Auch bezüglich der Genres und der Techniken, mit denen er arbeitet, ist er erfinderisch, wendig und an Überraschungen interessiert.
Woody Allen lässt sich nicht auf eine bestimmte Charakteristik festlegen, es sei denn seine Brille. Selbst psychopathologisch bietet er – nach 37 Jahren Psychoanalyse – ein schillerndes Bild. Es sei in den vielen Jahren so vieles über ihn gesagt worden, sagt ein müder, altgewordener Woody dem Filmer Robert Weide, reine Mythen, Übertreibungen, Unwahrheiten – ja doch, manches stimme auch.
Woody Allens Komik
Am deutlichsten kommt Woody Allens Unfassbarkeit im Spiegelkabinett seiner Komik zum Ausdruck. Für einen Komiker ist nichts verbindlich, in jede Rolle kann er ungestraft hineinschlüpfen; in Witzform darf man alles sagen und seine Aggressionen spielen lassen, ohne die Zuneigung des Publikums zu verlieren. Die Hofnarren verlassen sich darauf, dass sie nicht ernstgenommen werden.
Woody Allens Komik ist nicht immer lustig, er präsentiert sie oft in Zusammenhängen, die eigentlich traurig sind und vielfach wirkt sie gehemmt, faxenhaft und stereotyp. So haftet ihr manchmal etwas Unfreiwilliges an – nicht dass der Profi je unfreiwillig komisch wäre, aber dass er wohl nicht ganz freiwillig Komiker geworden ist.
Robert Weides Interesse für amerikanische Komiker
Robert Weide (*1959) hat Woody Allen zwei Jahre lang bei der Arbeit, zu Hause, an die Orte seiner Kindheit sowie zur Cannes-Premiere seines Grosserfolgs „Midnight in Paris“ im Jahre 2011 begleitet. Er scheint sein Vertrauen gewonnen zu haben.
So zeigt sich ihm Woody Allen in entspannter Authentizität, als weiser alter Gesprächspartner. Er erzählt von seiner Arbeit: Regenwetter sei super, da müsse und dürfe man zu Hause sitzen und schreiben. Er schreibt schnell. Alles was er schreibe, erscheine ihm zunächst wunderbar – die realistische Kritik komme danach.
Er zeigt dem Filmer seine alte mechanische Schreibmaschine, die er schon als Sechzehnjähriger benutzte – diese instand zu halten, muss einiges gekostet haben, und Farbbänder zu finden, ist kompliziert geworden, aber darüber redet er nicht. Er habe immer alles auf dieser Maschine geschrieben. Seine Texte montiere er mit Hilfe von Schere und Bostitch. Über seinem Arbeitsplatz sieht man das Bild von einem Bienenkorb hängen. Auf zahllosen Zettelchen notiert er laufend seine Ideen – „I have endless ideas for movies“.
Unverblümte Witze
Weides Laufbahn als Drehbuchautor, Produzent und Regisseur hat mit einem frühen Interesse für Komiker angefangen. Komiker, Satiriker und beissend kritische Shows haben in den USA eine grosse Tradition und nicht zu unterschätzende kulturkritische und politische Bedeutung. Als „Comedians“ integriert die amerikanische Gesellschaft Figuren, die sie normalerweise zu marginalisieren, zu bekämpfen, zu bekehren oder zu therapieren pflegt. Als Witzbolde können sich manche Skeptiker und Dissidente, die ihr Einverständnis mit den herrschenden Verhältnissen verweigern, einen sozialen Platz schaffen. Mit 18 Jahren hat Weide seinen ersten Film über die Idole seiner Adoleszenz, die Marx Brothers, begonnen, den er 1982 beendete. 1986 folgte „W.C. Fields: Straight Up“. William Claude Fields (1880–1946) ist als notorischer Alkoholiker und Misanthrop aufgetreten („I drink therefore I am“) und ist an seinem Alkoholismus auch gestorben. Drei Jahre später folgte „Mort Sahl: The Loyal Opposition“.
