Bashir Gobdon, ein Schwarzer aus Mogadischu, kam vor 25 Jahren in die Schweiz. Er ist Gründer des somalisch-schweizerischen Kulturvereins. Er arbeitet auch für schweizerische Hilfswerke, die in Somalia tätig sind. Soeben ist er von einer Studienreise in seiner alten Heimat zurückgekehrt.
„Wir brauchen ein politisches System wie in der Schweiz“, erklärt er gegenüber Journal21. „Natürlich benötigen wir eine Zentralregierung, die alles zusammenhält,“ sagt er. Aber die einzelnen Regionen und Unter-Regionen müssten Eigenverantwortung und weite Kompetenzen erhalten – so wie es die Kantone und Gemeinden in der Schweiz haben. Nur so könnten Spannungen abgebaut werden. „Nur so kann das Land als Ganzes gedeihen.“
Zum ersten Mal seit Anfang der Neunzigerjahre keimt im Land wieder Hoffnung. Seit dem letzten Jahr hat Somalia wieder ein nationales Parlament, einen Staatspräsidenten und eine Regierung, die auch von den USA anerkannt wird.
“Minderheiten respektieren – wie in der Schweiz“
Doch ihre Aufgaben sind gewaltig. Somalia ist seit 1960 unabhängig. Der Staat entstand aus dem Zusammenschluss der Kolonien britisch und italienisch Somaliland. Doch der 22-jährige Bürgerkrieg und der Terror der al-Shabaab-Milizen haben das Land zerrissen. Somalia ist heute eines der ärmsten Länder der Welt, ein Flickenteppich mit vielen Clans, Stämmen und ethnischen Minderheiten.
Das ehemals britische Somaliland hatte sich schon 1991 vom Zentralstaat gelöst und seine Unabhängigkeit proklamiert, wird jedoch international nicht anerkannt. Puntland erklärte sich für autonom, ebenso Galmudug in Zentralsomalia. Wie bringt man das Land wieder zusammen?
„Somalia braucht einen föderalistischen Bundesstaat à la Schweiz“. Die Somalier müssten lernen, nicht mit harter Hand von der Hauptstadt aus zu regieren. „Die Minderheiten müssen respektiert werden, sie müssen sich selbst verwalten können.“ Ein streng zentralistisch aufgebauter Staat habe keine Zukunft.
“Vieles ist schon besser geworden“
Noch ist es ein weiter Weg dorthin. Zwar hat das Land jetzt eine provisorische Verfassung, doch diese muss jetzt Punkt für Punkt vom Parlament diskutiert und angenommen werden. Da liegt noch viel Zündstoff drin.
Das somalische Parlament entspricht westlichen Vorstellungen nicht. Es war von 825 Stammesvertretern gewählt worden. Die vier Hauptstämme, die es in Somalia gibt, verfügen über je 61 Sitze. Eine echte Volkswahl hätte wohl wenig gebracht: 85 Prozent der Somalier sind Analphabeten, über 60 Prozent sind Nomaden und nie mit der Politik in Kontakt gekommen.
„Vieles ist schon besser geworden“, erklärt Bashir Gobdon. „Doch die Probleme sind nach wie vor riesig.“ Die terroristischen radikal-islamischen al-Shabaab-Milizen konnten zwar zurückgedrängt werden, doch nach wie vor explodieren Bomben. Die Warlords hätten an Einfluss verloren und die meisten Piraten hätten aufgegeben.
Doch neunzig Prozent der Somalier sind arbeitslos, 70 Prozent haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Eine funktionierende Verwaltung gibt es kaum.
Heimkehr von Emigranten
Bashir Gobdon, der inzwischen Schweizer geworden ist, hatte seine alte Heimat im vergangenen Sommer besucht. Jetzt ist er erneut nach Somalia zurückgekehrt. Was hat sich verändert in diesem wichtigen halben Jahr?
Schon am Flughafen in der Hauptstadt Mogadischu erlebt er eine Überraschung. „Das Gebäude ist renoviert und herausgeputzt.“ Und auf dem Flugfeld stehen wieder Flugzeuge. „Es gibt wieder Verkehr, wunderbar.“
Bashir Gobdon, der Schweizer, muss am Flughafen bei „Ausländer“ anstehen. Er lacht darüber. Als Ausländer muss er für das Einreise-Visum 50 Dollar bezahlen. Das findet er gut. „Das hilft dem Staat.“
Am Flughafen sieht er viele Somalier, die vor zwanzig Jahren vor dem Bürgerkrieg geflohen sind und jetzt zurückkehren. „Es sind vor allem ältere und kranke Leute, die jetzt heimkehren“, sagt er. „Viele haben geweint, als sie nach so langer Zeit wieder somalischen Boden unter sich hatten. Ein Traum ist für sie in Erfüllung gegangen“.
