werbung wandert zu Google, Facebook und Twitter ab. Den Zeitungen fehlt das Geld; Redaktionen werden ausgedünnt. Es fehlen immer mehr die Mittel und die Zeit, um seriöse journalistische Arbeit zu leisten. Die sozialen Medien verbreiten Fake News und Desinformation. Hemmungslos werden Falschmeldungen in die Welt gesetzt. Die weltumspannenden IT-Konzerne bestimmen immer mehr, was wir zu lesen und zu sehen haben. Alternative Fakten werden zunehmend auch von seriösen Medien verbreitet. Es gibt immer weniger „Schleusenwärter“, „Gatekeepers“, die die Informationsspreu vom Informationsweizen trennen. PR verdrängt zunehmend den klassischen Journalismus. „Wir sind im Begriff, die Glaubwürdigkeit unserer Medien zu verspielen und damit die Essenz unserer Demokratie“, schreibt Stephan Russ-Mohl, Medienprofessor an der Universität Lugano, in seinem neuesten Buch. *)
Die Quote hat sie ohnehin
Gerade in einer Zeit, in der man nicht mehr weiss, was richtig oder gefälscht ist, wird es immer wichtiger, dass es eine Sendung wie die „Tagesschau“ gibt. Sie muss nicht nach Quoten lechzen und mit Sex-and-Crime-Berichten Publikum anziehen. Die Quote, ihr Stammpublikum, hat sie ohnehin. Und das sind viele Hunderttausend. Trotz Online-Angeboten und Gratismedien bleibt die Zuschauerzahl recht stabil.
Die Tagesschau ist ein Anker in der heutigen turbulenten Medienwelt. Da arbeitet eine professionelle, erfahrene Crew im besten Wissen und Gewissen und kämpft tagtäglich für eine anspruchsvolle, seriöse Berichterstattung. Damit hebt sich die Sendung von all dem Informationsmüll ab, der heute da und dort verbreitet wird.
Mehr Boulevard, mehr Verbrechen?
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Privaten möglichst viel Publikum brauchen, um Werbeeinnahmen zu generieren. Würde die Tagesschau dem freien Markt ausgesetzt, würde die Sendung ziemlich anders aussehen. Die Privaten in andern Ländern machen uns das vor: mehr Boulevard, mehr Unfälle und Verbrechen, mehr Human Touch, weniger Auslandsberichterstattung. Und: Wollen wir eine Tagesschau, die von Katzenfutter- oder Tampon-Reklame unterbrochen wird?
Eine der Stärken der Tagesschau ist es gerade, dass sie auch Themen aufgreift, die keine Strassenfeger sind, die aber zu einer seriösen, relevanten Berichterstattung gehören: Für den Krieg in Syrien interessiert sich kaum jemand mehr; Blut und Konflikte bringen keine Quoten. Im Gegenteil: da zappt man weiter. Also sprechen die Privaten nicht über Kriege und reden doch lieber über Prinz Harry und seine Meghan. Doch es gehört zu den Aufgaben einer seriösen Nachrichtensendung, dass sie auch über Konflikte berichtet. Wer die Welt verstehen will, soll möglichst umfassend informiert werden, auch wenn es teils unschöne Informationen sind.
Rücksichtnahme auf Minderheiten
Oder die Berichterstattung aus dem Bundeshaus: Die Privaten würden nicht über die oft langweiligen Parlamentsdebatten berichten; die bringen keine Quoten. Die Tagesschau tut es, weil sie den Auftrag und die Pflicht hat, über das politische Geschehen in unserem Land ausführlich zu berichten.
Die Privaten peilen vor allem die Bevölkerung in den Städten und den grossen Agglomerationen an. Dort wird mit Werbung Geld verdient. Die Randregionen, die Minderheiten interessieren die Privaten nicht. Die Tagesschau jedoch, und natürlich auch die Schwestersendungen „Schweiz aktuell“ und „10vor10“ berichten auch aus den hintersten Tälern. Rücksichtnahme auf Minderheiten gehört zur Schweiz und zur SRG. Die Privaten interessiert das nicht. Auch für die anderen Landesteile gibt es kaum privates Interesse. Die Tagesschau hingegen pflegt einen täglich intensiven Kontakt mit dem Fernsehen in Genf und Comano bei Lugano.
Die dauererregten Fernsehhasser
Aber natürlich wollen die Fernsehhasser, die sich im Zustand der Dauererregung befinden, solche Argumente gar nicht hören. Es ist unglaublich, welchen Unsinn unsere notorischen Besserwisser und Stammtisch-Schwätzer über das Fernsehen erzählen. Auch wenn ihnen jedes Basiswissen fehlt, schwingen sie sich zu selbsternannten Medienexperten auf. Auch Politiker gehören dazu.
Vor allem rechtsnationale Kreise benutzen die Medien immer wieder als Prügelknabe und hoffen, damit bei einem Teil der Bevölkerung Sympathien zu ernten. So schnattern sie denn von der „linken Tagesschau, die die Bevölkerung einer Gehirnwäsche unterzieht“. Fordert man sie auf, Belege für die Linkslastigkeit vorzulegen, herrscht plötzlich Stille im Wald.
„Linke Gehirnwäsche“
A propos „linke Tagesschau“. Die SVP, aus deren Kreise solche Kritik immer wieder zu hören ist, ist die stärkste Partei in der Schweiz. Wie konnte sie das nur werden? Offenbar hat die linke Gehirnwäsche der Tagesschau nicht funktioniert – oder eben: es gibt sie nicht.