Mort Sahl (*1927) hat bei Gelegenheit Witze für Kennedys Reden geschrieben und war mit Reagan befreundet ("Washington couldn't tell a lie, Nixon couldn't tell the truth, and Reagan can't tell the difference"), ist jedoch für seine politischen Aktivitäten schliesslich auf einer ruinösen Schwarzen Liste gelandet. 1998 brachte Weide den Dokumentarfilm “Lenny Bruce: Swear to Tell the Truth“ heraus. Lenny Bruce (1925–1966) war für seine unverblümten Witze zu Politik, Religion und Sex bekannt, 1964 ist er wegen Obszönität angeklagt und verurteilt worden, wiewohl sich zahlreiche Persönlichkeiten – darunter Woody Allen – für ihn einsetzten.
Und jetzt hat sich Robert Weide Woody Allen zugewendet.
Woody Allen wird zum „household name“
Geübt und intelligent montiert Weide sein Material zu einem knapp zwei Stunden langen, aber sehr kurzweiligen Dokumentarfilm. Die chronologische Abfolge von Woody Allens Filmen und Auftritten bildet die Leitlinie – Interviews mit Managern, MitarbeiterInnen, Partnerinnen, Verwandten und vielen anderen, Ausschnitte aus alten Fernsehaufzeichnungen und Filmen sind ihr zugeordnet. Zwischendurch wird auf einzelne Themen fokussiert, etwa auf Woody Allens bewunderten Umgang mit seinen SchauspielerInnen – die er gezielt engagiert und dann ihre eigenen Wege finden lässt. Er vertraue ihnen, lasse ihnen viel Spielraum, und: „everybody wants to work for him!“
1935 als Allan Stewart Konigsberg geboren, ist Woody Allen in Brooklyn, New York in einer erweiterten jüdischen Einwandererfamilie – „a madhouse“ nennt er das Zuhause seiner Kindheit – aufgewachsen. Bis zu seinem fünften Jahr sei er ein lebhaftes, fröhliches Kind gewesen, dann etwas schwierig geworden. Seine Mutter meint, sie sei vielleicht zu streng mit ihm gewesen. Er selbst sagt, in dem Alter habe er eben begriffen, dass er sterblich sei und irgendwann für immer verschwinde. Die Schule habe er gehasst; vieles hatte er wohl auch als kleingewachsener und jüdischer Junge zu erdulden.
Jedes Jahr ein Film
Schon als Schüler fing er an, Witze zu schreiben und zu veröffentlichen. Und bald wurde sein komisches Talent „entdeckt“ – seit der Entdeckung von Amerika pflegen die USA eine Kultur der Erfindungen und Entdeckungen. So trat Allan als Allen in New Yorker Clubs auf, avancierte rasch vom Geheimtip zur Empfehlung der New York Times, die Produzenten und „Talent-Manager“ Ch. H. Joffe und Jack Rollins nahmen sich des werdenden Stars an, der Talkmaster Dick Cavett amüsierte sich mit ihm im Rahmen seiner berühmten TV-show – es wurde eine solide „fanbase“ geschaffen und „Woody Allen“ zum „household name“ gemacht.
Schliesslich gelangte er nach Hollywood – er durfte das Drehbuch für „What’s new Pussycat?“ (1965) schreiben und hatte dort auch seinen ersten Filmauftritt. Enttäuscht und empört über die Verunstaltung seines Scipts durch Produktion und Regie schwor er sich jedoch, solches nie wieder geschehen zu lassen und seine Filme künftig in vollständig eigener Verantwortung zu machen. Seither hat er im Durchschnitt ungefähr jedes Jahr einen Film gedreht, bislang sind es rund vierzig – diesem Tempo entsprechend von unterschiedlicher Qualität. Seine Gewinne hat er jeweils in weitere Arbeiten investiert.
Als erstes bringt er 1969 „Take the Money and Run“ heraus. 1971 folgten „Bananas“ – „Bananas“ sind damals mit ganz neuen Tönen und Bildern erheiternd aufgefallen – seither hat man sich an diese gewöhnt, es waren nicht zuletzt Woody Allens Filme, die den Blick verändert haben.
Zwischen Tragik und Komik
Der Durchbruch kam 1977 mit „Annie Hall“ („Der Stadtneurotiker“), der Film über einen erfolgreichen Komiker (Woody Allen), der es jedoch mit Frauen – sogar mit der ebenso neurotischen Annie Hall (Diane Keaton) – trotz und mit aller psychoanalytischen Einsicht immerzu verdirbt. „Annie Hall“ hat verschiedene Oscars gewonnen.
