Wann folgt die nächste Eskalation? Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich der Vorhang zum nächsten Akt im Drama zwischen Iran und Israel öffnen wird, bis die israelische Luftwaffe Vergeltung für Irans letzte Vergeltung (die massive Raketen- und Drohnen-Attacke vom vergangenen Sonntag) üben wird. Diese wiederum verstand das Regime in Teheran als Vergeltung für den israelischen Luftangriff auf das Konsulats-Gebäude seiner Botschaft in Damaskus, bei dem am 1. April sieben Revolutionswächter, darunter zwei Generäle, umgebracht wurden.
Wie sind die beiden Staaten, deren Hauptstädte ja rund 2000 Kilometer voneinander entfernt liegen, zu Todfeinden geworden? Wer nach der Antwort sucht, muss zurückdenken bis in die Zeit vor der iranischen Revolution, also bis in die Jahre vor 1979.
«Der Schah muss weg»
Als Iran von Schah Reza Pahlevi beherrscht wurde, hatten die beiden Länder gute gegenseitige Beziehungen. 1957 gründete das Schah-Regime, in Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen CIA und dem israelischen Mossad, seinen Geheimdienst Savak. Dessen Hauptaktivität wurde im Verlauf der folgenden Jahre die Unterdrückung der Opposition, und als deren Bannerträger wiederum profilierte sich immer klarer Ayatollah Khomeini. Das Schah-Regime verbannte ihn nach Irak (dort gibt es zwei für die Schia heilige Städte, Najaf und Kerbala), und von dort zog Khomeini weiter nach Frankreich.
Das langjährige Exil tat dem Renommée des Klerikers keinen Abbruch, im Gegenteil: Khomeini liess seine Wut-Predigten gegen das Schah-Regime auf das damals als besonders fortschrittlich geltende Medium, die Audio-Kassette, aufzeichnen, und im Nu verbreiteten sich seine Parolen in ganz Iran, und das von Neuem jede Woche, nach jedem Freitag. «Der Schah muss weg», lautete die Message, und mit ihm müssen die USA und deren Helfershelfer, also vor allem Israel, aus der Welt des Islam, also aus dem ganzen Nahen und Mittleren Osten verschwinden, forderte Khomeini. Denn Israel sei eine kolonialistische Erfindung des Westens, predigte er, eine Erfindung auf dem Buckel der muslimischen Palästinenser.
Der Schah kapitulierte angesichts der Millionen-Proteste in Iran um die Jahreswende 1978 /1979, Khomeini flog an Bord einer Air-France-Maschine am 1. Februar 1979 nach Teheran und wurde frenetisch begeistert von einer Menge von mindestens zehn Millionen Menschen empfangen. Er versprach die Schaffung einer islamischen Republik, eines Staats mit gleichen Rechten für alle und Freiheit für alle. Rund zwei Monate später votierten über 90 Prozent der Iranerinnen und Iraner für die Schaffung einer islamischen Republik – ohne zu wissen, was Khomeini, der vermeintliche Befreier von Unterdrückung, damit wirklich meinte. Als man da klarer sehen konnte, war es zu spät …
Der blutige Krieg Iran – Irak
Da Khomeini den Staat Israel nicht anerkannte, wandelte er die Botschaft des Landes in eine Botschaft Palästinas um. Er proklamierte einen jährlichen al-Quds-Tag (al-Quds ist die islamisch/arabische Bezeichnung für Jerusalem) und erklärte in einer Predigt, seine islamische Revolution müsse bis nach al-Quds getragen werden.
Ein Jahr später brach zwischen Khomeinis Iran und Saddam Husseins Irak der Krieg aus. Der Irak erhielt im blutigen Konflikt (er forderte in acht Jahren auf jeder Seite mindestens eine halbe Million Tote, wahrscheinlich sogar bedeutend mehr) Sukkurs von der Seite westlicher Staaten, auch von Israel. Aber dieses Engagement zugunsten des Diktators in Bagdad war von Widersprüchen durchzogen – in Israel gelangten die damaligen Verantwortungsträger zum Schluss, man sollte dem Irak trotz allem nicht zu einem durchschlagenden Erfolg auf den Schlachtfeldern verhelfen, sondern den blutigen Abnützungskrieg in die Länge ziehen, damit letzten Endes beide geschwächt würden. Daher lieferte Israel Iran Waffen zunächst im Umfang von etwa 75 Millionen Dollar – und liess sich danach auch in den so genannten Iran-Contra-Deal der US-amerikanischen Reagan-Administration einspannen, der dazu führte, dass via Israel (und einem anderen Drittstaat) Waffen sogar im Wert von 500 Millionen nach Iran geliefert wurden.
