Die neue Unruhewelle um die al-Aqsa-Moschee in Jerusalem begann am 14. Juli. An jenem Tag erschossen drei palästinensische Täter zwei israelische Polizisten, Drusen und damit auch Palästinenser, unmittelbar vor dem Eingangstor zum Areal der Aqsa. Ein dritter Polizist wurde verletzt. Die Täter flohen auf das Aqsa-Gelände und wurden von der israelischen Polizei dorthin verfolgt und erschossen.
Metalldetektoren
Die Polizei ist davon überzeugt, dass die Angreifer mit ihren Waffen aus dem Aqsa-Gelände kamen, um ihre Attacke durchzuführen. Die Polizei schloss die Zugänge zum gesamten Moscheenkomplex und durchsuchte alle Gebäude. Sie fand aber keine weiteren Waffen ausser Messern und ähnlichem. Die Polizei nimmt an, dass die beiden Schusswaffen, die dem Anschlag dienten, in die Moschee geschmuggelt worden waren, bevor sie von dort aus verwendet wurden.
Dieser Vorfall löste den Entschluss aus, Durchgänge mit Metalldetektoren installieren. Die Palästinenser, besonders jene von Ostjerusalem, protestierten gegen diese Massnahme, und die Geistlichkeit, angeführt vom Mufti von Jerusalem, Muhammed Ahmed Hussain, unterstützte den Protest.
Die Sonderregeln für die al-Aqsa Moschee
Es gibt fein austarierte Übereinkünfte über al-Aqsa zwischen den israelischen Behörden, dem jordanischen Königreich, das als Schutzherr der Moschee fungiert und ein Komitee für ihre Leitung ernannt hat, und der lokalen Geistlichkeit unter dem Mufti. Die Palästinenser sind der Ansicht, dass die israelische Massnahme gegen diese Verträge verstösst. Sie führen an, dass der Strom aus Tausenden von Betenden, der sich jeden Freitag in die Moschee ergiesst, aufgehalten oder behindert würde.
Sicherheitsverantwortung führt zu Kontrolle
Doch schwerer als dieses Argument wiegt für die Palästinenser und die Geistlichen das Misstrauen, das die israelischen Massnahmen ausgelöst haben. Sie sehen in ihnen einen ersten Schritt, um die Kontrolle über die al-Aqsa in die Hand zu nehmen – ungeachtet der seit der Besetzung Ostjerusalems von 1956 bestehenden Ordnung, welche die Kontrolle über die Moschee Jordanien zuweist und daher aus ihrem Gelände das letzte Stück eines palästinensischen Jerusalems macht, das sich nicht in den Händen der israelischen Besetzungsmacht befindet. Die Moschee wird dadurch zu einem religiösen und zugleich zu einem nationalen Symbol. Die Palästinenser verweisen auch auf die Vorgänge, die sich in der Moschee von Hebron abspielten. Die Israelis erklärten sich dort zuerst für die Sicherheit in der Moschee zuständig, die für Muslime und Juden ein Heiligtum ist, weil dort Abraham begraben sein soll. Dann wurde die Moschee zwischen Muslimen und Juden geteilt.
Über diese Querelen um die Moschee hinaus beruht das Misstrauen der Palästinenser auch auf dem Umstand, dass die Israelis im Namen der Sicherheit die israelisch besetzten Westjordan-Gebiete dominieren und ihre Übermacht dazu benutzen, in diesen Gebieten immer mehr eigene Siedlungen zu bauen.
Kampfparole des Mufti
Der Mufti forderte die Gläubigen auf, sich zu weigern, in der al-Aqasa zu beten, solange die elektronischen Sicherheitspassagen dort blieben. Stattdessen rief er zum Gebet auf den Strassen und vor den Toren des Moscheegeländes auf. Am Freitag, dem 21. Juli, wurden in allen anderen Moscheen Jerusalems die Tore geschlossen, damit die Menge der Betenden vor der al-Aqsa zunahm.
Die Israelis ihrerseits schlossen bis auf eines sämtliche Stadttore zur ummauerten Altstadt von Jerusalem, um den Zulauf von Muslimen aus dem Vororten Jerusalems einzudämmen. Zum Gebet auf der Strasse fanden sich Hunderte von Personen ein. Unmittelbar nach dem Gebet begann die israelische Polizei, die Teilnehmenden mit Tränengas zu vertreiben mit der Begründung, die Strasse müsse zur Durchfahrt freigehalten werden.
