„Medien müssen stören statt gefallen…die Presse muss Irrtümer enthüllen, Missbräuche anprangern… die Zeitung ist nicht nur ein Produkt, ein Verleger ist mehr als ein Unternehmer…Zeitungen gehören nicht nur ihrem Besitzer sondern auch der Gesellschaft.“. Hier meldet sich nicht ein linkes Medienblog zu Wort. Der Autor dieser Gedanken ist Marc Lamunière , der Gründer von Edipresse. Marc Lamunière ist der Vater von Pierre Lamunière, der 2009 seine Zeitungen dem Zürcher Medienkonzern Tamedia verkauft hat.
Auch der neue Besitzer von Edipresse , der mit dem Sprung über den Röstigraben grösstes Medienunternehmen der Schweiz geworden ist, hat seine Grundsätze. Im 2010 überarbeiteten Leitbild der Tamedia ist vom Bekenntnis zur Demokratie, „freier Gesellschaft“, „liberaler Grundhaltung“, einem „vielfältigen Angebot für unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen“ die Rede. Tamedia sei ein „gewinnorientiertes Unternehmen“ und wolle auch in Zukunft in die „Kernkompetenzen investieren“, heisst es.
Lamunière 1980 – Tamedia 2010
Lamunières mutiges „Stören statt Gefallen“ hat hier aber keinen Platz . Die staatsbürgerliche Verantwortung eines Medienverlegers oder gar die zentrale Aufgabe der Medien in einer Demokratie , die „vierte Gewalt“, wie sie der Verleger Lamunière in einem 1980 publizierten, in der Romandie viel beachteten Buch (Le journal d`information: Que peut-il ? Que veut – il ?) noch deutlich formuliert hat, werden im Leitbild von Tamedia nicht einmal andeutungsweise erwähnt.
Lamunière 1980 – Tamedia 2010. Der Vergleich provoziert die Frage: Welche Leitbilder werden die Medienverleger 2020 oder 2030 verkünden. Welche Rolle spielt dann noch der Journalismus in der Demokratie ? Und vor allem: Worüber wird wie berichtet werden ? Medienexperten entwerfen ein tristes Szenario, wenn sie gegenwärtige Trends extrapolieren: Die noch wenigen übrig gebliebenen Medienkonzerne werden sich auf europäischer Ebene zusammengeschlossen haben. Sie betreiben Medien dann nur noch als Nebengeschäfte. Die Zeitungen und Redaktionen sind national organisiert. In der Berichterstattung haben das Lokale und Regionale die europäische und internationale Berichterstattung weiter verdrängt. Noch mehr Menschen beziehen ihre Informationen aus Gratisprodukten. Qualitäts-Zeitungen haben zwar überlebt aber nur als Nischenprodukte eines Elitepublikums.
Hinter den Kulissen funktioniert die Fernsteuerung des Journalismus durch PR und Politmanager noch besser. Die Privatwirtschaft hat die Werbung weiter reduziert und gleichzeitig ihre Öffentlichkeitsarbeit verstärkt. Die Ressourcenbasis des unabhängigen Journalismus ist noch mehr ausgetrocknet. In ihrem Überlebenskampf orientieren sich die Medien noch stärker an Quoten und Absatzzahlen. Der Medienpopulismus nährt den politischen Populismus und umgekehrt…(Stephan Russ-Mohl. Ansprache über die Frankfurter Rundschau im Jahr 2020, anlässlich des 60. Geburtstags der FR 2005).
Der „postdemokratische“ Prozess
Der Journalismus ist in diesem Szenario zum reinen Signal–Empfänger und Signal- Übermittler mächtiger Interessengruppen degeneriert. Es herrscht die „Postdemokratie“. So bezeichnet der bekannte britische Politologe Colin Crouch (Postdemokratie.Frankfurt.2008) ein Gemeinwesen, in dem zwar noch Wahlen stattfinden und sich Regierungen ablösen, die Mehrheit der Bürger aber eine passive Rolle spielt.
Für Colin beginnt der „postdemokratische“ Prozess mit dem Ende des Kalten Krieges. Damals habe die Demokratie nur vordergründig gewonnen. In Wirklichkeit habe mit dem Neoliberalismus eine Ideologie obsiegt, die den Rückzug des Staates durchsetzte. Das ging auf Kosten der Schwachen, die frustriert und desillusioniert in politische Apathie versinken. Wirtschaftsverbänden gelingt es, mit ihren Kommunikationsexperten und Lobbyisten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe zu dominieren.
