Am 20. Dezember gab es eine sensationelle Wende in der Aufklärung der Anschläge von 9/11. Die Familien der Opfer der Terroranschläge hatten 2006 die saudische Regierung verklagt. Letzten Freitag hat ein Berufungsgericht entschieden, die Klage sei rechtens.
Der Entscheid des US Second Circuit of Appeals in New York hebt das erstinstanzliche Urteil auf und lässt die Klage gegen Saudiarabien und seine Stiftung „High Commission“ zu. Das könnte zur Folge haben, dass endlich geklärt wird, welche Rolle die Öl-Monarchie bei den Terroranschlägen gespielt hat. Von den 19 Luftpiraten waren 15 Saudis. Konkret geht es in dem Gerichtsfall um vier saudische Prinzen, einen saudischen Banker und saudische Wohltätigkeits-Organisationen, die allesamt unter dem Verdacht stehen, die Anschläge finanziert zu haben.
"Beschützt die Regierung die Saudis?"
Am 15. Dezember dieses Jahres erschien in der New York Post ein Aufsehen erregender Artikel mit dem Titel „Inside the Saudi 9/11 coverup“, also eine Anspielung auf eine Vertuschung (coverup) die da stattgefunden habe. Das konservative Boulevard-Blatt ist eine der zehn grössten Tageszeitungen der USA.
„Beschützt die Regierung die Saudis?“ fragt die Post und konstatiert: „Die Saudis dementieren jede Beteiligung an 9/11, doch die CIA hat eindeutige Beweise für eine Verwicklung der saudischen Regierung gefunden – nicht nur wohlhabende saudische Hardliner, sondern auch hochrangige Diplomaten und Geheimdienst-Offiziere des Königreiches halfen den Hijackers mit Logistik und Finanzen.“
Bin Laden - falsch übersetzt?
Der CIA-Report belastet direkt die saudische Botschaft in Washington und das Konsulat in Los Angeles. Falls die Vorwürfe sich erhärten sollten, würde das Fundament zusammenfallen, auf dem das Weisse Haus seine Anti-Terror-Strategie aufzubauen versuchte. Der sogenannte „war on terror“ des George W.Bush stünde ebenso erneut zur Diskussion wie die Kriege in Afghanistan und im Irak.
Nach 9/11 wurde der amerikanischen Öffentlichkeit erzählt, die Anschläge seien das Werk von Al Kaida und ihres Chefideologen Osama Bin Laden. Mittlerweile gilt als erwiesen, dass Osama Bin Laden zwar im Internet und in Video-Botschaften den Terroranschlägen applaudierte, aber operativ nichts damit zu tun hatte. Eine Video-Aufnahme, aus der seine Beteiligung hergeleitet werden sollte, wurde – wie sich später herausstellte - falsch übersetzt.
Pikant ist, dass nun durch die Publikation der New York Post erneut ans Licht kommt, dass die Regierung George W. Bush selbst im offiziellen 9/11-Untersuchungsbericht des Kongresses einiges zu verbergen hatte. 28 Seiten dieses 800 Seiten starken Berichtes wurden als geheim eingestuft.
"Absolut schockiert"
Die Kongressabgeordneten Walter Jones (R/North Carolina) und Stephen Lynch (D/ Massachusetts) hatten Zugang zu den gesperrten Seiten und erklärten, sie seien „absolut schockiert“ darüber, wie weit deren Inhalt die Verwicklung eines „fremden Staates“ belege. Die Abgeordneten dürfen wegen der Geheimhaltungspflicht Saudiarabien nicht nennen, ohne sich strafbar zu machen. Aber bereits kurz nach 9/11 kursierten Gerüchte über eine Verwicklung der Saudis. Quellen im FBI und in den Geheimdiensten liessen offenbar Informationen durchsickern.
Mittlerweile fordern zahlreiche Parlamentarier eine völlige Offenlegung der 28 fraglichen Seiten. Bob Graham, der ehemalige Co-Vorsitzende der 9/11-Untersuchungs-Kommission, hat wiederholt seinen Ärger über die Unterschlagung der 28 wichtigen Seiten zum Ausdruck gebracht.
Bill Doyle, der Sprecher der Familien der 3000 Opfer von 9/11, nennt die Geheimhaltung der fraglichen Dokumente eine „unglaubliche Vertuschung“.
Zerreissprobe
Paul Sperry, der Autor des Artikels in der New York Post, ist ein renommierter Recherchier-Journalist und gut informierter Kritiker der amerikanischen Aussenpolitik im Nahen und Mittleren Osten.
Die Beziehungen zwischen Riad und Washington unterliegen bereits einer Zerreissprobe, weil die Öl-Monarchie den Krieg gegen Syrien finanziert, während Obama eine Verständigung mit dem Iran sucht. Falls es zu einem Prozess kommt, in dem die Saudis als Urheber der Terroranschläge verurteilt würden, wäre der Casus Belli eingetreten. Denn dann wäre 9/11 der Angriff einer ausländischen Macht auf die USA.