Terrorakte
Der Krieg endete mit der von Israel und den westlichen Mächten erwarteten Erschöpfung sowohl Iraks als auch Irans – Khomeini starb ein Jahr danach, aber was die Haltung der Führung der islamischen Republik gegenüber Israel betrifft, ergab sich dadurch keine Veränderung. Khomeinis Nachfolger, Ayatollah Khamenei, pflegte die Feindseligkeit gegenüber Jerusalem verbal sogar noch ausgeprägter. Und erstmals gab es auch ein gegen Juden gerichtetes Attentat, den Anschlag von 1992 im argentinischen Buenos Aires. Ausgeführt wurde es angeblich von libanesischen Hizb-Allah-Terroristen, aber dass die iranische Führung dahinter stand, schien sonnenklar. Auch zwei weitere Terrorakte, einer nochmals in Buenos Aires, der andere in London, schrieb die internationale Gemeinschaft der iranischen Führung zu.
Danach wendete sich das Blatt: Es gab von Iran aus weiterhin verbale Drohungen gegen Israel, besonders in der Zeit der Präsidentschaft von Mahmud Ahmadinejad (2005 bis 2013), aber bis auf eine Ausnahme (Anschlag auf israelische Touristen in Bulgarien) keine Attentate mehr. Vielleicht trifft ja zu, was die israelische Regierung sagt, dass mengenweise Anschlagsversuche rechtzeitig entdeckt und damit verhindert werden konnten. Auf der anderen Seite agierte Israel je länger desto offensiver gegen Iran im Zusammenhang mit dessen Atom-Technologie. Ab 2010 ermordete der israelische Geheimdienst auf iranischem Territorium mindestens sechs iranische Techniker, attackierte die unterirdische Atomanlage von Natanz (in der Region von Isfahan) und platzierte ein mit den USA entwickeltes Virus, Stuxnet, in verschiedenen Forschungseinrichtungen in Iran und in den Energie-Reaktor von Busheer.
Erneute Eskalation der Spannungen
Auf politischer Ebene agitierte die israelische Regierung gegen den im Jahr 2015 von den USA, Frankreich, Deutschland, Grossbritannien, Russland und China mit Iran abgeschlossenen Atom-Kontroll-Vertrag – so erfolgreich, dass US-Präsident Trump im Jahr 2018 das im Wesentlichen erfolgreiche Vertragswerk zerriss und damit das Tor öffnete zur erneuten Eskalation der Spannungen. Trump, im Einklang mit der israelischen Regierung, prophezeite, Iran werde unter den nun verfügten Sanktionen wirtschaftlich zusammenbrechen. Er irrte sich – das iranische Regime fand Mittel und Wege, die Sanktionen dank Zusammenarbeit mit China und Russland (möglicherweise auch mit Nordkorea) zu umgehen und seine militärische Macht, besonders im Bereich von Raketen und Drohnen, effizient auszubauen. Und im grossen regionalen Kontext des Mittleren und des Nahen Ostens erstarkte das iranische Regime dank Allianzen mit der schiitischen Hizb-Allah in Libanon, mit Syrien, mit Milizen in Irak, in Jemen (Huthi) und der palästinensischen Hamas.
All das kostet Iran Milliarden, Geld, das eigentlich sinnvoller in die Volkswirtschaft im eigenen Land investiert worden wäre.
Wer ist schuld?
Das iranische Regime wird nicht müde zu betonen: Wir haben nichts gegen Juden – und weist darauf hin, dass noch immer etwa 30’000 Juden im Land leben und dass diese kleine Minderheit sogar eine Repräsentanz im (nun ja, eher machtlosen) Parlament habe. Iran lehne jedoch den Zionismus ab, das heisst, es betrachte den Staat Israel als illegal und fordere gleiche Rechte auf dem Territorium Palästinas für Juden wie für Araber. Und, klar, al-Quds, also Jerusalem, für den Islam.
Wahrscheinlich fragen Sie sich nach der Lektüre dieses Beitrags: Wer ist nun wirklich schuld an der verfahrenen Situation, am Konflikt zwischen Israel und Iran? Eine gute Frage – auf die ich, im historischen Kontext, keine Antwort weiss. Ich weiss nur, zurückkommend auf die aktuelle Problematik: Für diese letzte Eskalation trägt die israelische Regierung die Verantwortung. Für die Attacke auf das iranische Konsulat respektive das Botschaftsgebäude in Damaskus und die Tötung der iranischen Generäle (das hat ja den massiven Angriff Irans mit Raketen und Drohnen ausgelöst) gab es im Kontext des gegenwärtigen Konflikts schlicht keine Notwendigkeit.