Für Woody Allen bedeutete „Annie Hall“ auch die ersehnte Abkehr von der reinen Komik. Er wäre gerne ein „gifted and great tragedian“ geworden, er wollte auch ernstgenommen werden. „I prostitute myself“ kommentiert er manche seiner frühen Auftritte. Seine Tendenz, einen ernsthaften Umgang mit sich selbst durch Wendungen ins Komische zu boykottieren, wird ihn sein Leben lang beschäftigen.
Mit „Interiors“ hat er 1978 jedoch eine atmosphärisch dichte, sehr eindrückliche Tragödie auf die Leinwand gebracht. Diane Keaton habe ihn die Dinge mit weiblichen Augen sehen gelehrt, sagt Woody Allen, es war der Anfang eines Schreibens auch aus weiblicher Perspektive, die ja viel interessanter sei als die gewohnte des männlichen Komikers. Aber sein Rollenfach hat ihn immer wieder eingeholt.
„I am cursed with the clown’s approach“
Mit der romantischen Komödie „Manhattan“ (1979) war Woody Allen so unzufrieden, dass er sie zurückzuziehen versuchte. Stattdessen wurde sie zum Grosserfolg.
In „Stardust Memories“ (1980) thematisiert er das Beengtwerden durch Ruhm. Sein Protagonist, der für seine Komödien berühmte Filmemacher Sandy Bates (Woody Allen), von einem penetranten Publikum bejubelt und umschwärmt, wohnt einer ehrenhaften Retrospektive seines Werks bei. Gleichzeitig hält er Rückschau auf sein Leben und seine Liebeskonflikte. Er möchte vom Publikum nicht lediglich als Komiker wahrgenommen werden – wie Woody Allen selbst in „Stardust“ wohl ernsthaft vom doppelten Scheitern seiner Beziehung zu Publikum wie zu Frauen erzählen will. Aber Sandy Bates’ Fans ziehen „seine früheren, lustigeren“ Filme vor.
Selbst die Ausserirdischen helfen ihm nicht aus seiner Rollenfalle heraus – „we enjoy your films,“ sagen sie, „particularly the early funny ones“. Folgerichtig sind die „Stardust Memories“ seinerzeit tatsächlich sehr ungnädig aufgenommen worden, indem man sie zu wenig lustig und aggressiv gegenüber dem Publikum fand, was sie natürlich auch waren. Mir selbst erschienen sie damals zu wenig radikal in der Reflexion der eigenen Verführbarkeit – worin sich wohl mein unrealistisches Bild des Künstlers spiegelte. Woody Allen selbst liebt die „Stardust Memories“ und bezeichnet sie als einen seiner besten Filme, worin man ihm, gerade auch aus der Perspektive von Weide’s Film, recht geben muss.
Glück nur im Kino
„Zelig“ (1983) macht die Verführbarkeit zum Thema. „Zelig“ ist ein „Mockumentary“, ein Spielfilm, der als Dokumentarfilm auftritt. Leonard Zelig, der hochberühmte „Chamäleon-Mann“ der 1920er und 30er Jahre, hat aus einem überwältigenden Bedürfnis zu gefallen, gelernt, sich seinen sehr verschiedenen Mitmenschen vollständig anzupassen. Er nimmt je nach Umgebung andere Gestalt an, im Spital tritt er als Arzt auf; wo Juden sind, als bärtiger Rabbiner; in Gegenwart von Chinesen wird er Chinese; in Gegenwart von Schwarzen schwarz. Er erscheint, wo immer die Medien sind und erregt dadurch wiederum deren Interesse – immer wieder hat Woody Allen die Medien thematisiert. Die Liebe seiner Psychotherapeutin (Mia Farrow) heilt Zelig, aber dabei verliert er seine ganze Aussergewöhnlichkeit und wird zu einem unauffälligen, etwas langweiligen Typ.
