Angeblich steht das italienische Wort «ciarlare – schwätzen» am Ausgang unseres eingedeutschten «Scharlatans». Was immer ein Scharlatan also tut: Er verwendet Worte, die mit seinen Taten und Fähigkeiten nicht übereinstimmen. Das gilt für Quacksalber, Marktschreier eigener Fähigkeiten und angebliche Vollbringer von überirdischen Wundern. Alles Schwindel von A bis Z, um den Leichtgläubigen das Geld aus der Tasche zu ziehen!
Doktor Eisenbart
Solche Angeber und Betrüger tauchen seit dem Mittelalter unter fahrenden Spielleuten und Schaustellern auf. Historisch prägend für die Figur des von Markt zu Markt reisenden Wundarztes war der Chirurg und Starstecher Johann Andreas Eisenbart (1663–1727), der in der Geschichte der Medizin durchaus als seriöser Arzt und Chirurg von landesweit gutem Ruf gilt. Vermutlich in Kreisen von Göttinger Studenten entstand um 1800 das Spottlied «Ich bin der Doktor Eisenbart», der machen kann, dass die Blinden gehen und die Lahmen wieder sehen! «Widewidewit bum bum!» Seither gilt der verdienstreiche Arzt als Prototyp des Quacksalbers und Grossmauls im medizinischen Fach.
Die Figur des Doktor Eisenbart hat natürlich Erzähler und Fabulierer stark angeregt, sein Leben und Wirken in schillernden Farben auszumalen. Zu diesen zählt auch der deutsche Schriftsteller Josef Winckler (1881–1966), der 1928 ein Buch mit dem barocken Titel publizierte «Des verwegenen Chirurgus weltberühmbt Johannes Andreas Doctor Eisenbart Zahnbrechers, Bänkelsängers, Okulisten, Steinschneiders Tugenden und Laster auf Reisen und Jahrmärkten, mancherley bewährteste Artztneyen in Not und Tod sambt vielen Orakeln, Mirakeln, Spektakeln, insonderheit auch philosophische, politische, moralische, mythische Tractata und sehr bedeutsame Mitteilungen zahlloser erschröcklicher und lustiger Begebenheiten getreulich dargestellt und vorgestellt».
Bereits in den frühen 1920er-Jahren hatte sich der Würzburger Komponist Hermann Zilcher (1881–1948) in einer Oper mit der Figur des Wunderdoktors Eisenbart befasst. 1933 erschien Wincklers Buch in einer zweiten Auflage. Es wurde zur Hauptquelle für das Libretto, das der weit bedeutendere mährische Komponist Pavel Haas (1899–1944) selbst für seine Oper «Šarlatán», tschechisch für «Scharlatan», schrieb. Dieses musiktheatralische Hauptwerk von Haas kam am 2. April 1938 im alten Landestheater von Brno (Brünn) zur Uraufführung und löste unter Opernfreunden wahre Begeisterung aus.
Meisterschüler von Leoš Janáček
Pavel Haas gehört zu einer Gruppe von Komponisten mit dem vielleicht tragischsten Schicksal der gesamten Musikgeschichte. Aus einer jüdischen Familie stammend entpuppte sich der junge Mann als Pianist, Korrepetitor und Komponist bald einmal als hochbegabt und wurde zwischen 1920 und 1922 Schüler des zu jener Zeit bereits weit über Mähren und Böhmen hinaus bekannten Leoš Janáček. Im Anschluss an diese Lehrjahre im Umfeld Janáčeks schrieb er vor allem hinreissende Kammermusik, darunter drei Streichquartette, ein phantastisches Bläserquintett, aber ebenso Klavier- und Vokalmusik. Auch einige Orchesterstücke und Liederzyklen zeugen von seiner künstlerischen Originalität.
Es zog ihn aber magisch zum Musiktheater. Für Haas, der sich als Tscheche und als Deutscher fühlte, wurde das Leben nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten mit ihren Rassegesetzen immer schwieriger. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Juden geriet von Jahr zu Jahr mehr zu einem Ding der Unmöglichkeit. Als Haas sich an die Arbeit fürs Libretto seiner geplanten Oper machte, verschwieg er aus guten Gründen den Impulsanteil des deutschen Erzählers Winckler und vermischte die Motive des Eisenbart-Romans mit denen einer tschechischen Quacksalberposse aus dem späten Mittelalter. Haas ersetzte den deutschen Eisenbart mit einem Wunderdoktor Pustrpalk aus dem Repertoire tschechischer Jahrmarktsfiguren.
Nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Nationalsozialisten im März 1939 waren Aufführungen jüdischer Komponisten auch in Böhmen und Mähren nicht mehr denkbar. Pavel Haas gehörte zu jener Gruppe von Musikern, die im Dezember 1941 ins Lager Theresienstadt kamen, in welchem Hitler und seine Schergen der Welt bis 1944 vorspiegeln wollten, wie «human» es unter musizierenden Künstlern in den Konzentrationslagern der Nazis doch zugehe!
