Im Festsaal des Römer Quirinal-Palastes hat Staatspräsident Giorgio Napolitano am Samstagmittag die neue italienische Regierung vereidigt.
Matteo Renzi, der jüngste italienische Ministerpräsident, setzte kurz zuvor einen Tweet ab: „Wir sind Italien, wir schaffen es“. Er fügte bei: „Die Aufgabe ist hart und schwierig. Bleiben wir uns treu, frei und bescheiden“.
Die ersten Rauchzeichen der Regierung Renzi stossen in Brüssel und bei der deutschen Kanzlerin nicht gerade auf Begeisterung. Um die lahmende italienische Wirtschaft endlich wieder auf Touren zu bringen, will Renzi vom bisherigen schmerzhaften Sparkurs wegkommen und verlangt eine expansivere Geldpolitik.
Gegen einen harten Sparkurs
Der 39-jährige Renzi hat deshalb das wichtigste Ministerium einem Mann übertragen, der seit Jahren für eine lockere Geldpolitik der europäischen Krisenländer eintritt. Der 64-jährige eher linksgerichtete Wirtschaftsprofessor und Technokrat Pier Carlo Padoan spricht sich gegen einen allzu harten Sparkurs aus. Padoan war bisher Chefökonom der OECD in Paris, der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“.
In einer ersten Erklärung sagte er, Italien müsse sich auf das Wachstum und die lähmenden Strukturprobleme konzentrieren – und nicht auf den Abbau der Staatsschuld. Vor allem „die Besteuerung der Arbeit“ sei eines der Hauptprobleme – die Besteuerung von Eigenheimen jedoch weniger.
Für eine Lockerung der Maastricht-Kriterien
Renzi und sein Wirtschaftsminister werden demnächst in Brüssel vorstellig werden. Sie streben eine Lockerung der dreiprozentigen Maastricht-Limite für Neuverschuldungen an. In Brüssel fürchtet man, dass die neue italienische Politik bei andern Krisenländern Schule machen und Begehrlichkeiten wecken könnte.
Padoan (Bild), der neue starke Mann, hat einen langen Leistungsausweis vorzuweisen. Er war ordentlicher Professor oder Gastprofessor an mindestens sechs Universitäten, so auch in Belgien, Argentinien und Tokio. Von 1998 bis 2001 war er Wirtschaftsberater der italienischen Ministerpräsidenten Massimo D’Alema und Giuliano Amato. Er war auch einflussreicher Berater mehrerer Wirtschaftsinstitute. Seit dem Juni 2007 war er stellvertretender Generalsekretär bei der OECD in Paris und seit 2009 deren Chefökonom.
Acht Frauen, acht Männer - die jüngste Regierung
Mit seinen 64 Jahren ist Padoan der älteste Minister in der neuen Regierung. Renzi, der sozialdemokratische Shooting-Star, hat das bisher jüngste italienische Kabinett zusammengestellt. Das Durchschnittsalter beträgt 47 Jahre.
Die Zahl der Minister ist auf 16 (neben Renzi und dem Unterstaatssekretär) reduziert worden. Die Hälfte der Regierungsmitglieder sind Frauen. Die zwei jüngsten sind je 33 Jahre alt: Maria Elena Boschi, Anwältin aus Florenz und Vertraute Renzis, ist zuständig für Reformen. Marianna Madia wird sich um die öffentliche Verwaltung kümmern. Beide stehen einem Ministerium ohne Portefeuille vor.
Innenminister, aber nicht Vizepräsident
Mit der 53-jährigen Roberta Pinotti vom sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) steht erstmals eine Frau dem Verteidigungsministerium vor. Renzi hat sich wohl gesagt, was Deutschland mit Ursula von der Leyen kann, kann ich auch.
Angelino Alfano, der „Delfin“ und einstige Ziehsohn von Silvio Berlusconi, bleibt Innenminister. Er muss jedoch das Amt des Vizepremierministers abgeben. Einen Vizepremierminister gibt es nicht mehr. Alfano hatte sich im letzten Dezember mit Berlusconi überworfen und eine eigene Mitte-Rechts-Partei gegründet: den Nuovo Centrodestra (Ncd).
Der Regierung Renzi gehören zehn Minister dem linken Partito Democratico und drei dem Nuovo Centrodestra an. Drei sind Technokraten.
Eher überraschend ist, dass die bewährte bisherige Aussenministerin Emma Bonino kein Ministerium erhielt. Neue Aussenministerin wird die 41-jährige linke Politologin Federica Mogherini (Bild). Laut dem Corriere della sera ist Bonino erzürnt, weil sie via Fernsehen erfahren musste, dass sie abgesetzt ist. Renzis Kommunikationspolitik kann sich noch verbessern.
