Die vielen venezolanischen Oppositionsparteien sind sich in einem einig: Sollte Maduro stürzen, so sollen innerhalb von zwölf Monaten Neuwahlen stattfinden. Wer würde das Rennen machen und Nachfolger des entmachteten Präsidenten werden? In Caracas wird längst schon spekuliert.
Doch noch ist Maduro da. Und vielleicht bleibt er länger, als manchen lieb ist.
Vordergründig geeinte Opposition
Juan Guaidó, der selbst ernannte Interimspräsident, der von den USA unterstützt wird, befindet sich in der Pole Position. Doch ob er der künftige Präsident Venezuelas wird, ist längst noch nicht sicher.
Die venezolanische Opposition ist – wie jede Opposition – ein Sammelbecken verschiedener ideologischer Strömungen. Doch im Kampf gegen Maduro haben sich die wichtigen Anti-Maduro-Parteien geeint – vordergründig.
Grob gesagt gibt es zwei Strömungen:
- Jene, die eine Verhandlungslösung anstreben und Maduro via Neuwahlen zur Aufgabe zwingen möchten.
- Und jene, die jede Verhandlung als Zeitverschwendung ablehnen. Sie wollen das Maduro-Regime wegputschen, und zwar so schnell wie möglich.
Doch die Fronten sind durchlässig. Vertreter beider Blöcke treten immer wieder gemeinsam auf und versichern sich ihre Solidarität. Alle haben nur ein Ziel: Maduro muss weg! Sollte es dann zu Neuwahlen kommen, könnte es mit der Solidarität vorbei sein.
„Voluntad Popular“
Zu jenen, die ohne Verhandlungsgeplänkel einen schnellen Systemwechsel wollen, gehört Juan Guaidó. Er vertritt die kleine Partei „Voluntad Popular“ (VP, „Volkswille“). Sie ist mit 14 Sitzen im 163 Sitze zählenden Parlament eher unbedeutend. Die Partei bezeichnet sich als „sozialdemokratisch“, steht aber in Wirklichkeit rechts der Mitte. Sie fordert einen radikalen Bruch mit aller „chavistischen“ Politik. Sie verlangt eine Reprivatisierung der von Hugo Chávez verstaatlichten Unternehmen, vor allem auch der Ölindustrie. Chávez hatte Tausende Betriebe verstaatlicht, sie mit unfähigen Parteigenossen besetzt und sie teilweise ins Verderben geführt.
Der stets smart und elegant auftretende Guaidó und seine ebenso elegante und smarte Frau Fabiana werden vom Westen gehätschelt, in Venezuela aber nicht nur geliebt. Sie gelten als Vertreter der wohlsituierten Schicht. Guaidó wird vorgeworfen, eine Marionette Trumps und der „US-Imperialisten“ zu sein. Tatsächlich wird er von amerikanischen Stiftungen, die den Exil-Venezolanern und der Kuba-Diaspora nahestehen, sowie der staatlichen amerikanischen „Behörde für Entwicklungszusammenarbeit“ (USAID), finanziell unterstützt.
Als Präsident des Verfassungsrates hatte Guaidó einen gewissen Bekanntheits- aber keineswegs einen hohen Beliebtheitsgrad. Jetzt ist er für viele ein Hoffnungsträger. Das könnte mindestens bis zum Sturz Maduros dauern. Sollen aber in Venezuela einmal wieder demokratische Verhältnisse herrschen, steht keineswegs fest, dass er die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich scharen kann.
Parteipräsident im Hausarrest
Guaidó ist heute die Galionsfigur der Voluntad Popular. Parteipräsident ist jedoch nach wie vor der führende Oppositionspolitiker Leopoldo López. 2015 wurde er zu fast 14 Jahren Gefängnis wegen Aufruf zur Gewalt verurteilt. Zurzeit befindet er sich im Hausarrest. Dass auch er, wie Guaidó, Staatspräsident werden möchte, gilt als sicher. López, ein Harvard-Absolvent, gilt als extrem ehrgeizig und hart, hat aber auch etliche Feinde. Ob Guaidó gegen ihn im innerparteilichen Machtkampf bestehen kann, wird sich zeigen.
Nach der Festnahme von Leopoldo López übernahm seine Frau, die frühere Kite-Surferin, Menschenrechtsaktivistin und TV-Entertainerin Lilian Tintori die Rolle einer Oppositionsführerin. Die Opposition bekam durch sie etwas Glamour und fand auch in den Boulevardmedien Beachtung. Tintori pflegt zu allen Oppositionsparteien gute Beziehungen.
Auf die Seite der Voluntad Popular haben sich zwei kleine Formationen geschlagen, die als Parteien, mit je einem Sitz im Parlament, völlig unbedeutend sind, jedoch von zwei charismatischen Anführern geleitet werden:
Mögliche Kompromisskandidatin
Die populäre Maria Corina Machado steht der liberalen „Vente Venezuela!“ (VV, „Venezuela komm!“) vor. 2011 war ein Anschlag auf sie verübt worden. 2014 wurde ihre parlamentarische Immunität aufgehoben. Sie wurde aus dem Parlament ausgeschlossen, mit einer Ausreisesperre verhängt und der „Verschwörung“ angeklagt.
Die Juristin Maria Machado, die das Maduro-Regime als eine „grausame Militärdiktatur“ bezeichnet, gilt als intelligent, durchsetzungsfähig und kann regelmässig auf eine starke Medienpräsenz zählen. Sie könnte als Kompromisskandidatin für das Staatspräsidium in Betracht kommen.
