Nein, es gibt keine auch nur im Ansatz überzeugende Rechtfertigung für das, was die Fraktionen von CDU und FDP in der vergangenen Woche im Landtag der thüringischen Hauptstadt Erfurt getan haben. Ob abgesprochen (na, selbstverständlich. Was denn sonst?) oder nicht – beim Verwirklichen der Absicht, die Minderheitskoalition aus kommunistischer Linker, Sozialdemokraten und Grünen des schon vorher regierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow aus dem Sattel zu heben, sogar auf die Hilfe der extrem rechte Alternative für Deutschland (AfD) nicht zu verzichten, war ein Skandal! Basta!
Und zwar nicht nur, weil alle beteiligten Parteien vorher zig-mal ge- und beschworen hatten, mit jenen Kräften keine Gemeinsamkeiten herzustellen; also jetzt massiven Wortbruch begangen haben. Sondern ganz einfach deshalb, weil es auch noch 75 Jahre nach dem Ende des entsetzlichen Krieges eine verpflichtende Selbstverständlichkeit für sämtliche Demokraten sein müsste, alle Kräfte mit Bann zu belegen, denen Freiheit, Toleranz, Offenheit und Liberalität nichts gilt und die Deutschlands dunkelsten Abschnitt – die Nazizeit – als einen „Fliegenschiss der Geschichte“ zu verniedlichen zu versuchen.
Gilt noch der Glaube an Demokratie?
Natürlich sind bei weitem nicht alle Wähler und gewiss auch nicht alle Mitglieder dieser politischen Rechtsaußen verkappte Alt- und Neu-Nazis. Aber Leute wie der thüringische AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke ist einer. Und wer es nicht glaubt, braucht den Namen nur im Internet anzuklicken und schon werden ihm aus allen Kanälen die schier unglaublichsten Zitate um die Ohren fliegen. „Bonn ist nicht Weimar“ hatte der schweizer Journalist und Autor Fritz René Allemann 1956 in einem Buch über die, seiner Überzeugung nach, damals schon fundierte junge deutsche Demokratie attestiert. Inzwischen ist Bonn nicht mehr Hautstadt und Deutschland wieder vereinigt – zu einem neuen Deutschland. Nach dem dreisten Coup von Erfurt ist es kein Wunder, dass inner- und ausserhalb der Grenzen die Frage zu vernehmen ist, ob denn wohl das demokratische Testat von einst noch gilt.
Es ist mittlerweile ja einiges von dem ans Tageslicht gekommen, was es im Vorfeld der skurrilen Ministerpräsidentenwahl an Kontakten, Mails und Treffen zwischen den beteiligten Parteizentralen und diversen Personen in Berlin und Thüringen gab. Trotzdem ist es selbst für aufmerksame Beobachter der Szene noch immer nicht eindeutig klar, ob bei CDU und FDP möglicherweise vor allem Dummheit der Grund dafür war, dass beide Parteien die listige Verschlagenheit Höckes und seiner Truppe nicht erkannten. Oder aber (und das wäre noch viel schlimmer), ob es innerhalb der Landtagskollegenschaft insgeheime Kumpaneien gibt. Wer sich nicht erst in jüngster Zeit mit Thüringen und anderen „neuen“ Bundesländern beschäftigt hat, weiss, das dort das Parteien- und das Wählergefüge noch immer nicht sonderlich gefestigt sind. Mit Sicherheit befinden sich heute zahlreiche Leute, die (zumal während der Ministerpräsidenten-Zeit von Bernhard Vogel) jahrelang der CDU Gefolgschaft leisteten und heute bei den Nationalisten gelandet sind. Nicht umsonst auch hat die so genannte Werteunion – eine Vereinigung besonders konservativer CDU-Anhänger – viele Freunde in der Erfurter Fraktion.