„Links“ ist für viele einfach all das, was ihnen nicht in den Kram passt. Ich lud einmal einen der Fernseh-hassenden SVP-Nationalräte auf die Tagesschau-Redaktion ein. „Wollen sie mich manipulieren?“ sagte er. „Nein, wir wollen ihnen zeigen, wie wir arbeiten und wie wir funktionieren.“ Er ist nie gekommen. Fakten, die seine Meinung erschüttern könnten, will er gar nicht hören. So plaudert er denn weiter vom „linken Fernsehen“.
„Skandal, linkes Fernsehen, einseitige Berichterstattung“
Die Tagesschau hat die Aufgabe, Themen kontrovers zu behandeln. Und das tut sie peinlichst genau, denn die Redaktion weiss, dass sie im Glashaus sitzt. Spricht ein Linker, holt man sich die Reaktion eines Rechten ein – und umgekehrt. Spricht ein Arbeitgeber, holt man sich die Reaktion eines Arbeitnehmers ein – und umgekehrt.
Ich nahm einmal an einer Versammlung im Schweizer Mittelland teil. Ein wütender SVP-Kantonsrat attackierte mich: Gestern haben sie einen langen Bericht über die Medienkonferenz der SP gebracht: „Skandal, linkes Fernsehen, einseitige Berichterstattung.“ Ich fragte ihn, ob er wisse, dass die Tagesschau in der Woche zuvor einen langen Bericht über einen SVP-Parteitag gebracht hätte. „Nein, den habe ich nicht gesehen, da war ich beim Skilaufen.“ Gelächter im Saal.
Gut eingespieltes Team
Die Tagesschau produziert täglich fünf Sendungen und über 60 Minuten News – eine riesige Aufgabe. Da sind gut eingespielte Journalistinnen und Journalisten am Werk. Sie alle haben ein langes internes Ausbildungspensum hinter sich. Der Beruf verlangt viel Hintergrundwissen und enorme Flexibilität. Berichte werden manchmal täglich Dutzende Male der Aktualität angepasst. Selbst während den Sendungen werden noch neueste Informationen nachgeschoben. Verlangt wird Stressresistenz und gute Nerven. Die Redaktion verfügt über eine gute Mischung von sehr erfahrenen älteren und jüngeren Journalisten. Die Redaktionsmitglieder erhalten Informationen nicht nur von ihren Korrespondenten im In- und Ausland, sondern auch von den grossen Nachrichtenagenturen (SDA, Reuters, AP, afp, DPA, Bloomberg etc.) sowie den Fernsehagenturen (Reuters TV und APTN).
Dieser vielfältige Input erlaubt es der Redaktion, abzuwägen und sich ein ausgewogenes Bild zu den Ereignissen zu bilden. Man verfügt nicht nur über eine Quelle, sondern über mehrere. Ferner steht ein professionell geführtes riesiges Archiv zur Verfügung. Die Kontrollmechanismen sind fein abgestimmt. Jeder Text wird – bevor er auf Sendung geht – sowohl von einem Vize-Produzenten als auch von einem Chefproduzenten bis aufs letzte Detail geprüft und abgenommen.
Glaubwürdig, quaitativ hochstehend
Folge davon ist, dass kaum Fehler passieren. Natürlich werden auch gegen die Tagesschau, wie gegen alle Sendungen, Beanstandungen von Zuschauern beim Ombudsmann und der Unabhängigen Beschwerdeinstanz UBI eingereicht. Pro Jahr sind es 10 bis 20 Zuschauerinnen und Zuschauer, die beim Ombudsmann vorstellig werden – ein sehr tiefer Wert. Von diesen 10 bis 20 werden im Durchschnitt 0 bis 2 teilweise oder ganz gutgeheissen. In den letzten sechs Jahren gelangten nur zwei Beanstandungen an die höhere Instanz, an die UBI; beide wurden abgelehnt. In Anbetracht des riesigen Outputs der Tagesschau, sind das hervorragende Werte.
Die Tagesschau geniesst deshalb einen ausgezeichneten Ruf. Eine Studie des „Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft“ (fög) setzt die Tagesschau neben dem „Echo der Zeit“ an die Spitze der glaubwürdigen und qualitativ hochstehenden Sendungen.
Wollen wir das alles preisgeben und die Tagesschau als Spielball dem freien Markt überlassen?
Diktat von Milliardären und Oligarchen?
Fernsehen machen kostet Geld. Natürlich stehen hinter den Privaten, die Fernsehen machen oder machen wollen, Interessengruppen – welcher Art diese auch immer sind. Sicher ist nur, es sind Interessengruppen, die Geld haben. Und sie wollen sicher nicht, dass etwas gegen ihre Interessen gesendet wird. Wollen wir also eine Tagesschau einer Interessengruppe ausliefern? Wollen wir von Milliardären und Oligarchen diktiert bekommen, wie die Welt aussieht? Eine unabhängige Berichterstattung wäre damit höchst gefährdet.
Gerade in einer Zeit, in der die Zeitungen, vor allem auch die einst führenden Leitmedien, einen schleichenden Qualitäts- und Imageverlust erleiden und teils ideologisiert werden, ist eine sachliche Fernsehinformation, wie sie die Tagesschau bietet, wichtig – auch für die Demokratie.
Politische, wirtschaftliche und kulturelle Informationen sind ein allzu kostbares Gut, um sie privaten Anbietern mit einer ideologischen Mission zu überlassen – oder Leuten, die nur an den Profit denken.
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Der Autor dieses Berichts arbeitete 37 Jahre für das Schweizer Fernsehen. Er war Korrespondent, Auslandchef und über fünf Jahre lang Tagesschau-Chef.
*) Stephan Russ-Mohl: Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde. Herbert von Halem-Verlag, Köln 2017.