Seinem Weltbestseller über den Ersten Weltkrieg hat Christopher Clark den Titel „Die Schlafwandler“ gegeben. Der bestimmte Artikel „die“ suggeriert, dass das Schlafwandeln vor hundert Jahren stattgefunden hat und dann irgendwie an ein Ende kam. Dem ist aber nicht so. Wer heute auch nur oberflächlich die Schreckensmeldungen in den Medien verfolgt, müsste eigentlich in heller Aufregung sein. Statt dessen ziehen wir unsere gewohnten Bahnen.
Eben hat der Generalsekretär der Uno, Ban Ki-Moon, eine aufrüttelnde Rede gehalten, in der er der Weltgesellschaft ihre Gleichgültigkeit gegenüber der syrischen Katastrophe vorwarf. Und es geht ja nicht nur um Syrien. In immer kürzeren Abständen kommt es weltweit zu Aufständen und Massakern, rutschen Regionen ins Chaos ab, entstehen neue Brandherde wie in der Ukraine und im südchinesischen Meer. Weltweit sollen 50 Millionen Menschen auf der Flucht sein. Finanzkrise und die Klimakatastrophe treten angesichts dessen in den Hintergrund. Kein Problem wird gelöst.
Und wir? Wir hoffen, dass sich das ganze irgendwie schon zurechtschüttelt. Was wird man später einmal über uns schreiben? Dass wir Träumer gewesen seien, die sich hartnäckig geweigert haben, aufzuwachen? Was würde es aber bedeuten, aufzuwachen? Es würde bedeuten, dass wir uns äusserst harte und unbequeme Fragen nach unserer Verantwortung stellen müssten – Fragen, auf die es im ersten Anlauf keine Antworten gibt. Aber wir müssen sie stellen, uns selbst, unseren Freunden und unseren Politikern. Es ist Zeit.