Nach Spanien geflüchtet
Aufseiten der Voluntad Popular befindet sich auch die sozialdemokratische „Allianza Bravo Pueblo“ („Allianz des mutigen Volkes“) des Parteigründers Antonio Ledezma. Er wurde 2008 Bürgermeister von Caracas; 2015 stürzte ihn Maduro wegen angeblicher Anstiftung zu einem Putsch und brachte ihn ins Gefängnis. Im November 2017 flüchtete Ledezma nach Spanien, bleibt aber eine wichtige Figur in der Opposition.
Die beiden grössten Oppositionsparteien, die „Primero Justicia“ (PJ, „Gerechtigkeit zuerst“) und die „Acción Democrática“ (AD, „Demokratische Aktion“), stehen zwar den „Radikalen“ der Voluntad Popular nahe, schliessen aber eine Verhandlungslösung nicht aus.
Die sozialdemokratische Acción Democrática ist die grösste historische Partei Venezuelas. Sie verlor in den Neunzigerjahren langsam an Bedeutung. Geleitet wird sie von Henry Ramos Allup.
Die wichtigste Oppositionspartei
Der Primero Justicia ist die stärkste Oppositionspartei. Sie wird von Henrique Capriles angeführt. Er stammt aus einer reichen katholischen Familie, die teils jüdische Wurzeln hat. Im Wahlkampf wurde er mit heftigen antisemitischen Anschuldigungen konfrontiert. Capriles kämpft für ein unternehmerfreundliches, sozial breit abgestütztes Wirtschaftsmodell. Er bezeichnet sich als Sozialist, ist aber in Wirklichkeit ein Sozialliberaler. Nicht alle Programme, die Hugo Chávez aufgegleist hatte, will er über Bord werfen.
Capriles war es 2013 gelungen, die wichtigen Oppositionsparteien hinter sich zu scharen. Als gemeinsamer Oppositionskandidat stieg er ins Rennen gegen Maduro und verlor mit 49,06 Prozent der Stimmen nur knapp. Da er Wahlfälschung vermutete und eine Nachzählung der Stimmen verlangte, wurde er wegen „aggressiver und respektloser Behauptungen“ mit einer Geldbusse und einem Ermittlungsverfahren bestraft.
Vor den Parlamentswahlen im Jahr 2015 gelang es den Oppositionsparteien, ihr Bündnis, den „Runden Tisch der demokratischen Einheit“ (Mesa de la Unidad Demorática MUD), zu aktivieren.
Die Allianz erzielte mit 56 Prozent einen überraschend deutlichen Sieg. Als Folge davon entmachtete Maduro das Parlament und baute ein ihm genehmes Scheinparlament auf.
Boykottierte Wahlen
Dann brach die Opposition auseinander und spielte eine traurige Rolle. Die Präsidentenwahlen vom letzten Mai wurden von den radikalen Oppositionsparteien – unter anderem der Voluntad Popular von Juan Guaidó – boykottiert. Die Radikalen argumentierten, Maduro habe gegen die Verfassung verstossen und habe kein Recht zu kandidieren. Zudem würde die Opposition im Wahlkampf arg benachteiligt – und die Wahlen würden ohnehin gefälscht, also nehme man gar nicht daran teil.
Die gemässigte Opposition schickte dann Henri Falcón ins Rennen. Seine hoffnungslose Kandidatur wurde von der radikalen Opposition mit Schimpf und Schande bedacht. Falcón sagte, die Opposition habe ihn mehr bekämpft, als Maduro es tat. Maduro gewann mit 68 Prozent der Stimmen. Die meisten westlichen Staaten anerkannten das Ergebnis nicht.
Kapitaler Fehler?
Manche Beobachter sind der Ansicht, dass Maduro hätte geschlagen werden können, wenn die Opposition geeint für Falcón gestimmt hätte.
Der Wahlboykott eines grossen Teils der Opposition wird heute von vielen als kapitaler Fehler bezeichnet. Man mag von Umfragen halten, was man will. Doch es gab mehrere Befragungen, die einen Sieg der Opposition gegen Maduro voraussagten – wenn sie denn geeint aufgetreten wäre. Dies ist umso wahrscheinlicher, als die geeinte Opposition die Parlamentswahlen 2015 bravourös gewonnen hatte und sich inzwischen die Not im Land immer weiter ausgebreitet hat.
Was wäre, wenn
Hätte also Maduro und das heutige Elend in Venezuela verhindert werden können, wenn sich die Opposition geeinigt hätte? Wohl nicht, denn das Militär stand auf Seiten der Chavisten.
Man kann den Boykott der Radikalen verstehen. Sie argumentierten: Wir legitimieren dieses Unrechtsregime, wenn wir an „seinen“ Wahlen teilnehmen. Maduros Anhänger und manche Linksintellektuelle argumentieren gegenteilig: Nur weil die Opposition die Wahlen boykottierte, seien sie noch lange nicht illegal.
Die Chavisten – noch lange nicht am Ende
Und jetzt? Es ist anzunehmen, dass das brüchige Oppositionsbündnis nach einem Sturz Maduros auseinanderbrechen wird. Es sind zu viele Alphatiere auf der Pirsch, um schnell eine gütliche Einigung zu finden. Vor allem Leopoldo López und seine Frau Liliana Tintori sehen die westliche Begeisterung für Juan Guaidó mit gemischten Gefühlen. Und auch die chavistische Partei wäre nach einem Abgang Maduros noch lange nicht am Ende.
Doch wie auch immer: die Hoffnung ist realistisch, dass die Bevölkerung nach einer Entmachtung Maduros aus ihrem Elend zumindest teilweise erlöst würde.
Trump könnte ja, so witzelt ein Mexikaner in den sozialen Medien, das Geld für seine Mauer anderweitig verwenden: für einen Marschallplan für Venezuela.