Nach Corona, so prophezeien viele Auguren, würden wir uns in einer völlig veränderten Welt wiederfinden. Die Gründe dafür erscheinen einleuchtend: Die Seuche hat gezeigt, in welchen Punkten die Gesellschaft und die Wirtschaft allzu verletzlich waren. Nur schon aus wohlverstandenem Eigeninteresse, so heisst es, werde man die erkannten Schwachstellen eliminieren. So solle es bei einer Pandemie nicht mehr passieren, dass Desinfektionsmittel knapp werden und man wochenlang auf chinesische Lieferungen von Schutzmaterial wartet. Die erlebte Kalamität werde zu einem Umdenken bei der Pflichtlagerung kritischer Güter und bei der Aufrechterhaltung inländischer Produktionskapazitäten führen. – Soweit kann man den Vorhersagen vielleicht folgen.
Doch der Blick der Veränderungsprognosen reicht viel weiter. Diese rechnen damit, die Erfahrungen mit der Coronakrise würden dazu führen, dass die Wirtschaft ihre Abhängigkeiten von globalen Lieferketten und einer auf Kante genähten Gewinnmaximierung kritisch unter die Lupe nehme. Die Nach-Corona-Ökonomie werde grundlegend anders ticken: Unternehmerische Vorsicht – in Form von Reservehaltung und Bevorzugung kurzer Zulieferwege – würde dann nicht länger als Anzeichen risikoscheuen Hinterwäldlertums gelten. Auch Aktionäre hätten ihre Lektion gelernt, würden langfristig denken und lieber in krisenfest aufgestellte als in Rendite bolzende Unternehmen investieren.
Sogar die bislang auf Preisvorteile versessenen Konsumenten, so meinen manche Spürnasen des Zeitgeists, würden «nach Corona» umdenken. So werde man künftig vermehrt bereit sein, für manches etwas mehr zu bezahlen, sofern der Preis die Überlebensfähigkeit des Anbieters stärke. Klüger gewordene Kunden würden zum Beispiel die Leistung des Quartierladens und seiner Lieferanten nicht mehr allein nach dem Preis beurteilen, sondern auch örtliche Nähe, transparente Herkunft und ökologische Qualität des Angebots schätzen.
Selbstverständlich würden laut solchen Voraussagen die krisengeläuterten Zeitgenossen nicht mehr so viel und so billig fliegen wollen. Sie würden Weekend-Trips nach Barcelona bleiben lassen, keine spritsaufenden SUVs mehr kaufen und sich beim Fleischkonsum zurückhalten (Viren in Fleischfabriken warten ja nur auf den nächsten Übersprung zum Menschen).
Doch die Prognose sei gewagt: Es wird sich wenig ändern.
Zwar wird es zukünftig Geschäfts- und Konferenzreisen vielleicht seltener geben, weil vieles auch mit Videoschaltungen zu machen ist. Auch wird sich Home-Office in einigen Branchen dauerhaft etablieren. Und selbstverständlich wird das ohnehin boomende Webshopping weiter zulegen.
Das schnelle Umdenken im ganz grossen Massstab hingegen wird ausbleiben. Dies nicht so sehr aus Mangel an Einsicht und gutem Willen, sondern vor allem wegen der undurchdringlichen Dichte und Komplexität von Abhängigkeiten, welche die Weltgesellschaft des 21. Jahrhunderts kennzeichnen. Sich der trägen Macht dieser Maschinerie entziehen oder gar entgegenstellen zu wollen, ist aussichtslos. Opponenten und Querdenkerinnen erkämpfen sich zwar Nischen, die jedoch auf den Gang der Weltwirtschaft kaum Einfluss haben. Im schlechteren Fall gehen die Unangepassten unter.
Die fundamentalen Nach-Corona-Veränderungen, die jetzt einige wie das Aufwachen aus einem schlechten Traum kommen sehen, werden Illusionen bleiben. Grosse umfassende Umwälzungen müssen und werden kommen, aber sie verlaufen langsam; selbst Schocks wie die weltweite Pandemie können sie nur unwesentlich beschleunigen. Schlagartig schnell sind nur Katastrophen, Vernichtungen, Totalabstürze. Und damit haben wir es bei Corona glücklicherweise nicht zu tun.