Das von und durch die Medien inszenierte Dauerspektakel lenkt von den zentralen Problemen der Demokratie auf Nebenschauplätze ab. „ Im Schatten dieser Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: Von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten.“
Noch ist die „Postdemokratie“ nicht Realität. Doch die noch existierende Demokratie nähert sich diesem Zustand. Die Finanzkrise hat das demonstriert. Ihre schamlosen Gewinne konnte die Finanzwelt nur erzielen, weil sie auf eine schlecht informierte Öffentlichkeit zählen konnte. Und für dieses riesige Geschäft mit dem Nichtwissen und jetzt die Befreiung von der Verantwortung für die Konsequenzen, die diese Geschäfte auslösten, dafür ist der Journalismus zusammen mit der Politik verantwortlich. Die Öffentlichkeit beobachtet, wie zahm die Politik reagiert und geht mit Recht davon aus, dass sie immer noch vieles nicht weiss, weil es der Journalismus nicht schafft, die Finanzkrise in ihrer wirklichen politischen Brisanz aufzudecken.
In einer Umfrage zur Vertrauenswürdigkeit von Berufen landet die Kategorie „Journalisten“ in den hintersten Rängen - zusammen mit den übrigen Schlusslichtern, Bankern, Immobilienhändlern und Politikern (Tages Anzeiger. 20.05.2010). Im Ansehen der Öffentlichkeit ist der Journalismus bereits in der „Postdemokratie“ angekommen.
Vom „Bannwald der Demokratie“ zum Mediengeschäft
Noch in den 60er Jahren war von der Schweizer Presse als dem „Bannwald der Demokratie“ die Rede. Darunter verstand man die historisch-politische Funktion der Zeitungen bei der ideellen Verteidigung schweizerischer politischer Kultur während des 2.Weltkrieges. Der „Bannwald“ hat sich inzwischen stark gelichtet. Die einmal von Parteien, Konfessionen und Verbänden getragenen Zeitungen haben sich von ihren „Sponsoren“ gelöst.
Diese Emanzipation wirkte sich positiv aus. Der Journalismus wurde weniger regierungshörig, kritischer und professioneller. Die Periode der politischen Öffnung (Forumszeitungen) und qualitativen Steigerung war allerdings nur von kurzer Dauer. Inzwischen haben die Medien im Markt (Werbung) ihre neue Basis gefunden. Die Medien wurden Produkte, die politischen Bürger Konsumenten. Mit der Kommerzialisierung der Medien verloren auch die Redaktionen an Stellenwert. Die einstigen Vertreter der in der Schweiz nie stark entwickelten „4.Gewalt“ sind heute „content-provider“ geworden (www.Qualität-der-medien.ch).
Was ein „content provider“ist , umschreibt eine Stellenausschreibung der Newsnetz-Redaktion : „Das Newsgeschäft fasziniert Sie. Mit Technik gehen Sie virtuos um, die Hektik einer Nachrichtenredaktion beflügelt Sie, und Sie sind gewohnt, schnell zu arbeiten. Interessieren Sie sich zudem für Politik im In-und Ausland, aber genau so für Wirtschaft. Schrecken Sie vor Wissenschafsthemen nicht zurück und wagen Sie sich auch mal an leichteren Stoff ? “ Das Jobprofil spricht Klartext: Gefragt sind „virtuoser Umgang“ mit der Technik, Schnelligkeit im hektischen „Newsgeschäft“. Schön, wenn sich der Bewerber „zudem“ auch noch für Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und natürlich „leichtere Stoffe“ interessiert.
Richtmass für diesen On-line-Journalismus sind die elektronischen Impulse, welche die Computermäuse ins Mediensystem jagen. Was ankommt und was sich nicht verkaufen lässt, können die Redaktionen und Verlagsverantwortlichen auf elektronischen Live-Monitoren verfolgen. Diese News-Popularitätskurven der on-line Portale beeinflussen auch die gedruckten Informationen. (Rainer Stadler. NZZ. 11.07.2010)
Der Fisch und der Köder
Die Gratismedien (online- und print) stellen im „News-business“ein neues Handelskonzept dar. Die Rollen wurden vertauscht. Das Wichtigste: Der Leser, der User, der sich bisher als Kunde sah, ist Ware geworden. Kunde ist derjenige, der die Werbung schaltet. Der Lieferant ist der Produzent von Informationen und Unterhaltung, der den Leser/User an die Werbung verkauft. Was der Kunde dem Lieferanten abkauft, ist die Zeit des Lesers - eben „20 Minuten“ zum Beispiel. Der Inhalt ist kostenlos, weil er als Köder dient. Ein treffendes Bild dazu bietet das Fischen :„Der Angler verlangt vom Fisch nicht, dass er den Wurm finanziert. Der Köder wird vom Angler finanziert und dann vom Abnehmer des Fisches, der dem Angler seinen Fang abkauft. Ein hundertprozentiges Geschäft.“ (Jean- Louis Sagot-Duvuroux. Le Monde Diplomatique. Juli 2006).