„The Purple Rose of Cairo“ (1985) handelt vom Kino. „The Purple Rose of Cairo“ ist Cecilias (Mia Farrow) Lieblingsfilm, sie schaut ihn immer wieder an, namentlich der Archäologe Tom, gespielt von Gil (beide dargestellt von Jeff Daniels), gefällt ihr besonders. Zu Hause wird sie vom Mann misshandelt, nur im Kino ist sie glücklich. Irgendwann tritt Tom aus der Leinwand heraus und gesteht Cecilia seine Liebe. Gil möchte Tom aber in den Film zurückholen und missbraucht seine Liebesbeziehung zu Cecilia zu diesem Zweck. Sehr klug erzählt „The Purple Rose of Cairo“ von der verwickelten Beziehung zwischen Filmfigur, Schauspieler und Publikum, Virtualität und Alltagsrealität, Trug und Echtheit, die Woody Allen beschäftigt, es ist, neben „Stardust“, der andere Film, den er zu seinen besten Werken zählt.
Grösse und Unsterblichkeit
“The only thing standing between me and greatness is me“, scherzt der eher kleingewachsene Regisseur. Das Meisterwerk, den „great film“ habe er nicht geschaffen, sagt er seinem Interviewer, er habe nicht die Hingabe, die es brauche, um ein „grosser“ Künstler zu sein.
‘Grösse’ hat auch mit Körpergrösse zu tun, welche die Selbst- und Fremdwahrnehmung eines Menschen stark mitgestaltet – Komik spielt ja übrigens immer wieder mit dem Topos der mangelnden Grösse, gerade von Männern. Woody meint mit der ‘Grösse’, die ihm fehle, allerdings eher ein psychosoziales Heraus- und Überragen, eine Gewichtigkeit, die sich mit dem historiographisch fragwürdigen Begriff der ‘Unsterblichkeit’ und des ‘Zeitlosen’ verbindet – tatsächlich ist Komik zeitgebundener als Tragik.
Die Erschütterung des fünfjährigen Allan Stewart durch die Einsicht in die Vergänglichkeit verfolgt ihn fast lebenslang auch in Gestalt der wiederkehrenden Enttäuschung über die eigenen Produkte. „Everything you write is great“, aber gleich nachher zerfällt die Grösse. Manches, was beim Filmen zunächst lustig erscheine, sei es bei zweitem Hinsehen nicht mehr – die Realität schmerze immer, „reality always disappoints“. Bewunderung kann auch nicht helfen. Man müsse lernen, die nicht ernst zu nehmen. “You have to disregard all the compliments.“
„A happy accident“
„Midnight in Paris“ (2011) ist Woody Allens bislang erfolgreichster, sehr gut besprochener Film geworden. Mir selbst schien er zu seinen schwächeren zu zählen. Was aber die Frage der Unsterblichkeit betrifft, gibt es da neue Töne, wie der Rezensent A. O. Scott in der New York Times bemerkt: „Mr. Allen hat oft gesagt, er erwarte nicht, dass sein Werk überlebe, aber die bescheidene und leichtherzige ‘Midnight in Paris’ legt etwas anderes nahe: kein ehrgeiziges Streben nach Unsterblichkeit als vielmehr eine Bereitschaft, etwas zu hinterlassen, ein Stück Erinnerung oder Kunst oder … etwas, was die Aufmerksamkeit und die Bewunderung einsamer Wanderer in der Zukunft auf sich ziehen kann.“
Woody Allens Schwester und Produzentin Letty Aronson sagt, sie habe den acht Jahre älteren Bruder, der seit 20 Jahren in der glücklichen Beziehung mit Soon-Yi und zwei reizenden Adoptivkindern lebe, noch nie so glücklich gesehen wie nach diesem Erfolg, den er selbst als „a happy accident“ bezeichnet. Und mit Robert Weides Film, der 2011 als Teil der prominenten Fernsehsendungen „American Masters“ erschien, ist Woody Allen nun in den Kreis der Meister aufgenommen worden.
„Woody Allen: A Documentary“ verdient Aufmerksamkeit und Bewunderung, er zeigt einen selten entspannten, in die Jahre gekommenen Woody Allen, der am Ende mit einem lachenden und einem weinenden Auge zusammenfasst: Ich habe alle meine Kinderträume gelebt – wieso denn hab ich immer noch das Gefühl, irgendwie versagt zu haben? „Why do I still feel like I’d screwed somehow?“