Wo sie auftauchen, herrscht Angst und Schrecken. Und sie geniessen ihre Macht. „Es gefiel mir, dass die anderen sich vor mir fürchteten und zitterten“, sagte Napoleon Lopez, ein ehemaliger Marero, in einem Gespräch mit dem katholischen Hilfswerk Caritas International. Der junge Mann aus El Salvador war zehn Jahre Mitglied der Mara Salvatrucha, der grössten und gewalttätigsten Jugendbande Zentralamerikas. Dann verletzte ihn bei einem Kampf mit einer verfeindeten Gruppe eine Kugel so schwer, dass er sich seither nur noch im Rollstuhl bewegen kann. Er stieg aus – und gilt seither für seine Mara als Verräter.
Zerstörerische Ameisen
Maras sind kriminelle Cliquen mit jeweils etwa 20 Mitgliedern im Alter zwischen12 und 30 Jahren. Woher sie ihren Namen haben, ist nicht restlos geklärt. Die gängigste Theorie geht davon aus, dass das Wort von Marabunta kommt. Es handelt sich dabei um eine Ameisenart aus dem Amazonas-Regenwald, die scharenweise in ein Gebiet einfällt und alles abfrisst. Wie viele Mareros es in ganz Mittelamerika gibt, kann niemand genau sagen. Die Schätzungen reichen von mehreren Zehntausenden bis zu einer halben Million.
Am stärksten sind sie in El Salvador, Honduras und Guatemala präsent. Es vergeht praktisch kein Tag, ohne dass einheimische Medien über Morde, Raubüberfälle, Erpressungen, Drogendelikte und anderen Schandtaten berichten, die angeblich auf das Konto von Jugendbanden gehen. Spätestens in der Nacht sind zahlreiche Armenviertel fest in ihrer Hand. Die meisten der mafiaähnlich organisierten Gruppen sind miteinander vernetzt und gehören grösstenteils entweder zur Mara Salvatrucha oder zu Mara 18, die sich gegenseitig bis aufs Blut bekämpfen. Die Einflussbereiche sind in der Regel mit Graffitis klar abgegrenzt, wer sie nicht akzeptiert, spielt mit dem Leben.
Die Kirche als Vermittlerin
Die Regierungen haben bisher im Kampf gegen die Jugendbanden fast ausschliesslich auf Repression gesetzt. Mit wenig Erfolg. Jetzt haben in El Salvador die Maras überraschenderweise von sich aus eine gewisse Bereitschaft bekundet, die Gewalt einzudämmen. Vor ein paar Wochen sollen laut einheimischen Medienberichten die Bosse der Mara Salvatrucha und der Mara 18 sich darauf geeinigt haben, einander nicht mehr mit der gleichen Brutalität wie bisher zu bekämpfen.
Gleichzeitig boten sie der Regierung Friedensverhandlungen an. In einem offenen Brief erklärten ihre Wortführer, sie seien sich bewusst, dem Land grossen sozialen Schaden zugefügt zu haben. „Aber zum Wohle des Landes und unserer Familien sowie in unserem eigenen Interesse möchten wir an der Befriedung von El Salvador mitwirken.“
Die Regierung bestreitet, irgendwelche Gespräche mit „kriminellen Gruppen“ aufgenommen zu haben oder zu planen. Dieser Tage wurden jedoch mehrere inhaftierte Mareros aus dem Hochsicherheitsgefängnis in der Stadt Zacatecoluca in Haftanstalten mit einem weniger strengen Regime verlegt. In den beiden Gefängnissen, in denen Chefs der Mara Salvatrucha oder der Mara 18 ihre Strafe verbüssen, dürfen jetzt auch katholische Geistliche die Messe lesen. Die Behörden anerkannten damit die wichtige Rolle, die die katholische Kirche spielt, im Bemühen, Gewalt durch Dialog zu ersetzen.
Weniger Morde – wie lange?
Wie ernst es den Jugendbanden mit ihren Friedensignalen ist, lässt sich schwer abschätzen. Der Militärkaplan Fabio Colindres, der zwischen den rivalisierenden Cliquen vermittelt hat, zeigte sich zuversichtlich: „Es wurde ein Weg eingeschlagen, auf dem es kein Zurück mehr geben darf.“ Sein Optimismus gründet sich nicht zuletzt darauf, dass in den vergangenen Wochen in El Salvador die Zahl der Morde deutlich zurückging. Starben vorher täglich zwischen 12 und 14 Personen eines gewaltsamen Todes, sind es jetzt durchschnittlich 5 oder 6 pro Tag. Mit 66 Opfern pro 100 000 Einwohner hat El Salvador eine der höchsten Mordraten weltweit. Noch schlimmer sieht es in Honduras mit 82 Morden auf 100 000 Einwohner aus. In Guatemala sind es 41, in der Schweiz weniger als 1.
