Die herrschenden Offiziere sagten, "Ja !", sie würden durchgeführt. Doch auf dem Tahrir-Platz tobt seit Tagen eine gewaltige Masse von Protestierenden, die den Platz solange nicht zu verlassen geloben, bis die Offiziere ihre Macht einer zivilen Autorität übergeben.
Werden die Wahlen zur blossen Fassade?
Diese Demonstranten sind zur Ansicht gelangt, es habe keinen Sinn, die Wahlen jetzt durchzuführen, ja es sei gefährlich, weil die herrschenden Offiziere offensichtlich gesonnen seien, die Wahlen so zu beeinflussen, dass das Resultat ihren Zielen entspreche. In der Tat haben die Offiziere dies deutlich gezeigt. Sie scheinen sogar gewillt, ihre politischen Ziele durchzusetzen, indem sie die noch zu wählenden demokratischen Instanzen übergehen, falls diese sich nicht ihren Absichten fügen.
Die Absichten der Armeeführer
Dies geht am deutlichsten aus den Diskussionen der letzten Wochen hervor, welche sich um ein Dokument der Richtlinien für die künftige Verfassung Ägyptens drehten. Das Dokument wurde von den Offizieren verfasst. Sie beauftragten die Regierung, es mit den Parteien zu diskutieren. Verbesserungen dafür wurden vorgeschlagen, doch ist ungewiss, ob die Offiziere diese Verbesserungen akzeptiert haben, und man weiss auch nicht, ob dieses Dokument nun als gültig und wegweisend zu gelten hat, oder nicht.
Hauptstreitpunkt und Stein des Anstosses in dem Dokument waren Bestimmungen, die das Budget der Streitkräfte der Kontrolle des künftigen Parlamentes entzogen hätten. Umstritten ist auch, dass der Militärrat ermächtigt werden soll im Falle des "Versagens" der noch zu wählenden Verfassungsversammlung, selbst eine zweite Verfassungsversammlung zu ernennen, indem sie 80 von 100 Mitgliedern der Verfassungskommission eigenmächtig bestimmen und nur 20 aus der gegenwärtig zu wählenden Verfassungsversammlung auswählen würden. Auch eine Rolle der Streitkräfte als "Beschützer der Verfassung" sollte in diesem Dokument festgelegt werden.
Eine militärisch kontrollierte Versammlung?
All dies scheint zu bedeuten, dass die Ägypter veranlasst werden sollen, in einer überaus komplizierten Wahl, die sich bis in das kommende Jahr hinziehen würde, eine Verfassungsversammlung zu wählen, die nicht wirklich souverän wäre, sondern vielmehr nur wirken könnte, wenn sie Anordnungen träfe, die den Vorstellungen der Militärs entsprächen. Auch die künftige Regierung Ägyptens würde, wenn es nach dem Dokument gehen soll, aus der zu wählenden Verfassungsversammlung in Übereinstimmung mit den Armeekommandanten ernannt werden.
Wahlen unter Aufsicht der Ex-Regierung
Zur Zeit hat Ägypten keine Regierung, respektive deren zwei; die bisherige ist zurückgetreten, und die Offiziere haben ihren Rücktritt angenommen, ein neuer Ministerpräsident wurde vom Offiziersrat ernannt, Kamal Ganzouri, Jahrgang 1933 und ehemaliger Ministerpräsident Mubaraks zwischen 1996 und 1999. Er hat sich jedoch von Mubarak distanziert, als die Erhebung gegen ihn im vergangenen Dezember begann, und er gilt als von der Korruption jenes Regimes unberührt. Die Ägypter hatten ihn damals sogar "den Minister des Volkes" genannt. Für die jugendlichen Demonstranten jedoch ist er ein "alter Mann" aus der vergangenen Generation.
Ganzouri hat erklärt, er sei nicht in der Lage, eine neue Regierung noch vor den Wahlen zu bilden. Diese werden demnach unter der Verantwortung der zurückgetretenen aber die laufenden Geschäfte weiter führenden bisherigen Regierung, Ali al-Salmi, beginnen. Das den Demonstranten besonders verhasste Innenministerium wird sie leiten. Dies ist das gleiche, immer noch nicht reformierte Ministerium, dem die etwa 850 getöteten Demonstranten der Unruhen unter Mubarak sowie die weiteren Hunderte von Opfern, die es seither gegeben hat, in erster Linie anzulasten sein dürften.
Drei Demonstrationsbühnen statt einer
Doch die Demonstranten sind nicht mehr die gleichen, die zur Zeit des Sturzes Mubaraks das Geschehen bestimmten. Und auch die Stimmung auf dem Tahrir-Platz hat sich verändert. Zurzeit gibt es drei Zentren für Kundgebungen in Kairo und drei verschiedene Ausrichtungen von Demonstranten. Den Tahrir-Platz halten seit dem 19. November die Demonstranten der ersten Stunde und ihre Sympathisanten und Mitläufer. Sie sind die Gruppe, die nicht weichen will, bis die Militärs die Macht abtreten und welche die Wahlen zu boykottieren versucht, weil sie nicht ohne Grund fürchtet, sie würden sich als eine demokratische Kulisse erweisen, die den Militärspitzen dazu diente, ihre Macht im Schatten einer von ihnen manipulierten Versammlung zu verewigen – so, wie dies unter Mubarak geschah.