Zum 3. Mal: Nicht vom Volk gewählt
Kurz nach der Vereidigung im Quirinal-Palast trat das neue Kabinett zu einer ersten Sitzung zusammen. Man will auf Tempo drücken und demonstrieren, dass es der neuen Crew ernst ist. Beide Kammern des Parlaments müssen der Regierung das Vertrauen aussprechen: am Montag stimmt der Senat ab, am Dienstag die Abgeordnetenkammer.
Renzi, der sich selbst als „Verschrotter“ der alten Politgepflogenheiten nennt, will schnell Erfolge vorweisen. Er kündigte an, pro Monat eine Reform durchzubringen. Er will das Wahlrecht und die Institutionen reformieren, dann den Arbeitsmarkt. Schliesslich will er die Verwaltung umstrukturieren und eine Steuerreform angehen.
Renzi, der sich gern als „Tony Blair Italiens“ nennen lässt, hat einen gewichtigen Makel. Er wurde nicht vom Volk gewählt. Damit ist er – nach Mario Monti und Enrico Letta – der dritte italienische Ministerpräsident, der nicht aus Wahlen hervorging. Unermüdlich posaunt Berlusconi ins Land hinaus, er sei der letzte gewählte Ministerpräsident.
Regierungschef bis 2018?
Renzi ist durch einen wenig edlen Putsch gegen seinen Parteikollegen Letta an die Macht gekommen. Das wird ihm nicht nur in seiner eigenen sozialdemokratischen Partei übel genommen. Er begründete sein Vorgehen damit, dass Letta „nichts erreicht“ habe und eine „allzu zögerliche Politik“ verfolge.
Immerhin ist unter Letta das BIP zum ersten Mal seit langer Zeit wieder gewachsen, wenn auch nur minim. Und selbst die Inflation war noch nie so tief wie seit 2009. Bei der symbolischen Machtübergabe am frühen Samstagnachmittag musste Letta seinem Nachfolger Renzi die Hand schüttelt. Er tat es mit grimmiger Miene, ohne dass er ihm ins Gesicht blickte.
Der neue Ministerpräsident erklärte, er werde bis 2018 Regierungschef bleiben. Das ist noch längst nicht sicher. Seine Partei verfügt im Parlament über keine Mehrheit. Sie ist auf die Unterstützung von Mitte Rechts und vom Zentrum angewiesen. Das „Movimento 5 stelle“ des Ex-Komikers Beppe Grillo hat Renzi bereits den Kampf angesagt – ebenso die fremdenfeindliche Lega Nord.
Berlusconi wäre nicht Berlusconi...
Und Berlusconi? Seine Partei, Forza Italia, ist zusammen mit dem sozialdemokratischen Partito Democratico nach wie vor die stärkste Formation in Italien. Es ist anzunehmen, dass Berlusconi zunächst Renzi unterstützt. Er hat ihn in jüngster Zeit mit vielen Komplimenten überschüttet. Renzi sei ein Macher, sagte er. „Ein Macher wie ich“. Vor allem auch die neue Wirtschaftspolitik gefällt Berlusconi. Die restriktive Sparpolitik „der deutschen Angela“ missfiel ihm seit langem.
Doch Berlusconi wäre nicht Berlusconi, wenn er nicht an sich dächte. Sobald er eine Chance wittert, die Regierung zu stürzen, wird er es tun. In Meinungsumfragen geht es bergauf mit ihm. Doch zuerst muss er einmal seine einjährige Strafe als Sozialarbeiter verbüssen. Schon stichelt er: „Renzi hat die Mehrheit in seiner Partei, aber nicht im Parlament“.
51 % für Renzi, 42 gegen ihn
In einer spontanen, nicht repräsentativen Umfrage der linksliberalen Zeitung La Repubblica erklärten am Samstagvormittag 51 Prozent sie hätten einen „positiven“ oder „sehr positiven Eindruck“ von der Regierung Renzi. Das ist kein überschwänglicher Wert in Anbetracht der riesigen Erwartungen, die Renzi mit einer ebenso riesigen Propagandamaschine geschürt hat. 42 Prozent haben einen „negativen“ oder „sehr negativen“ Eindruck.
Renzi hat das Handicap, dass er auf dem Römer Parkett wenig erfahren ist. Er war bisher Bürgermeister in der Provinz: im gemächlichen Florenz. Zudem wurde er im Dezember in einer Urabstimmung zum Parteipräsidenten des Partito Democratico gewählt. Einen Sitz hatte er weder im Senat noch in der Abgeordnetenkammer.
Deshalb sind einige skeptisch, ob er sich im rauen Römer Klima durchsetzen kann. Ein Römer Journalist spottet schon: „Eine Chance hat er keine, aber er nutzt sie“.