Der tägliche „Köder“-Journalismus reduziert die Welt auf Skandale, Krisen Episoden und möglichst viel Softnews (People, Vermischtes, Sport). Diese Informationen werden nach dem Vorbild kommerzieller Produkte hergestellt. Der „Köder“ soll mit einer reisserischen Schlagzeile rasch die Aufmerksamkeit des Users fesseln und so konkurrierenden Unternehmen die Kundschaft abjagen.
Welches Weltbild erhält die heranwachsende Generation, die diesen „Köder“ täglich konsumiert und in zehn oder zwanzig Jahren mitten im Erwachsenenleben stehen wird ? Bereits heute zeigen Untersuchungen, wie sich die unter 30-jährigen von Themen aus Politik, Wissenschaft, Kultur, Umweltschutz abwenden. Eine Studie des Allensbach Instituts stellt fest , dass sich „ein grösserer Teil der Bevölkerung auf Brot und Spiele zurückzieht und wenig Interesse an Informationen hat.“
„Sagen Sie mir, was ich Sie fragen soll“
Als „Köder“ - Produzenten kommt auf den News-Rooms der Gratismedien eine ganz neue Generation von schlecht ausgebildeten und schlecht bezahlten Journalisten zum Einsatz, sogenannte „Kindersoldaten“, wie sie ein Kollege bezeichnet hat (Umfrage des Zürcher Forschungsbereichs Öffentlichkeit und Gesellschaft, fög). Eine ehemalige Journalistin, die jetzt in der Informationsabteilung eines Grossverteilers tätig ist, berichtet, wie ein Journalist ein Interview begonnen habe: „Sagen Sie mir , was ich Sie fragen soll“. Der „gemietete Journalist“, News als „product placement“ oder „paid content“, heisst das im Jargon der Marketing- und Werbeabteilungen.
Dort hat man verstanden: Warum für teure Werbung bezahlen, wenn man viele Botschaften kostengünstiger über Redaktionen an die Zielgruppen herantragen kann? Behilflich bei dieser viel effizienteren und billigeren Art von Werbung ist das wachsende Heer von ehemaligen (entlassenen) Journalisten , die ihre Verbindungen und ihr journalistisches Know How hier viel besser vermarkten können.
Auf den „Kernredaktionen“ schrumpft die Zahl der festangestellten Journalisten, die über längere Zeit eine Geschichte, ein Thema gründlich recherchieren können. Die Zeit und der Platz für „Nachzieher“, die Bewältigung von Skandalen und Krisen fehlen. Die Journalisten bleiben nicht am Ball sondern springen kurzatmig von einem Hype zum anderen. Die Medien nehmen ihre Rolle nicht mehr wahr, Moderator und Motor für Veränderungen in der Gesellschaft zu sein. Und das ist gefährlicher als die Skandale oder die Krise selber.
Für den Leser ist dieser Prozess nicht durchschaubar, aber spürbar. An der sinkenden Qualität, dem Überhandnehmen von beliebigen, weniger störenden, mehr angepassten, leicht verdaubaren Stoffen. Der Widerspruch ist offensichtlich: Während sich eine komplexe Gesellschaft immer mehr spezialisiert, verwandelt sich der Journalismus, der diese Gesellschaft abbilden und analysieren sollte, in einen billigen Jekami-Laden, in dem Generalisten von allem wenig und von nichts richtig verstehen.
Der frühere ungarische Dissident György Konrad meint: „Jetzt ist es nicht mehr die Geheimpolizei, die bei den Bürgern Gehirnwäsche betreibt, sondern die als Abfolge von Moden dahinwogende Oberflächlichkeit.“ Genau so entsteht das politische Umfeld der „Post-Demokratie“. (Teil II folgt)