In den vergangenen Jahrzehnten sind Umweltbewegungen in den westlichen Industriegesellschaften nach denselben verlässlichen Mustern aufgetreten. Sie haben Umweltschäden und ihre Verursacher mehr oder weniger lautstark angeprangert. Sie haben ein Umsteuern verlangt. Sie haben viel Fantasie in Protestformen investiert. Führend darin ist Greenpeace. Und sie haben politische Gruppen und Parteien gebildet. Besonders erfolgreich sind die Grünen in Deutschland.
Das grosse Abschalten
Aber eines hat keine Umweltbewegung je ernsthaft verlangt oder betrieben: das Abschalten ganzer Industrien zugunsten der Umwelt. Denn jedem war klar, dass dies nur zu gesellschaftlichen Verwerfungen bis hin zu Bürgerkriegen führen würde. Der Ruin der Wirtschaft hätte den Ruin der Gesellschaft zur Folge – und das kann niemand bei klarem Verstand wollen.
Auch die neueste Bewegung, Fridays for Future, hat zwar ein radikales Umdenken verlangt, aber kein radikales Abschalten. Und Klimaforscher, die weitaus mehr über die uns bevorstehenden Katastrophen wissen als die durchschnittlichen Bürger, Politiker und Wirtschaftsführer, sind nie so weit gegangen, Massnahmen zu empfehlen, die das gesellschaftliche Gefüge an seine Belastungsgrenzen oder darüber hinaus führen würden.
Für die meisten unerwartet, von vielen Fachleuten allerdings befürchtet, kam die Corona-Pandemie. Sie hat zu einer Unterbrechung von wirtschaftlichen Aktivitäten und Kreisläufen geführt, die sich selbst der kühnste Umweltaktivist nicht im Ansatz hätte vorstellen können. Wie war das überhaupt möglich?
Systemischer Umsturz
Das Virus allein kann es nicht gewesen sein, denn die Zahl der Opfer, die es bislang zur Folge hatte, ist in absoluten Zahlen gemessen im Verhältnis zur Weltbevölkerung nicht sehr beeindruckend. Aber weltweit hat sich Wissenschaftlern und Politikern ein Thema aufgedrängt, das sie zu äusserster Radikalität trieb: die Frage der Beherrschbarkeit. Wenn die gegenwärtigen Opferzahlen nur die Vorboten einer sich immer weiter verbreitenden Katastrophe sind, dann muss gehandelt werden, koste es, was es wolle. Diese Befürchtung hat die Verantwortlichen vollständig in ihren Bann geschlagen.
Und so schafften sie es innerhalb von wenigen Tagen, die Wirtschaftskreisläufe ebenso zu unterbrechen wie das gesellschaftliche Leben. Sie traten zwar in der Form verbindlich auf, handelten faktisch aber wie Diktatoren. Weil sie dabei die Wirtschaft in ihren Grundfesten erschütterten, griffen sie zu Mitteln des Staatssozialismus: Mit Geld und staatlicher Aufsicht sollen die Schäden der Eingriffe kompensiert werden.
Innerhalb von wenigen Wochen haben insbesondere die reichen Länder des Westens einen systemischen Umsturz erlebt, den vorher in derartig kurzer Zeit noch keine Revolution hinbekommen hat.
Kein Reset
Auf diesem umgepflügten Boden spriessten und spriessen zahllose Verschwörungsfantasien. Aber es ist nicht die Stunde der Umweltschützer. Zwar fragen sie mit Recht, ob denn der Flugverkehr wieder so exzessiv betrieben werden muss wie vor der Corona-Pandemie. Und natürlich möchten sie mehr öffentliche Verkehrsmittel, und selbstverständlich sollte Energie nachhaltig produziert werden. Und Urlaub in der Heimat ist doch auch sehr schön. Aber all das klingt merkwürdig verhalten.
Aus dem Abschalten folgt bislang jedenfalls nicht ein Reset, das die bisherigen Systemmängel beseitigen würde. Was liesse sich an die Stelle des exzessiven Luftverkehrs setzen? Und was meint die deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, wenn sie nach den Skandalen in der Fleischindustrie sagt, dass es „keine zweite Chance für die gesamte Branche“ geben werde? Will sie am Ende die Fleischproduktion generell verbieten?
Das gigantische Experiment, das in den vergangenen Monaten mit den Gesellschaften angestellt wurde und das noch lange nicht vorbei ist, hat bislang jedenfalls noch keine Ideen hervorgebracht, die den Dimensionen dieses Grossversuchs entsprechen würden. Statt dessen könnte das grosse Abschalten zu einer bitteren Erkenntnis führen, die zugleich das Ende der Ökobewegungen einläuten dürfte:
Parasiten
Wir können nicht anders. Wir leben immer auf Kosten der Natur und der Zukunft. Es gibt zu unserer parasitären Lebensweise keine praktikable Alternative. Schon jetzt sehen wir, dass das Ausbleiben der Touristen gerade in den armen Ländern kaum zu verkraften ist. Und vielleicht kann man einen Teil des Autoverkehrs mit Elektrizität betreiben, aber die damit verbundenen ökologischen Schäden treten mehr und mehr zutage. Und woher soll der Strom kommen?
Vielfach wurde davon gesprochen, die Gesellschaft befinde ich nach Corona in einer „Schockstarre“. Der Begriff ist schief, denn ein Schock entsteht zumeist schlagartig, und unsere Gesellschaft ist nicht starr, sondern betreibt höchst aktiv alles Mögliche. Treffender wäre es, von Panik zu sprechen. Die grösste Panik löst der Gedanke aus, dass es keine Rückkehr „zur Normalität“ mehr geben könnte. Um diesem Grauen zu entgehen, machen Politiker Schulden ohne Ende und tun dabei so, als hätten sie Tilgungspläne auf der Basis verlässlicher Wachstumserwartungen. Die gibt es aber nicht mehr. Keine private Bank würde einem Kunden auf dieser Basis Kredite gewähren.
Man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass unsere Gesellschaft, die ökonomisch immer höhere Schulden auftürmt, sich zudem noch mehr als früher bei der Natur verschulden wird. Denn in dem panischen Versuch, so schnell wie möglich in die „Normalität“ zurückzukehren, wird man für ökologische Bedenken keine Zeit haben. Die Ökos, so wird es heissen, das waren doch die Leute, die viel Gutes und Richtiges gesagt haben, vor allem die Jungen, aber das war alles vor Corona. Heute haben wir ganz andere Sorgen.