Die Wahl soll am 23. und 24. Mai in der ersten Runde beginnen. Das Wahlresultat soll am 17. Juni endgültig feststehen, und dies soll auch der Zeitpunkt werden, an dem die Armeeführung "in die Kasernen" zurückkehren soll – Kasernen allerdings, die sehr gediegenen Villen gleichen.
Bevor dies geschieht, möchten die Generäle eine politische Regelung treffen, die zulässt, dass sie ihre bisherigen Privilegien bewahren oder gar weiter ausbauen können. Dies sind Privilegien, die sie während 60 Jahren der unter militärischer Überwachung stehenden ägyptischen Regierungen angehäuft haben. Es sind in erster Linie Vorrechte wirtschaftlicher Natur. Die Armee ist der weitaus grösste Unternehmer des Landes. Sie soll je nach Schätzungen zwischen 20 und 40 Prozent des ägyptischen Nationalproduktes produzieren. Es kommt vor, dass sie dem ägyptischen Staat einige Milliarden leiht, um ihm über finanzielle Engpässe hinweg zu helfen.
Ein Präsident mit unbekannter Machtausübung
Die Armeeführung strebt offensichtlich danach, die Volkswahl des Präsidenten so zu lenken, dass eine ihr genehme Persönlichkeit dieses höchste Amt im Staate erhält. Welches genau die Vollmachten des künftigen Präsidenten sein werden, ist allerdings noch ungewiss. Wie lange er sein Amt ausüben wird, ebenfalls. Die Verfassung, welche dies festlegen wird, ist noch nicht geschrieben. Es gibt ein politisches Seilziehen über die genaue Zusammensetzung des Verfassungskomitees, das sie schreiben soll.
Zwei Variablen, beide manipulierbar?
Man hat anzunehmen, dass die Militärspitzen dahin wirken werden, dass die Verfassung eine mächtige Präsidentschaft festschreibe, falls ein Präsident gewählt wird, der der Armee passt. Und umgekehrt, dass sie eine schwache, eher zeremonielle Stellung des Präsidenten anstreben wird, falls eine Person gewählt werden sollte, der sie wenig zustimmt.
Voraussetzungen einer Kandidatur
Gegenwärtig werden die Kandidaturen für die Präsidentenwahl entgegengenommen. Um offiziell kandidieren zu können, muss ein Präsidentschaftskandidat entweder von 30 Abgeordneten des Parlamentes nominiert werden, oder er muss 30 000 notariell beglaubigte Unterschriften von Bürgern beibringen, die über mindestens 15 ägyptische Provinzen verteilt sind und die ihn vorschlagen. Zur Zeit gibt es zahlreiche informelle Kandidaten, die versuchen wollen, ihre Kandidatur offiziell zu stellen, doch die bekannteren unter den Prä-Kandidaten sind noch nicht eingeschrieben, obwohl die Frist für Kandidaturen am 10. März begonnen hat und am 8. April zu Ende gehen soll.
Vorbestimmung der Kandidaten
Ein Ringen um die Kandidaturen hat eingesetzt, bei dem die Hand der Armeeoffiziere, welche immer noch alle Entscheidungsmacht in Ägypten für sich in Anspruch nehmen, offenbar im verborgenen mitspielt.
Am wichtigsten dabei ist die Frage: Welche Person wird der Kandidat der Muslimbrüder sein? Die Mehrheitspartei, die Partei "Freiheit und Gerechtigkeit" der Muslimbrüder, hat seit Monaten mehrmals erklärt, sie selbst werde keinen Kandidaten aus ihren Reihen aufstellen. Doch sie wird einen Kandidaten »mit muslimischem Hintergrund« befürworten.
Ein Spitzenkandidat: ehemaliger Muslimbruder
Die Bruderschaft hat eines ihrer führenden Mitglieder, den Arzt, Abdel Moneim Abul Futuh, aus der Bruderschaft ausgestossen, weil er darauf bestand, er wolle sich um die Präsidentschaft bewerben. Allerdings war er schon zuvor, im Jahre 2009, aus der engeren Parteiführung ausgeschieden, nicht wegen der Präsidentschaftsfrage, die sich damals noch nicht stellte, sondern weil er liberalere Positionen vertrat, als es den Führern der Bruderschaft genehm war. Zum Beispiel hat er es gewagt, offen zu erklären, Abfall vom Islam sei nicht mit dem Tode zu bestrafen, wie dies von den meisten Shari'a-Gelehrten behauptet wird.
Zusammenspiel mit der Armeeführung?
Die Führung der Bruderschaft steht unter doppeltem Druck. Einerseits wäre es für sie am sichersten, wenn sie mit den Offizieren einen Kompromiss schlösse, der darauf hinausliefe, dass beide Seiten einen ihnen zusprechenden Kandidaten fänden und aufstellten. Dies würde einige Sicherheit dafür bieten, dass die Offiziere nicht weiterhin direkte Machtausübung anstrebten. Andrerseits jedoch wird die Idee eines "Paktes mit der Militärführung" von allen Ägyptern, die eine echte Demokratie begehren, als ein "Verrat an der Revolution" angesehen. Dieser Ansicht sind auch sehr viele der jüngeren Generation der Muslim Brüder.
Ist Vorsicht das Gebot der Stunde?
Die Hohe Führung der Bruderschaft, mehrheitlich altbewährte, durch Jahrzehnte der Verfolgung und viele Gefängnisaufenthalte vorsichtig gewordene Muslim Politiker, stösst auf Widerstand von den gleichen Kreisen ihrer eigenen Anhänger, die beim Ausbruch der Revolution darauf drängten, die Bruderschaft habe sich auf Seiten des Protestes zu engagieren und die damals, nach anfänglichem Zögern der Führung, deren Zustimmung erkämpften.
