Sie kam leider ein paar Stunden später als erwartet. Ich verfolgte die Auslieferung via App und war ein bisschen genervt, dass sie nicht ganz so früh ankam wie ursprünglich angekündigt.
Natürlich war meine Erwartung ein bisschen irre. Schliesslich hatte ich erst nach langem Zögern ein Produkt bestellt, das, soviel ich weiss, unter nicht ganz mustergültigen Arbeitsbedingungen in China hergestellt wird, auch wenn die Marke ihren Sitz in Amerika hat. Mein Entschluss löschte auf einen Schlag die geografischen Distanzen und sozialen Dissonanzen aus meinem Bewusstsein und suchte die sofortige Befriedigung.
Und das, obwohl ich nur zu genau weiss, dass das Gerät, das ich von nun an benutzen werde, sich fabelhaft zu meiner Überwachung eignet. Was heisst: eignet? Fachleute können bei dieser Formulierung nur müde lächeln. Das Gerät „eignet“ sich nicht nur zur Überwachung, es ist dafür eine so selbstverständliche Komponente wie die Stromzufuhr für den heimischen Kühlschrank.
Alles, was ich auf diesem Gerät unternehme, hinterlässt Spuren, die von sogenannter „Künstlicher Intelligenz“ ausgewertet werden. Dazu muss ich nicht einmal telefonieren oder im Internet surfen. Das Gerät leistet seine Dienste für fremde Dienste auch dann, wenn ich seine Dienste einmal nicht in Anspruch nehme. Fachleute versichern, dass die simple Massnahme, es einfach auszuschalten, das Gerät keineswegs so ausser Betrieb setzt, wie der Laie in seiner Naivität glaubt. Diese Naivität löst auf der anderen Seite nur schallendes Gelächter aus – falls da überhaupt noch jemand lacht, was immerhin eine menschliche Regung wäre. Überhaupt: Hat „Künstliche Intelligenz“ Humor?
Also bezahle ich dafür, dass ich überwacht werde, und freue mich über günstige Tarife. Man kann allerdings wissen, dass einige sehr populäre und günstige Apps ebenfalls „Hintertüren“ haben. Aber keine dieser Hintertüren fällt derartig krachend ins Schloss, dass ich sie nicht länger ignorieren könnte. Also wiege ich mich als Nutzer in dem schönen Gefühl, dass das alles letztlich doch nicht so schlimm ist. Es tut ja nicht weh.
Und so verdränge ich, dass ich mit der Auslieferung meiner Bestellung zugleich zum Ausgelieferten werde. George Orwell und Aldous Huxley würden sich in ihren Gräbern wälzen. Aber in dem Masse, wie ich Konsument bin, erscheint mir der Staat mit seinen zahllosen Zulieferern nicht mehr als fremde Macht, sondern wie ein Vertragspartner, dem ich täglich in vielerlei Gestalten im Internet begegne und dessen „Geschäftsbedingungen“ ich jedes Mal akzeptiere, ohne sie gelesen zu haben. Orwell und Huxley haben mit ihren negativen Utopien diese Geisteshaltung beschrieben.
Jetzt erleben wir noch eine Steigerung, denn in ihrer grenzenlosen Fürsorge wollen die Staaten ihre Bürger buchstäblich auf Schritt und Tritt überwachen. Natürlich mit ihrem stillschweigenden Einverständnis, denn wer will schon riskieren, sich oder andere anzustecken? Das wäre ja geradezu verantwortungslos. Was bin ich froh, dass mein Handy einigermassen pünktlich geliefert wurde!