Selbst die Freisinnigen konnten sich vor der Behandlung des sogenannten US-Steuerdeals im Ständerat noch zu einer klaren Position durchringen: Das Gesetz wird abgelehnt. Die Ablehnung durch die SVP war sowieso klar, auch die SP sprach sich mannhaft für ein Nein aus. Das hätte eigentlich reichen müssen, um das parlamentarische Trauerspiel bereits am Mittwoch der zweiten Sessionswoche zu beenden. Was ist passiert?
Abweichler und Abwesende
Die FDP hat zwei Abweichler von der Fraktionsposition zu verzeichnen, darunter Felix Gutzwiller aus dem Kanton Zürich. Bei der SP sind es gleich vier: Pascale Bruderer (AG), Roberto Zanetti (SO), Paul Rechsteiner (SG) und natürlich Anita Fetz (BS). Zwei Ständeräte der SVP, ein weiterer SPler und ein FDPler glänzten bei der Abstimmung durch Abwesenheit, obwohl sie bei der Debatte zuvor anwesend waren. Bei der SVP stimmte einzig This Jenny (GL) anders als seine Fraktion.
Natürlich ist ein Parlamentarier in erster Linie seinem Gewissen verpflichtet, nicht der Parteidisziplin. Aber schauen wir uns dieses Gewissen bei zwei Exemplaren der SP genauer an.
Eine Sozialdemokratin
Die Vizepräsidentin der SP-Fraktion in der Bundesversammlung, «let’s fetz» Anita Fetz, stimmt als leuchtendes Vorbild gegen ihre eigene Fraktion. Auf ihrer Webseite prangt als Motto: «Den Wandel menschlich gestalten.» Ob sich die «Kleinunternehmerin und Ständerätin» so menschlichen Wandel vorstellt? Oder könnte ihr Verrat etwas damit zu tun haben, dass sie von 1997 bis 2005 Bankrätin der Basler Kantonalbank (BKB) war?
Und dass genau diese BKB eine der Schweizer Banken ist, die zuvorderst im Feuer der US-Attacke stehen? Wobei diese Positionen als Bankräte in Zürich wie in Basel, und nicht nur dort, im Parteienschacherverfahren verteilt und als nette Nebeneinkommensquelle genutzt werden. Auf jeden Fall ein beeindruckender menschlicher Wandel. Nationalrätin der Progressiven Organisationen der Schweiz (POCH), Übertritt in die SP, dann wieder National- und bis heute Ständerätin. Sie sind wirklich ein wandelbarer Mensch, Frau Fetz. Über Ihren Charakter schweigt aber besser des Sängers Höflichkeit.
Ein Sozialdemokrat
Paul Rechsteiner ist Anwalt. In erster Linie Anwalt der Arbeitnehmer natürlich, als Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Ein wortgewaltiger Verteidiger der Arbeiterrechte, unermüdlicher Redner am 1. Mai, ein «Mann, der die Rechten knackte», so der Titel eines Porträts im «Magazin». Ein Mann der klaren Worte, mit denen er 2011 einen Ständeratssitz des Kantons St. Gallen eroberte: «Wenn ihr mich wählt, dann kämpfe ich für die Arbeiter. Von ihnen werde ich bezahlt.»
Nun, bezahlt wird er vor allem vom Schweizer Staat, von seinen Mandanten als Anwalt und von Mitgliederbeiträgen des SGB. Wie schreibt er in seinem Blogbeitrag zum US-Deal: «Irgendwann im Leben ist der Zeitpunkt gekommen, wo man den Tatsachen ins Gesicht sehen muss, auch wenn das unangenehm ist.»
Er meint das in einem anderen Zusammenhang, aber wo er recht hat, hat er recht. Er muss der unangenehmen Tatsache ins Auge blicken, dass er als SP-Ständerat, er als Gewerkschafter, seinen Beitrag dazu geleistet hat, dass Tausende von Mitarbeitern von Schweizer Banken, viele Zulieferer, darunter sicherlich auch Mitglieder des von ihm präsidierten SGB, auch wegen seines Verrats an seiner Fraktion den USA ans Messer geliefert werden, verraten und verkauft werden sollen. Während die Hintermänner und Verantwortlichen in den Chefetagen aus der Verantwortung abschleichen können.
Auch hier muss des Sängers Höflichkeit bei der Beschreibung seines Charakters schweigen. Zudem ist der Mann ja Anwalt. Auch in eigener Sache.
Die Umfaller
Die Freunde des «Ermächtigungsgesetzes» frohlocken schon, die Gegner sehen die Wahrscheinlichkeit bereits steigen, dass die SP auch im Nationalrat umkippt. Nach ihrer üblichen Methode. Zuerst grosses Geschrei, Wettern gegen geldgierige, skrupellose Banker, die es an jeder Fürsorgepflicht für ihre Angestellten mangeln lassen. Der vom SP-Nationalrat Jositsch präsidierte Kaufmännische Verein, der viele Bankangestellte vertritt, kündigt aus Protest wegen diesem von Bankführern befürworteten Mitarbeiterverrat den Gesamtarbeitsvertrag.
Und der oberste SP-Gewerkschafter der Schweiz stimmt dem Gesetz zu. Das kriegt nur die SP hin. Das kriegt nur eine Partei hin, die sich den dümmsten Parteislogan aller Zeiten ausgedacht hat: «Ja». Was wollt ihr denn, kann Rechsteiner sagen, ich habe mich doch nur an unseren Kampfbegriff gehalten und Ja gestimmt. Einem Gesetz zugestimmt, das neben vielen anderen Defekten schlaumeierisch so konstruiert wurde, dass kein Referendum möglich ist, also weder die Arbeiter, für die Rechsteiner angeblich kämpft, noch überhaupt ein Staatsbürger darüber abstimmen kann.
Vielleicht wäre es an der Zeit, nach meinem Vorschlag, den Slogan durch «Ja zu Nein», wechselweise «Nein zu Ja» oder «Jein» zu ersetzen, noch besser einen ganz neuen Begriff zu verwenden: «Lach.»