Unser Autor und Freund ist am Freitag im Alter von 74 Jahren an Corona gestorben. Wer mit ihm durch Bern spazierte, weiss was zu erzählen. Immer wieder blieb er stehen. Acht von zehn Passanten grüssten ihn freundlich. Und sechs der acht wollten mit ihm kurz sprechen, ihn etwas fragen oder ihm einfach alles Gute wünschen.
Roland Jeanneret war in Bern ein ungekrönter König, mindestens ebenso bekannt wie der Stadtpräsident. Das kam nicht von ungefähr.
Roli, wie wir ihn nannten, war zur guten alten Zeit von Radio DRS eine der prägendsten Figuren. Er war «Mister Rendez-vous». Fünfzehn Jahre lang moderierte er das Mittagsmagazin «Rendez-vous am Mittag».
Er war der geborene Moderator, wie man sie heute kaum noch findet. Er konnte zuhören, ging auf die Leute ein, verlor nie den Faden, spulte nicht einfach einen Fragenkatalog ab, war stets freundlich, aber bestimmt, hakte immer wieder nach, merkte sofort, wenn einer oder eine auswich und nicht auf die Fragen antwortete. Und immer war er perfekt vorbereitet.
Trotz seiner riesigen Popularität blieb er bescheiden. Er sagte immer: Ich bin nicht bekannt, weil ich so toll bin, sondern ich bin bekannt, weil ich eine Rolle spiele, die Rolle des Moderators am Radio und Fernsehen. Das unterschied ihn von manchen heutigen Moderatoren, die glauben, sie seien bekannt, weil sie so toll sind.
Vierzig Jahre lang war er Radio- und Fernsehjournalist. Über 9’000 Sendungen hat er moderiert und teils produziert. 1978 machte er zusammen mit der Schweizer Schauspielerin und Komikerin Birgit Steinegger Werbung für die neu aufgekommene Ultrakurzwelle. Steinegger trat als «UK-Fee» auf. Mit dieser Aktion sollten die Hörerinnen und Hörer dazu bewegt werden, von der Mittelwelle auf UKW zu wechseln.
Jeanneret war der erste Mediensprecher der Universität Bern. Er war Mitbegründer des Klubs der Wissenschaftsjournalisten und Dozent an der Schweizer Journalistenschule MAZ. Immer wieder organisierte er im Berner Käfigturm «Journi-Talks» mit geladenen Gästen. Sein Temperament war oft kaum zu zügeln.
Sprudelndes Engagement
Er hatte an der Universität Bern Publizistik, Theaterwissenschaften und deutsche Literatur studiert. Seine journalistische Karriere begann Anfang der Siebzigerjahre mit der Präsentation der «Kindernachrichten» im Schweizer Fernsehen. Später wechselte er als Redaktor und Moderator zum Radio.
Er war nicht nur «Mister Rendez-vous», er war auch «Mister Glückskette». Von 1991 bis 2010 war er deren Stimme, deren Aushängeschild. Dank seinem Engagement trieb er immer wieder neue Rekordsummen für Hilfsaktionen in aller Welt ein. Viele Notleidende haben Roli viel zu verdanken. Die «Internationale Gesellschaft für Menschenrechte» ehrte ihn 1999 mit dem «Menschenrechtspreis». Die Schweizer Krebsliga verlieh ihm den Medienpreis. Zudem wurde er mit der Henri-Dunant-Medaille für sein humanitäres Engagement geehrt.
Kämpfen wie ein Löwe
Er schrieb mehrere Bücher, unter anderem verfasste er einen wunderbaren Bildband über «Bertrand Piccards Solarflugzeug» (besprochen im Journal 21) und über «50 Jahre Mondlandung», (besprochen im Journal 21). Auch eine Biografie über einen Walliser Bergbauern schrieb er.
Zu seinen ungewöhnlichen Passionen gehörte die Fotografie. In Island fotografierte er die Strukturen von Böden und Gesteinsformationen. Die Bilder wurden in einer Galerie im Zürcher Niederdorf ausgestellt. Auch anderswo, so in Bern, machte er sich mit dem Fotoapparat an Böden heran.
Für seinen humanitären Einsatz konnte er wie ein Löwe kämpfen. Er bombardierte Politiker mit teils nicht nur netter Post. «Rüttelt euch auf, tut endlich etwas», war seine eindringliche Botschaft. Nicht alle Politiker mochten ihn.
Immer wieder führte er in einem Restaurant an der Aare Versteigerungen für gute Zwecke durch. Die Leute brachten Gegenstände, die dann an die Meistbietenden veräussert wurden. Das Geld ging an Hilfsorganisationen. Journal 21 brachte einen Theddybären, der für 200 Franken wegging.
Stets blieb er ein Freund
Startete die Glückskette eine Spendenaktion, war es für die Tagesschau Pflicht, das Spendenkonto mehrere Tage lang einzublenden. Einmal, nach dem dritten oder vierten Mal, wurde das vergessen. Der Redaktionsleiter der Tagesschau erhielt kurz nach Mitternacht einen explosionsartig geäusserten, wütenden Telefonanruf von Roli.
Am nächsten Tag blendeten wir das Konto wieder prominent ein. Roli entschuldigte sich für seine nicht nur netten, nächtlichen Worte. Er war nie nachtragend, er blieb immer ein Freund, er ging immer auf die anderen ein. Auch wenn er gern selbst sprach und oft alle anderen mit wunderbaren Erzählungen unterhielt, war er kein Autist: Er interessierte sich für die anderen.
Journal 21 – Mann der ersten Stunde
Beim Journal 21 war Roli ein Mann der ersten Stunde. Zu seinen ersten Artikeln gehörte «Auszug aus dem Bärenpark, Ursina und Berna gehen fremd». Es folgten unter anderem «Ein Zürcher entquietscht die Berner Strassenbahnen», «Ist Gott das Huhn oder das Ei?», «Der Aufregungsbonus, Medien und Populismus», «Völkermord der Jesiden», «Wenn Hilfswerke auf Millionen sitzen», «Arthur Bill, Dasein für Andere». Vor drei Jahren moderierte er für Journal 21 in Zürich ein Gespräch mit dem Philosophen, Physiker und Journal21-Autor Eduard Kaeser.
Er hat Dutzende Artikel für uns verfasst. An all unseren Geburtstagsfeiern reiste er von Bern nach Zürich. Unseren 8. Geburtstag (vor gut drei Jahren) hatten wir in einem alten Zürcher Tram mit der Nummer 21 gefeiert; auch da war Roli dabei. Er war immer fröhlich, aufgestellt, nie griesgrämig. Wir haben nicht nur einen ausgezeichneten Autor, sondern vor allem auch einen guten Freund verloren.
Am 1. Dezember übermittelte er uns für unsere Rubrik «Weihnachtsbücher» drei Empfehlungen. Seither haben wir nichts mehr von ihm gehört.
(Heiner Hug)