Die Ultras vom Fussballplatz an der Front
Die Tahrir-Manifestanten haben in den letzten Monaten Verstärkung durch die sogenannten Ultras erhalten. Diese sind ursprünglich die Parteigänger der beiden führenden Fussballclubs Kairos und damit Ägyptens. Vor der Revolution lieferten sie sich und der Polizei mit Vorliebe Strassenschlachten. Seit der Revolution ergriffen sie die Gelegenheit, auch ohne den Anlass von Fussballspielen gegen die Polizei zu kämpfen. Sie tun dies semi-professionell so aggressiv wie möglich mit Steinen und Molotow Cocktails und einem offenbaren Gefallen daran, sich gefährlich und gewalttätig auszuleben.
Ihre Hilfe hat es seit dem 19. November den Protestgruppen ermöglicht, ihre Positionen auf dem Tahrir-Platz gegen den Ansturm der Polizei zu halten, allerdings zu dem Preis von über 40 neuen Todesopfern. Gegenwärtig hat die Polizei offenbar Weisungen, sich einigermassen zurückzuhalten und Todesopfer durch Schüsse unbedingt zu vermeiden. Doch sie setzt weiter Tränengas ein, und ein Demonstrant war am 25. November von einem Polizeifahrzeug überfahren worden und starb. Die Polizisten hatten mit ihrem Fahrzeug die Flucht ergriffen, als sie mit Molotow-Cocktails der Ultras angegriffen wurden.
Helden oder Randalierer?
Die Ultras sind für einige der Demonstranten Helden, die ihr Leben einsetzen, um die Belange der Revolution zu retten, doch andere der Aktivisten erkennen, dass ihre Neigung zur Gewalt Gegengewalt auf den Plan rufen muss und den Sicherheitskräften, sobald sie die Stunde dafür als gekommen erachten, die Rechtfertigung liefern wird, ihrerseits mit extremer Gewalt vorzugehen.
Da nun auch die Armee diesen Sicherheitskräften den Rücken stärkt, (die Armeepolizei befindet sich mit der Polizei auf den Strassen), ist das Kräfteverhältnis so, dass die Protestbewegung auf dem Tahrir-Platz sich solange halten kann, als die Offiziersführung dies aus taktischen Gründen duldet. Doch ihr Hauptziel, der Rücktritt der Militärs, werden sie schwerlich durchsetzen können.
Zwei Gegendemonstrationen
Es gibt auch zwei mehr oder weniger permanente Gegendemonstrationen. Die eine tritt klar für die Armee ein und dürfte durch sie und die Sicherheitskräfte instrumentalisiert sein. Die andere aber besteht aus den Muslim-Brüdern. Deren politische Partei, "Gerechtigkeit und Freiheit", rechnet sich gute Chancen aus, als die erste politische Kraft aus den Wahlen hervorzugehen.
Die Brüder befürworten die Wahlen
Die Brüder haben in den letzten Tagen die Umgebung der al-Azhar-Moschee in der Altstadt von Kairo als Zentrum für ihre Demonstrationen gewählt. Viele der Geistlichen der Azahr und sogar deren Spitzen begünstigen sie explizit. Sie suchen ihre Massen auf die Strasse zu bringen, um für die Durchführung der Wahlen einzutreten. Ihre Strategie geht darauf aus, die Legitimität einer gewählten Mehrheit für sich zu gewinnen und diese dann einzusetzen, wenn das Ringen um das Ausmass der Vollmachten beginnen wird, welche den Volksvertretern in dem auch von den Militärs verheissenen, kommenden demokratischen Ägypten zustehen werden.
Für sie, die seit sechs Jahrzehnten durch die eiserne Hand der Militärmachthaber von der Macht ausgeschlossen blieben, wäre es schon ein klarer Gewinn, sich zunächst mit den Offizieren in die Macht zu teilen. Später könnten sie immer noch darauf hinarbeiten, die volle Herrschaft über das Land zu gewinnen.
Die Muslim-Brüder gegen die Demonstranten
Die Brüder sind damit die Vorkämpfer einer graduellen Strategie zur Errichtung einer vollen Demokratie. Die Demonstranten auf dem Befreiungsplatz kämpfen ihrerseits für eine endgültige Machtverschiebung, bevor sie den Aufbau eines neuen demokratischen Regimes in Angriff nehmen.
Wenn die Wahlen wirklich durchgeführt werden, erleiden sie einen Rückschlag und die Muslim-Brüder dürften ihren Zielen näher kommen. Doch wenn die Wahlen entweder abgeblasen werden müssen oder im Chaos versinken, weil der Widerstand der Revolutionsgruppen und der streikenden revolutionären Gewerkschaften sie zum Scheitern bringt, könnte es nur zu leicht geschehen, dass weder die Muslim-Brüder noch die Revolutionsgruppen davon profitieren, weil dann die Lösung des starken Mannes oder der starken Männer aus dem Militär einmal mehr als der einzige Weg dastehen würde, um Ägypten aus dem Chaos zu retten.
Möglicherweise stellen die Militärs diese Möglichkeit in Rechnung. Sie verfolgen wohl eine Doppelstrategie, die darauf ausgeht, entweder die Wahlen durchzuführen und ihren Einfluss auf das Wahlresultat und auf die Gewählten auszuüben, oder wenn dies unmöglich sein sollte, soviel Chaos entstehen zu lassen, dass ihre Macht zu dessen Bändigung unentbehrlich würde.
Wachsende "Sofa Partei"
Die Ägypter, Weltmeister im Galgenhumor, haben auch schon das Wort für die Partei geprägt, die in ihrem Land beginnt zu wachsen und droht überhand zu nehmen, wenn das Chaos immer gefährlicher wird. Sie sprechen von der "Sofa Partei" jener Millionen und Abermillionen, die auf dem Sofa sitzen und von dort aus das politische Geschehen übers Fernsehen verfolgen.