Wer gestern noch 110 000 Euro auf seinem Konto bei einer zypriotischen Bank hatte, besitzt ab nächster Woche nur noch rund 100 000 Euro. Rasiert, über den Löffel balbiert, enteignet. Zustände wie in der Dritten Welt, mitten im angeblich rechtsstaatlich gesicherten Finanzraum des Euro. Das schafft natürlich unheimlich Vertrauen, was ja bekanntlich das Wichtigste im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner ist. Wer vorher schon den Fehler gemacht hatte, in auch angeblich bombensichere griechische Staatsanleihen in Euro zu investieren, kennt das Gefühl, wenn plötzlich Geld weg ist.
Alternativlos ohne Zukunft
Nun könnte man sich ja in der Illusion wiegen, dass mit einem Hilfspaket von 10 Milliarden Euro und dieser Enteignung die Insel Zypern wenigstens nicht absäuft. Dagegen spricht ein wenig, dass das Bruttoinlandprodukt (BIP) im Jahre 2012 um 2,3 Prozent schrumpfte und für dieses Jahr ein weiterer Rückgang um 3,5 Prozent prognostiziert wird. Dagegen spricht, dass die Staatsverschuldung Zyperns 2008 erträgliche 48,7 Prozent des BIP betrug, sie bis Ende dieses Jahres aber auf 93,1 Prozent anschwellen wird, Tendenz steigend. Aber Jörg Asmussen, Mitglied des Direktoriums der EZB weiss, wie man Hoffnung macht. Bis 2020 soll die Staatsverschuldung auf schlappe 100 Prozent des BIP zurückgeführt werden. Und natürlich bestehe, mal wieder, keine Gefahr, dass ähnliche Massnahmen in anderen Ländern durchgeführt würden.
Geld ist flüchtig
Rund 1,1 Millionen zypriotische Einwohner erwirtschaften ein BIP von rund 17 Milliarden Euro, während etwa 70 Milliarden dort auf Bankkonten verstaut sind, überwiegend Schwarzgeld aus Russland und Grossbritannien. Das lief alles soweit gut, wie es im Euroraum halt laufen kann, bis zypriotische Banken durch den Schuldenschnitt für private Gläubiger im Falle Griechenlands in Schieflage gerieten. Betrogene Betrüger: Sie hatten darauf vertraut, dass doch wohl bei einer Staatsanleihe eines Eurolands nichts passieren könne. Es wird interessant sein zu verfolgen wie ab Dienstag (Montag ist Feiertag auf Zypern) die Kontobesitzer auf diese Teilenteignung reagieren werden. Bereits ab Samstag sind erste Anzeichen eines Bank Run deutlich sichtbar.
Der Hürdenlauf
Diese in der üblichen nächtlichen Marathonsitzung beschlossenen «Rettungsmassnahmen» müssen natürlich noch den Hürdenlauf durch die nationalen Euro-Parlamente überstehen, die zu solchen Entscheidungen überhaupt noch etwas zu sagen haben. Auch der IMF, der sich an der Milliardenzahlung beteiligen soll, muss mal wieder über seine eigenen Satzungen springen. Also ist es überhaupt nicht in Stein gemeisselt, dass die Milliarden im zugesagten Ausmass fliessen werden. All das schafft natürlich ungemein Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit Zyperns.
Eigentlich ein Klacks
Nachdem bereits in Griechenland über 210 Milliarden Hilfsgelder sinnlos verröstet wurden, sind doch 10 Milliarden eigentlich ein Klacks. Die Frage liegt auf der Hand, wieso man die winzige Insel, die 0,2 Prozent zum BIP der EU beiträgt, nicht ihrem Schicksal überlassen hat, es wäre ja nur ein Staatsbankröttli geworden, mit allen Vorteilen eines Neustarts. Aber im Wackelpudding Euroraum gilt inzwischen jeder Teilnehmer als «systemrelevant», wird durch die kleinste Erschütterung der Einsturz des Kartenhauses befürchtet. Deshalb handelt es sich hier auch nicht um eine Rettungsmassnahme, sondern um den Ausdruck purer Verzweiflung.
Steinbrücks Kawallerie
So wie Miami und Delaware in den USA die inzwischen sichersten Verstecke für Schwarzgelder aus der ganzen Welt sind, war und ist Zypern dafür bekannt, dass mit simplen Tarnkonstruktionen der «beneficial owner», also der wirtschaftlich Berechtigte an Vermögenswerten, versteckt werden kann. Das wurde über Jahre geduldet, denn innerhalb dieser Völkergemeinschaft tritt man doch nicht einem Mitglied auf die Füsse, weil man in vielen Beziehungen auf Einstimmigkeit von Beschlüssen in den pseudodemokratischen Einrichtungen der EU angewiesen ist. Zypern verteidigt halt seine Steuerhinterzieherbunker entschieden geschickter als die diesbezüglich unbeholfenen Eidgenossen.
Wie immer: nutzt nix
Faktisch soll sich die Schuldenlast Zyperns, erkauft durch einen gewaltigen Vertrauensverlust, um geschätzte 5,8 Milliarden Euro verringern. Das wird alleine durch die prognostizierte Erhöhung der Staatsschulden in den nächsten Jahren wettgemacht. Und das Schrumpfen der Wirtschaftsleistung, sicherlich noch beschleunigt durch die angekündigte Verkleinerung des Bankensektors, macht jede Hoffnung illusorisch, dass Zypern in der Lage sein wird, in absehbarer Zeit die Finanzspritze von zusätzlich 10 Milliarden wieder zurückzuzahlen. Was nützt also das Ganze? Nix.
Leidet ganz Zypern?
Nun ist ja der Norden der Insel seit 1974 von der Türkei besetzt. Das ist zwar völkerrechtlich nicht anerkannt, führt aber dazu, dass es sich hier nicht um Eurogebiet handelt. Also gilt hier die türkische Lira, profitiert dieser Teil von den geradezu chinesischen Wachstumsraten der türkischen Wirtschaft (2011 BIP-Wachstum von 8,5 Prozent). Obwohl die Türkei offiziell in die EU möchte, bildet gerade Zypern natürlich einen grossen Stolperstein. Und der Wirtschaftsaufschwung beweist, wie gut es einem Land geht, das nicht Mitglied des Trümmerhaufens Euroraum ist.