
Seit dem Amtsantritt von Donald Trump verändern sich die Rahmenbedingungen für Europas Sicherheit in rasendem Tempo. Sehr viel langsamer wuchs und wächst die Einsicht, dass Europa mehr für Verteidigung ausgeben muss. Diese Einsicht reicht aber nicht. Sie ist geradezu altmodisch.
Der grösste Schock besteht darin, dass Amerika wohl nicht mehr bereit ist, Europa notfalls mit dem Einsatz von Nuklearwaffen zu verteidigen. Der Beistandsartikel 5 des Nato-Vertrags steht in Frage. Gleichzeitig sind die europäischen Armeen derartig schwach, dass sie einem russischen Angriff viel zu wenig entgegenzusetzen haben. Also soll aufgerüstet werden, um den Ausfall des amerikanischen Schutzes zu kompensieren.
Sitting Duck
Man kann drei Dinge vorhersagen: Die Verteidigungsausgaben werden viel langsamer wachsen, als in den Absichtserklärungen angegeben. Die parlamentarischen Systeme erfordern Rücksichtnahmen und Kompromisse, die jeden grossen Wurf verhindern werden. Zweitens wird die Beschaffungsbürokratie in kurzer Zeit nicht so grundlegend verändert werden, wie es für eine Aufrüstung von jetzt auf gleich notwendig wäre. Und drittens hat der Ukrainekrieg gezeigt, dass die Rüstungsindustrie schon jetzt an Kapazitätsgrenzen stösst.
Fachleute gehen nach den neuesten Entwicklungen im amerikanisch-europäischen Verhältnis davon aus, dass Russland vor einer Ausweitung seiner Kriegführung nicht zurückschrecken wird und dass damit nicht erst in vielen Jahren, sondern in erschreckend kurzer Zeit gerechnet werden muss. Die Gelegenheit für Russland ist günstig, und Europa ist derzeit eine «sitting duck».
Europa wird sich nur retten können, wenn Politiker, Militärs und Rüstungsexperten den Krieg völlig neu denken. Alte Methoden der Verteidigung sind zu teuer, aufwendig und ineffizient. Sie erinnern an Frankreichs berühmte Maginot-Linie, die zu Beginn des Zweiten Weltkrieges von den Deutschen mühelos überwunden beziehungsweise umgangen wurde. Entsprechend sind die bisherigen Methoden der Kriegführung mit Panzern und Flugzeugen durch den Einsatz von vergleichsweise billigen Gegenmassnahmen auf der Basis neuester Hightechwaffen wesentlich ineffizienter als bislang angenommen. Die Ukraine hat es gezeigt. Und darin liegt eine Chance für Europa.
Utopie und Zeitdruck
Europa sollte sich auf eine Defensivstrategie mittels moderner Hightechwaffen konzentrieren. Um diese Waffen zu bedienen, braucht man nicht unbedingt Soldaten, die zunächst einmal rekrutiert werden müssen und einen Grundwehrdienst durchlaufen. Mit ein bisschen Kreativität lassen sich verschiedene Möglichkeiten denken, wie das dafür nötige Personal gewonnen und rechtlich eingebunden werden kann. Und es sollte auch möglich sein, die dafür nötigen Mittel in den Parlamenten bereitzustellen.
Ziel muss es sein, dass mittels neuer smarter Waffen die Kosten für einen Angriff auf europäische Länder derartig erhöht werden, dass ein Angreifer abgeschreckt wird. Das erfordert ständige Modernisierung und Weiterentwicklung, die ohnehin in der Dynamik der Technik liegen. Darin dürfte Europa nach wie vor recht gut aufgestellt sein.
Zur Abschreckung gehört auch, dass man sich auf Angriffe mittels Cyberattacken auf die gegnerische Infrastruktur vorbereitet, falls es zu einem militärischen Übergriff kommt.
Das alles klingt im jetzigen Moment noch utopisch, aber in Anbetracht der rasenden Geschwindigkeit, mit der sich die politisch-militärischen Rahmenbedingungen geändert und Europa in die bei weitem gefährlichste Lage seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gebracht haben, ist es einfach nur naheliegend.