Mehrfach umgetaufte SED
Prinzipiell nicht viel anders verhält es sich bei der Partei „Die Linke“. Dabei handelt es sich (und das ist keine ungerechtfertigte Verunglimpfung) um nichts anderes als um die mehrfach umgetaufte einstige SED. Also um die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, hervorgegangen nach dem Krieg aus einer Zwangsvereinigung von KPD und SPD in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone. Nach dem vor allem von der Bevölkerung erzwungenen Zusammenbruch des DDR-Regimes war es der spätere Parteichef Gregor Gysi, der 1989 die Selbstauflösung mit Hinweis auf den dann drohenden Verlust des außerordentlich beträchtlichen Parteivermögens verhinderte. Bis heute ist noch nicht geklärt, wohin dieses Vermögen seinerzeit verschoben wurde. Jedenfalls: Aus der SED wurde PDS-SED, danach PDS und schließlich – nach Vereinigung mit der westdeutschen WASG (WahlAlternative Arbeit und Gerechtigkeit) – Die Linke. Es gehört, ohne Zweifel, zu deren größten Erfolgen, dass sie heute von der breiten Öffentlichkeit als eine „normale, demokratische Partei“ wahrgenommen wird. Erheblichen Verdienst daran haben Personen wie Bodo Ramelow, dessen persönliches Ansehen und Beliebtheit in Thüringen manche dunkle Flecken in manchem Parteibuch seiner Freunde überdeckt. Wo ist die politische Mitte geblieben, die dem Land bisher Stabilität und Wohlstand bescherte?
Haben sich nicht wenige Beobachter in der Vergangenheit verwundert die Augen gerieben, dass die einst von den Bürgern verjagten Kräfte rund 30 Jahre später unter neuem Namen glorreiche Wiederauferstehung feiern konnten, so muss man jetzt kein Prophet sein, um Ramelow und seinen Linken einen Triumph vorherzusagen für den (wahrscheinlichen) Fall, dass es in Thüringen demnächst Neuwahlen geben wird. Erstens braucht das Land eine handlungsfähige Regierung, zweitens sind zumindest die blamierten Bundesparteizentralen von CDU und FDP im Berlin im Wort, drittens werden sich die an der Spree mitregierenden Sozialdemokraten die Chance nicht entgehen lassen, zurecht und mit ständigem Druck auf eine Neuansetzung der Landtagswahl zu drängen. Es ist allerdings ebenso wenig seherische Gabe vonnöten, um in diesem Fall Christ- wie Freidemokraten in Erfurt ein Debakel zu prophezeien. Kein Wunder daher, dass diese sich mit Händen und Füßen wehren, die Bürger erneut an die Urnen zu rufen.
Politposse schüttelt Berlin durch
Was im kleinen Freistaat Thüringen vor einigen Tagen als Politposse begann, rüttelt also längst ordentlich die „grosse Politik“ durch. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer muss zum Beispiel um den Fortbestand ihrer Autorität bangen. Sie fordert (der Kanzlerin Angela Merkel darin folgend) Neuwahlen in Thüringen. Doch die dortigen Freunde zeigen ihr eine Nase. Klar, müssen sie doch um ihre Mandate fürchten. Der lange Zeit sozusagen das „Gesicht der Liberalen“ präsentierende FDP-Vorsitzende Christian Lindner wirkt in diesen Tagen eher wie ein Bub, den man auf einer Missetat ertappt hat. Oberwasser hat – leider Gottes ist es so – ausschließlich der Polit-Rechtsaußen AfD. Deren Ex-Vorsitzender, Alexander Gauland, kann sich sogar den Spass machen, bei Linken und Sozialdemokraten Entsetzen mit dem blossen Satz auszulösen, er überlege, seinen Freunden in Erfurt vorzuschlagen, den bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow mitzuwählen.
Ja, in der Tat, wie wäre das denn, und welche Konsequenz müsste in diesem Fall der alte und neue Regierungschef ziehen? Seine Partei allein verfügt nicht über genügend Stimmen, das gemeinsame Bündnis mit Sozialdemokraten und Grünen auch nicht. Dürfte Ramelow in diesem Fall – es ist ja eine geheime Wahl – die Hilfe der Rechtsextremen annehmen? Vielleicht würden ihm ja eine Handvoll Christ- oder Freidemokraten helfen. Gewiss aber ist das nicht.