Bei diesen Leuten, der jungen Garde der Bruderschaft und vielen ihrer selbstlosesten Aktivisten, findet Abdel Moneim Abul Futuh grosse Zustimmung. Viele von ihnen könnten ihn wählen, falls die Bruderschaft Führung einen Kandidaten befürwortete, der zu offensichtlich ein Kandidat der Armee wäre. Auch andere Ägypter könnten sich für den liberalen ex-Muslimbruder und Arzt, der in einem der armen Volksquartiere praktiziert, entscheiden. Die Anhänger des Nobelpreisträgers Baradei, der im Januar seine Kandidatur aufgab, werben nun für ihn. Es könnte unter diesen Umständen geschehen, dass der Kandidat, den die Bruderschaft offiziell befürwortet und dem die Armeeführung zustimmt, die Wahlen verlöre.
Der innere Kampf drängt nach aussen
Die Bruderschaft tritt nach aussen hin immer geschlossen auf. Doch diesmal, angesichts der gewaltigen Einsätze, ist die innere Diskussion so hitzig geworden, dass sie sich nicht mehr verbergen lässt. Alle Art von Vorschlägen werden laut, die auch in die Presse gelangen. Es gibt Stimmen, die mahnen, die Ausstossung von Abdel Moneim Abul Futuh sei eigentlich unkorrekt gewesen, weil es dabei nur um prozedurelle Fragen gegangen sei.
Andere sagen, die Bruderschaft solle trotz allen bisherigen gegenteiligen Aussagen einen eigenen Kandidaten aufstellen. Als solcher könnte der Gegenspieler von Abdel Moneim Abul Futuh in Frage kommen, Khairat ash-Shater, ein strenger Muslim und reicher Geschäftsmann, der gegenwärtig als einer der einflussreichsten Leute in der Bruderschaftsführung gilt. Falls er nicht Präsident würde, käme er auch als Ministerpräsident in Betracht, sobald die Armee "sich zurückzieht".
Wen wollen die Offiziere?
Doch ash-Shater wurde von einem Militärgericht vor der Revolution zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, weil er - wie die damalige Anklage lautete - Studenten eine militärische Ausbildung geben wollte. Er kam erst nach der Revolution frei, doch das Urteil besteht noch. Er dürfte schwerlich ein den Militärs genehmer Präsidentschaftskandidat sein. Persönlichkeiten, die diesen passen, finden sich vor allem in den Gerichten, wo es Oberrichter gibt, die seit langem gewöhnt sind, das für Recht zu befinden, was den Machthabern passt.
Politische und theologische Differenzen
Das politische Grunddilemma für die Brüderschaft kann man so zusammenfassen: Sollen sie einen populären Kandidaten befürworten oder einen der den Offizieren passt, auch wenn er so unpopulär wäre, dass er möglicherweise die Wahlen verlieren könnte? Doch dieses politische Dilemma wird durch ein theologisches kompliziert: ein strenggläubiger Kandidat, der den Islam eng, fundamentalistisch versteht, oder ein liberalerer, dessen Islam einer weiter gefassten, zeitgemässeren Auffassung fähig ist?
Eine Kommission zur Leitung der Wahlen
Die Offiziersführung hat ein Reglement aufgestellt, das den Ablauf der Präsidentschaftswahlen festlegen soll. Eine Kommission für die Präsidialwahlen wurde ernannt. Den Vorsitz übt Sultan Faruk aus, der Vorsitzende des Verfassungsgerichtes, der für seine langjährige enge Zusammenarbeit mit Mubarak und dessen Militärjustiz unter Notstandsgesetzen bekannt ist.
Das neu gewählte Parlament hat dieses Reglement diskutiert. Dabei gab es eine Vorgabe von Seiten der immer noch "herrschenden" Armeeführung. Sie lautete, alle Paragraphen dieses Regelwerkes könnten von den Abgeordneten geändert werden ausser Paragraph 28. Paragraph 28 erklärt, dass die Entscheide der Wahlkommission unantastbar seien und auch nicht vor Gericht gezogen werden könnten. Heftige Kritik erhob sich im Parlament gegen Paragraph 28. Die Abgeordneten fürchteten offensichtlich, diese Vorschrift könnte verwendet werden, um Fälschungen oder Missbräuche bei den Wahlen, die den Zwecken der Militärs dienten, als unantastbar zu erklären. Doch die Muslimbrüder verteidigten Paragraph 28 im Parlament. Das Gerücht wollte wissen, im Gegenzug hätten sie Zugeständnisse von der Militärführung erhalten.
Das Parlament unternahm auch Vorstösse, um die Regierung, welche die Militärs eingesetzt haben, durch einen Misstrauensantrag abzusetzen. Doch die Armeeführung erklärte, die Regierung werde bis zu den Wahlen "an der Macht" - realistischer würde man sagen: "eingesetzt" - bleiben. Denn es ist nicht diese Regierung, sondern die Militärführung, die die Macht inne hat.
Beiden Seiten genehm - und wählbar?
Noch immer ist unklar, wie die Bruderschaft sich entscheidet. Natürlich gehen die Verhandlungen mit der Armeeführung geheim vonstatten, soweit es solche gibt. Offenbar ist bis jetzt noch keine Übereinkunft zustande gekommen, die beiden Seiten tragbar erscheint und die auch bei der dritten Seite - dem ägyptischen Stimmvolk – mit Erfolg rechnen kann.