Bei einer solchen «Musikfeier im Lager» aus Anlass des Besuches von IKRK-Mitgliedern am 23. Juni 1944 im KZ Theresienstadt wurde die von Pavel Haas komponierte «Studie für Streichorchester» uraufgeführt. Am 16. Oktober 1944 gehörte er zu jenen, die – darunter auch einige seiner Komponistenkollegen – mit einem Transport aus Theresienstadt ins Vernichtungslager Auschwitz verschickt wurden. Dort wurde er – mit allen anderen – an einem der darauffolgenden Tage ermordet.
Szenen der Scharlatanerie
In der Wandertruppe von Doktor Pustrpalk befinden sich alle typischen Figuren, die man auf Jahrmärkten, zumal in Kleinstädten und auf dem Land, damals anzutreffen hoffte: Spassmacher, Feuerschlucker, Seiltänzer, Schlangenbeschwörer, Apotheker und Verkäufer von Heilmitteln, Bettler, Wandermönche, Händler und Köche, Deserteure und fürs erotische Geschäft geeignete Damen. In den drei Akten und sieben Bildern des Werks erleben wir als Zuschauer verschiedene Örtlichkeiten, an denen sich die engeren und entfernteren Mitarbeiter des Wunderdoktors gütlich tun und über Schwächen und Laster des anwesenden Publikums aller Berufsschichten spotten.
Die Mitarbeiter des Doktors tragen Spottnamen wie «Sauermilch», «Spinnweb» oder «Rollmops», lachen wollen die Menschen auch über eine eifersüchtige Ehefrau, ein richtiges «Räf», über eine unwiderstehlich schöne Dame namens «Amaranta», die dem Doktor und dem Mönch den Kopf verdreht und den Unterleib in Erregung versetzt. Uns erinnert sie mit ihrem Namen daran, dass Liebeswahn oft in Bitterkeit endet. Wir erleben im dritten Akt sogar eine Operation des Wunderdoktors, bei welcher der Patient stirbt und der Chirurg, um der Anklage des Mordes zu entgehen, die Flucht ergreifen muss. Am Ende fällt der Scharlatan dem eigenen Grössenwahn zum Opfer, geht mit einem Schwert auf ein Phantom los, glaubt, man wolle ihn erwürgen und stirbt auf der Bühne an einem Herzinfarkt. Selbst für Scharlatane ist das Sterben kein Pappenstiel!
In einem Interview mit der Zeitung «Moravské slovo» («Das mährische Wort») im Jahr der Uraufführung wies Pavel Haas darauf hin, dass es in dieser Oper keine Arien gebe, sondern – auch darin ein guter Schüler Janáčeks – eher vertonte Dialoge. Dafür habe er versucht, dem Orchester «eine melodischere Rolle zu geben». Haas hat allerdings textlich und melodisch in diesem Werk mehrfach an die Tradition der Bänkelsänger auf den Jahrmärkten angeknüpft und damit balladeske Elemente in den Gesang einzelner Figuren eingeflochten.
Zaubermittel gegen jedes Leiden
Die Oper ist für ein mittleres Opernhaus beinah unaufführbar, braucht sie doch neben einem gut besetzten Chor und Orchester knapp dreissig Einzeldarsteller. Es gibt inzwischen eine CD-Gesamteinspielung dieses Schlüsselwerkes von Pavel Haas aus dem Jahr 1997, die an der Staatsoper in Prag unter der Leitung des Dirigenten Israel Yinon aufgezeichnet werden konnte. Man kann nur davon träumen, was von diesem Komponisten zu erwarten gewesen wäre, hätte er den Krieg überlebt. Vielleicht sogar eine Vertonung von «Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk» von Jaroslav Hašek!
Wir hören hier einige Passagen aus dem ersten Akt der Oper. Am Anfang die grossmaulige Selbstvorstellung von Doktor Pustrpalk, der für jede Art von Krankheit eine Heilmethode weiss. Wenn der Patient bei der Behandlung vor Schmerzen schreit, werden die Musikanten aus der Truppe des Quacksalbers aufgefordert, das Geschrei mit Musik zu übertönen. Ein Deserteur auf der Flucht vor dem Arm des Gesetzes wird mit Arsen behandelt. Ein Theriak-Händler – Antidot gegen Schlangengift – verkauft seine Pillen unter den Marktbesuchern.
Zuletzt entsteigt einer Kutsche die schöne Amaranta, die beim Doktor Abhilfe gegen ihre «Neurasthenie» sucht – wir würden heute sagen: gegen ihr «Burn-out». Sein Rezept: mit nacktem Hintern in einem Korb voller Brennnesseln sitzen, und gleich verschwinden alle Nervenschmerzen und hysterischen Anfälle. Die Heilmethoden von Doktor Pustrpalk sind so überzeugend, dass Amaranta sich der Wandertruppe des Wunderdoktors anschliesst und mit ihr durch die weiteren Szenen und Akte zieht, eifrig ihre Liebhaber tauschend und täuschend.
Wir erleben viel Komik, Turbulenz, Verwirrung, Chaos und Angeberei auf der Bühne, alles unterfüttert mit einer Musik, die an Witz und Schwung, an Pfiffigkeit und Einfallsreichtum noch heute Darsteller und Publikum mitreisst.