Vertriebene Al-Qaida-Terroristen
In Mogadischu ist wieder Leben eingekehrt. Viele kleine Geschäfte wurden in den letzten Monaten eröffnet. Auch Hotels und Restaurants. Doch die Wenigsten können sich diese leisten. Eine Nacht im Hotel kostet 70 bis 100 Dollar. Gobdon fürchtet, dass sich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft herausbildet. „Einige wenige Leute versuchen jetzt, ganz reich zu werden.“
„Die Stadt ist sicherer geworden. Die Leute fühlen sich freier“, sagt Gobdon. Früher getrauten sie sich kaum auf die Strasse, jetzt sieht man sie überall. Die radikal-islamischen Shabaab-Milizen sind aus der Stadt vertrieben worden. Ab und zu melden sie sich mit Selbstmord-Anschlägen zurück. Während Gobdons Aufenthalt gab es zwei solche Anschläge.
Die Milizen, die der Qaida zugerechnet werden und vor kurzem noch weite Teile des Landes beherrschten, haben sich im Süden eingenistet. Dort werden sie von kenianischen Truppen verfolgt. Einige der Terroristen sind nach Norden, nach Somaliland und Puntland ausgewichen.
Schlecht bezahlte Polizisten
Die Sicherheit bleibt eines der Hauptprobleme. Dem Staat fehlt das Geld, Polizisten und Militärs regelmässig zu entlöhnen. In den letzten drei Monaten erhielten die Sicherheitskräfte nur einen Monatslohn. Das drückt auf die Motivation und führt dazu, dass die Soldaten auf eigene Faust Geld in ihre Tasche wirtschaften. So errichten sie Strassensperren und kassieren von den Autofahrern „Zölle“.
Das somalische Militär ist nicht in der Lage, Sicherheit zu gewähren. Im Land stehen 17‘000 militärische und zivile Mitarbeiter der „Amisom“, der Friedenstruppe der Afrikanischen Union. Die Soldaten stammen vor allem aus Uganda, Kenia und Burundi. Der Uno-Sicherheitsrat hat jetzt den Militäreinsatz um ein Jahr bis mindestens Februar 2014 verlängert.
Ein Problem stellt sich, wenn Emigranten, die vor 20 Jahren geflüchtet sind, heimkehren und in ihr früheres Haus einziehen wollen. Dieses wird jedoch von einer andern Familie bewohnt. Ihre Kinder wissen oft nicht, dass das Haus nicht ihnen gehört. Falsche Dokumente werden präsentiert. Die Gerichte sind nicht in der Lage, solche Fälle zu klären. Zwei aus Grossbritannien eingereiste Somalier, die ihr Haus zurückverlangten, wurden erschossen.
Schmiergeld per Handy
Dass das Land noch nicht über dem Berg ist, erfuhr Gobdon in der Hafenstandt Merka (Marka), 70 Kilometer südlich von Mogadischu. Dort sind die Hilfswerke tätig, für die er arbeitet. Während der Fahrt in die 50'000 Einwohner zählende Stadt wurde er fünf Mal von Sicherheitsleuten gestoppt: Jedesmal musst er einen „Zoll“ von jeweils fünf Dollar bezahlen.
Doch meistens nicht in bar. Denn einen Sprung in die Moderne hat Somalia schon gemacht. Oft werden kleinere Geldbeträge per Handy überwiesen. Eine Firma eröffnet einem auf dem Mobiltelefon ein Konto, auf das man einen Betrag einbezahlt. Von diesem Konto kann man dann andern fünf, zehn oder mehr Dollar auf ihr Handy-Konto überweisen. So wird auch den Militärs und Polizisten Schmiergeld bezahlt.
In Merka dominierten bis vor kurzem die Shabaab-Milizen. Die wurden zwar jetzt vertrieben, doch die Stadt ist noch immer unsicher. Während Gobdons Aufenthaltes wurde vor einer der Schulen eine Bombe entdeckt. Die Schüler wurden nach Hause geschickt, dann wurde die Bombe entschärft.
Parasiten, Anämie, Lungenentzündungen
Gobdon arbeitet unter anderem für das Hilfswerk „Förderverein Neue Wege für Somalia“. Es war von einer Zürcherin gegründet worden. Dank dem Hilfswerk können in Merka etwa tausend Kinder eine Primar- und Sekundarschule besuchen. Da die Platzverhältnisse in der Schule prekär sind, wird in zwei Schichten unterrichtet, am Vormittag und am Nachmittag.
Der Förderverein unterhält auch ein Ambulatorium, das vor allem von Müttern und Kindern aufgesucht wird. Vor allem Kinder unter fünf Jahren und ältere Menschen sind unterernährt. Viele haben Parasiten im Darm, Anämie sowie Lungen- und Blasenentzündungen. 21 Personen arbeiten in der Krankenstation, unter ihnen ein Arzt, eine Apothekerin, eine Hebamme, Krankenschwestern und Laboranten.
Überall im Land, vor allem aber in der Hauptstadt Mogadischu, spürt man eine Aufbruchstimmung. Die Menschen flanieren wieder auf den Strassen. Mit Stolz verfolgen sie die Bauarbeiten an drei grossen Spitälern der Stadt. Mit türkischem Geld werden die Krankenhäuser renoviert und bald wieder eröffnet.
Früher war in Mogadischu während der Nacht nur die einzige Hauptverkehrsader beleuchtet. „Jetzt sind es schon drei Hauptstrassen, auf denen nachts Licht brennt.“ Dank norwegischem Geld. „Die Leute jubeln“, sagt Gobdon, „wenn am Abend das Licht angeht“.