Protestwelle in den Besetzten Gebieten
Nicht nur an dieser Stelle, sondern auch an vielen anderen – in den von Muslimen bewohnten Vorstädten Jerusalems und in den Westjordan-Gebieten – kam es zu Zusammenstössen mit der Polizei. Dabei warfen Halbwüchsige und Jugendliche Steine auf die Polizisten. Tränengas, Gummigeschosse und in einigen Fällen scharfe Munition waren die Antwort der Sicherheitskräfte. Die Zusammenstösse setzten sich am Samstag fort, und am Sonntag schlossen die Händler der Altstadt ihre Läden, um ihre Solidarität mit den Opfern des Vortags zu demonstrieren.
Mordanschlag auf israelische Zivilisten
Am Samstagabend drang ein Palästinenser aus Kubra, einem Dorf bei Ramallah, in der jüdischen Siedlung nah bei Ramallah, die Helamish genannt wird, in ein Privathaus ein und tötete dort drei Personen mit einem Messer. Eine vierte Person wurde verletzt. Der Eindringling wurde angeschossen und ebenfalls schwer verletzt. Er hatte zuvor auf Facebook erklärt, er gedenke als Märtyrer für al-Aqsa zu sterben.
Tote und verwundete Palästinenser
Auf der palästinensischen Seite gab es bis jetzt auch drei Todesfälle sowie nach den Aussagen des palästinensischen Roten Kreuzes 390 Verletzte, die meisten durch Tränengas, jedoch 38 durch Gummigeschosse und scharfe Munition. Die israelischen Sicherheitskräfte nahmen 10 Palästinenser in Jerusalem fest und weitere 17 ausserhalb der Altstadt. Sie verhafteten auch 25 Mitglieder von Hamas. Es seien „hochrangige Mitglieder“, gaben sie bekannt, und sie seien präventiv in Haft genommen worden.
Hamas hatte den Mörder der drei israelischen Zivilisten einen Helden genannt. Mahmud Abbas, der Präsident der Palästinensischen Autorität, die mit Hamas in bitterem Streit liegt, soll nach der Darstellung seines Büros mit Ministerpräsident Netanjahu telefoniert haben. Er habe erklärt, er verurteile energisch die Untat in der al-Aqasa wie auch alle anderen Gewaltaktionen von allen Seiten, besonders solche, die in Kultstätten verübt würden.
Das israelische Sicherheitskabinett besprach die Vorfälle, doch es überliess schliesslich die Entscheidung, ob die elektronischen Kontrollgeräte verbleiben sollten oder ob man auf die Wünsche der Palästinenser eingehen wolle, den Polizeikräften selbst. Vorläufig verbleiben die Kontrollsperren. Doch die Regierung hat angedeutet, dass sie Gespräche mit Jordanien führen will, in der Hoffnung, dass Methoden gefunden werden könnten, welche die Sicherheit ohne die elektronischen Geräte gewährleisten. Kleinere Gruppen der Palästinenser von Jerusalem fuhren fort, aus Protest auf den Strassen zu beten. Sie erklären, sie würden von den Protesten nicht ablassen, bis die Sperren entfernt würden.
Steht eine neue Unruhewelle bevor?
Am 14. September 2015 hatte, ebenfalls im Zusammenhang mit der al-Aqsa Moschee, eine Welle von individuellen Anschlägen und Mordversuchen in Jerusalem begonnen und sich später auf ganz Israel und die Besetzten Gebiete ausgedehnt. Mordversuche wurden mit Messern und mit Automobilen, die auf Fussgänger losfuhren, durchgeführt. Die israelischen Sicherheitskräfte reagierten oftmals mit scharfen Schüssen. Im ersten Jahr seit dem erwähnten Datum haben 236 Palästinenser und 36 Israelis sowie 5 Ausländer ihr Leben verloren. Im folgenden Jahr war es den Sicherheitskräften gelungen, die Zahl dieser Anschläge zu vermindern. Doch sie haben nie ganz aufgehört.
Nun droht eine neue Welle auszubrechen, wenn nicht in den nächsten Tagen und noch vor dem nächsten Freitag eine Lösung für das Problem der Sicherheitskontrollen an den Eingängen in die al-Aqsa gefunden wird, der beide Seiten zustimmen können.