Daran gibt es nichts zu rütteln: Das Schweizer Volk hat die Ausschaffungsinitiative nach einem emotionsgeladenen Abstimmungskampf angenommen, jedenfalls die Deutschschweizer und die Tessiner. Doch dieser Verfassungsartikel kann nicht buchstabengetreu umgesetzt werden, auch wenn Bund und Kantone sich dafür einsetzen würden, denn in Länder, in denen Folter üblich ist, darf die Schweiz gemäss Bundesverfassung sowie zwingendem Völkerrecht keine Menschen abschieben; zudem gibt es Staaten, die ihre zwangsweise weggewiesenen Bürger gar nicht zurücknehmen. Diese sowie weitere Hindernisse waren bekannt, doch gleichwohl hat das Volk dem verunglückten Text zugestimmt. Dazu ein paar Überlegungen.
Verunglimpfungen – steter Tropfen höhlt den Stein
Viele Kommentatoren betonen, der SVP gelinge es immer wieder, die Stimmung der Bevölkerung zu treffen, mit ihren Initiativen das Unbehagen einzufangen und das Volk für ihre Vorlagen zu gewinnen. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Die SVP, das trifft zu, kann die Unzufriedenheit auf ihre Mühlen leiten, sie „bewirtschaftet“ geschickt Missstimmungen im Volk, doch sie tut mehr: SVP-Politiker und Parteimitglieder schüren seit Jahre mit grossem Aufwand und enormem persönlichen Einsatz Befürchtungen und Ängste in der Bevölkerung, lenkt sie auf die Ausländer, die als Sündenböcke dienen. Manchmal sind die Ausländer allgemein im Visier, die den Schweizern den Arbeitsplatz oder die Wohnung wegnehmen, manchmal die kriminellen Ausländer. Es wird viel negative Energie verströmt, man denke nur an eine Person wie Nationalrat Ulrich Schlüer, der seit 40 Jahren Ausländer schlecht macht, zu Beginn seiner Karriere noch als Sekretär von Nationalrat James Schwarzenbach. Oder an jenen Tessiner Grossrat, der die Befürworter des Gegenvorschlags bezichtigt, sie wollten à tout prix den Abschaum der ganzen Welt in der Schweiz behalten. Mit Plakaten, Inseraten, Aufrufen, Reden, Zeitungsartikeln, Interviews und Leserbriefen wird seit Jahren ein negatives Bild der Ausländer aufgebaut – mit viel Geld, mit sehr viel Geld. Doch wenn es darum geht, Probleme anzugehen, z.B. die Eingliederung von Ausländern aktiv zu fördern, wehrt sich die SVP stets dagegen. Nicht nur will sie kein Geld ausgeben zugunsten der Integration von Ausländern, sie hat gar kein Interesse an der Lösung bestehender Probleme, denn würden sich die Wogen glätten und breiten Bevölkerungskreisen klar werden, dass wir bereits auf guten Wege sind, dann fiele es der SVP nicht mehr so leicht, Ausländer zu Sündenböcken zu stempeln und so Stimmen zu gewinnen. Hier ist noch beizufügen, dass das Zusammenleben von über eineinhalb Millionen Ausländern mit der schweizerischen Bevölkerung eigentlich eine Erfolgsgeschichte ist, doch einen skandalösen Einzelfall findet man natürlich immer.
Da die SVP erfolgreich ist, wir ihr allgemein, auch von vielen Journalisten, ein gerissenes Marketing attestiert, doch kaum jemand scheint sich daran zu stören, dass sie ihre Siege auf dem Buckel der Schwachen erringt, einmal zulasten der Ausländern, dann zulasten der Invaliden, der Arbeitslosen. Erstaunlich, ja beängstigend ist überdies, dass bürgerliche Politiker nur ausnahmsweise das Aufbauen von Feindbildern kritisieren, obschon sie selber von der Blocher-Partei immer wieder gedemütigt werden.
Das Vorgehen der SVP müsste Liberale wie Christlichdemokraten zutiefst entsetzen, doch diese übersehen leichthin deren unschweizerische Art Minderheiten auszugrenzen und knüpfen bedenkenlos Bündnisse mit ihr. So gerät man fast in Versuchung, der Epoche von Schwarzenbach und der Nationalen Aktion nachzutrauern. Damals wurde mit gleichem Geschick der Zorn gegen die Ausländer geschürt, es waren zu jener Zeit vor allem Italiener. Doch im Unterschied zu heute, da die populistische Verleumdung von der stärksten Partei unseres Landes betrieben wird, war es damals eine kleine Gruppe von Eiferern. Alle Parteien, auch die SVP, die sich damals noch Bauern- Gewerbe und Bürgerpartei nannte, zeigten Schwarzenbach und seine Gefolgsleuten konsequent die kalte Schulter.
Wir brauchen die Ausländer, aber…
Die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, so heisst es, seien nüchtern und rational. Als Beweis dafür wird oft erwähnt, das Volk sei sogar bereit, Steuererhöhungen zuzustimmen. Ob das Stimmvolk je so vernünftig und rational war, wie sein (heute verblichenes) Image glauben macht, bleibe dahingestellt. Es zeigt sich jedoch, dass die Schweizer rational stimmen, wenn offensichtlich ist, dass die Interessen der Wirtschaft auch die ihren sind.
So sind alle Volksinitiativen abgelehnt worden, welche einen starken Abbau der ausländischen Bevölkerung verlangten; das hätte nämlich zu unangenehmen Konsequenzen geführt, z.B. für die Pflege in den Spitälern oder die Kehrichtabfuhr in den Gemeinden. Hingegen lehnte das Volk Initiativen und Bundesgesetze ab, die Ausländern mehr Rechte geben wollten: die Mitenand-Initiative der 80er Jahre wie auch die Bundesgesetze zur erleichterten Einbürgerung. Mit andern Worten: Wir brauchen die Ausländer, aber Rechte wollen wir ihnen nicht geben. Oder sarkastisch formuliert: Wir sind gegen Ausländer, solange es uns nichts kostet.
Auch für die direkte Demokratie gibt es Grenzen
Es ist fragwürdig, ja staatspolitisch unverantwortlich, wenn dem Volk Verfassungsartikel unterbreitet werden, von denen Behörden und Politiker wissen, dass sie nicht buchstabengetreu umgesetzt werden können. Trotzdem hat das Parlament die linken Politiker überstimmt, welche die Ausschaffungsinitiative ungültig erklären wollten. Das war meiner Meinung nach ein grober Fehler, umso mehr als der Bundesrat in den Abstimmungsunterlagen schrieb, „eine Annahme der Initiative würde zu erheblichen Konflikten mit grundlegenden Werten der Bundesverfassung führen, beispielsweise mit dem Grundsatz, dass die von den Behörden angeordneten Massnahmen immer verhältnismässig sein müssen.“
Wenn das Volk einer Initiative zustimmt, so darf es erwarten, dass sie umgesetzt wird. Wenn das nicht geschieht, so gewinnt es den Eindruck, von den Politikern hereingelegt zu werden. Mit einem so kostbaren Gut wie der Bundesverfassung müssen wir sorgsam umgehen. Auch die direkte Demokratie braucht Schranken wie sie ebenfalls Bundesrat, Parlament und den richterlichen Behörden auferlegt sind. Initiativen, welche gleich mehrere Bestimmungen unserer Verfassung aushebeln, dürfen in Zukunft dem Volk nicht mehr vorgelegt werden. Bundesrat und Parlament sind gefordert, die notwendigen Kriterien für die Zulassung von Volksinitiative neu zu formulieren.