Absolute Perspektivlosigkeit
Neben der katholischen Kirche haben auch mehrere soziale Organisationen im In- und Ausland immer wieder hervorgehoben, dass mit einer Politik der harten Hand gegenüber jugendlichen Kriminellen nur eine beschränkte Wirkung erzielt werden kann. Sie kritisieren vor allem, dass mit einer solchen einseitigen Ausrichtung das Übel nicht an der Wurzel bekämpft wird: den sozialen und psychosozialen Ursachen, die Kinder und Jugendliche dazu treiben, sich einer Gang anzuschliessen.
Peter Peetz, der früher für die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa arbeitete, ortete in einer Analyse des Instituts für Iberoamerika-Kunde Hamburg die tieferen Beweggründe für den massenhaften Zulauf der Maras in der völligen Perspektivlosigkeit der jungen Menschen, ihrer Armut und Mängeln in Erziehung und Bildung. Nach seiner Einschätzung „stellen die Solidarität in der Gruppe und die Zugehörigkeit zu einem machtvollen familien-, staats- und männerbundähnlichen Netzwerk den primären Sinn und Zweck der Banden dar“ – und nicht der Wunsch nach einer kriminellen Laufbahn.
Täter, aber auch Opfer
Sobald sie Mitglied einer Mara sind, verlieren die meisten Jugendlichen schnell alle Hemmungen; nicht zuletzt deshalb, weil in ihrer „vida loca“, ihrem verrückten Leben auch Drogen eine verheerende Rolle spielen. Laut einer Studie der Zentralamerikanischen Universität von El Salvador beteiligten sich alle der befragten Bandenmitglieder an Gewalttätigkeiten, rund ein Viertel gestand Morde. Mehr als die Hälfte sagte jedoch, dass sie nicht mehr gewalttätig sein möchte und auch gern von Drogen wegkommen würde.
Nicht selten werden Mareros, von denen viele durch ihre eindeutigen Tätowierungen am ganzen Körper leicht erkennbar sind, selber Opfer von Gewaltexzessen. In Gefängnissen und Jugendstrafkolonien kommen immer wieder mutmassliche Bandenmitglieder unter ungeklärten Umständen ums Leben. Und in den lokalen Medien erscheinen des Öfteren Berichte über „Strafaktionen“ von Todesschwadronen, die Jugendliche hinrichten. Da praktisch nie einer der Mörder gefasst, geschweige denn die Identität des Auftraggebers ermittelt wurde, liegt die Vermutung nahe, dass Polizisten in diese Verbrechen verwickelt waren.
Früchte der Bürgerkriege
Die Mara Salvatrucha und die Mara 18 haben ihren Ursprung in Los Angeles. In den achtziger und neunziger Jahren flohen unzählige Menschen aus den von Bürgerkriegen erschütterten Ländern in Zentralamerika in die USA und liessen sich dort in Armenvierteln von Städten wie New York oder Los Angeles nieder. Weil sie kaum andere Möglichkeiten sahen, schlossen sich viele jugendliche Einwanderer zusammen, nicht zuletzt zum Schutz vor Gangs anderer Volksgruppen.
Nach dem Ende der Konflikte in Mittelamerika kehrte ein Teil der Flüchtlinge in die alte Heimat zurück. Bei weitem nicht alle von ihnen aus freien Stücken; Ein 1996 erlassenes Gesetz erlaubte es den USA, straffällig gewordene Ausländer, die zu mehr als einem Jahr Haft verurteilt worden waren, in ihre Herkunftsländer abzuschieben. Unter den Rückkehrern, hauptsächlich unter den unfreiwilligen, befanden sich mehrere Hundert Mitglieder der Salvatrucha oder der Mara 18. Die Jugendbanden breiteten sich rasch in ganz Zentralamerika aus und erhielten überall starken Zulauf.
Das ist bis heute so. Und den zaghaften Friedenssignalen der letzten Wochen zum Trotz, wird bestimmt noch viel Blut fliessen, bis junge Männer wie Napoleon Lopez nicht bloss mit dem Segen der Kirche, sondern auch dem des Staates und der Bosse in ein Leben ohne Drogen, Waffenhandel, Raub, Prostitution und Geiselnahme zurückkehren können.