Tatsächlich gleicht manches bei den laufenden amerikanischen Vorwahlen um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten den politischen Konstellationen von 1968 und 1972. Daran hat unlängst der journalistische Veteran Joe Klein (berühmt geworden durch seinen zunächst anonym erschienen Bestseller «Primary Colours» über Bill Clintons Wahlkampf 1992) in der «Washington Post» erinnert. Klein konnte 1968 als frischgebackener Stimmbürger erstmals an einer Präsidentschaftswahl teilnehmen. Natürlich, so schreibt er, habe er wie unzählige andere idealistisch bewegte Jungwähler nicht für den offiziellen demokratischen Kandidaten Hubert Humphrey, sondern für einen praktisch unbekannten «wilden» Politiker namens Dick Gregory gestimmt. Humphrey, Vizepräsident unter Lyndon Johnson, galt zwar in sozialen Fragen als eher linksliberal, aber er roch den feurigen Jungwählern vom Schlag Joe Kleins zu sehr nach Establishment.
Zwei Niederlagen gegen Nixon
Humphrey erlitt eine knappe Niederlage und der Republikaner Nixon wurde zum Präsidenten gewählt. Er bedauere sein damals als Protest gemeintes Wahlverhalten bis auf den heutigen Tag, schreibt Joe Klein. Vier Jahre später nominierten die Demokraten mit Senator George McGovern einen wesentlich linkeren Kandidaten als Humphrey. Er versprach eine schnelle Beendigung des Vietnamkriegs und die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens als Ersatz für andere Sozialleistungen. Wieder engagierten sich vor allem idealistisch begeisterte Jung- und Protestwähler für diesen Kandidaten. Doch McGovern gewann nur 37 Prozent der Stimmen, was eine vernichtende Niederlage gegen den Amtsinhaber Nixon bedeutete.
Der Vergleich zwischen McGovern und dem 78-jährigen Bernie Sanders, der bis zum Super-Tuesday vor einer Woche als der Hauptfavorit für die demokratische Präsidentschaftskandidatur angesehen wurde, passt zwar nicht allen Beobachtern ins Weltbild. Doch er könnte zu einigem Nachdenken anregen, selbst wenn man weiss, dass die Geschichte sich nie nach einem fixen Muster wiederholt. Noch ausgeprägter als McGovern vor 48 Jahren vertritt Bernie Sanders ein radikal linkes Programm. Er will 20 Prozent der Anteile grosser Firmen den Beschäftigten übergeben und die Staatsausgaben verdoppeln, ohne zu erklären, wie das finanziert werden soll.
Der konkret umstrittenste Punkt von Sanders Programm betrifft das amerikanische Krankenkassenwesen, bei dem tatsächlich einiges im Argen liegt. Sanders will sämtliche existierenden privaten Krankenkassen abschaffen und sie durch eine einzige staatliche Krankenkasse ersetzen, in die jeder amerikanische Bürger zwingend eintreten muss. Wie er das jenen gut zwei Dritteln unter den Amerikanern, die über ihren Arbeitsplatz bei einer verhältnismässig gut funktionierenden Krankenkasse versichert sind, schmackhaft machen will, bleibt schleierhaft.
Ähnlichkeiten zwischen Sanders und Trump
Ohnehin wäre bei einem Wahlsieg von Bernie Sanders höchst ungewiss, wie er seine radikalen Ziele je als Gesetze im Kongress durchbringen könnte, denn vieles spricht dafür, dass er in beiden Kammern einer konservativeren Mehrheit gegenüberstehen würde. Und der 78-jährige Sanders ist, ähnlich wie sein republikanischer Gegenpol Trump, in seiner ganzen politischen Karriere noch nie durch seine Vorliebe für Kompromisse und die Fähigkeit zur Kooperation aufgefallen.
Passt Sanders politisch etwas nicht in den Kram und fühlt er sich in seinem Ego gekränkt, dann beginnt er, ganz nach dem Trump-Muster, mit dunklen Verschwörungstheorien zu hausieren. Beobachten konnte man das nach seinen Rückschlägen am vergangenen Super-Tuesday, als Joe Biden in 10 von 14 Einzelstaaten den Sieg davontrug. Was für Trump der verräterische «Deep state» sein soll, das ist für Sanders das nicht minder dubiose «Establishment», das den angeblichen Willen des Volkes hintertreibt.
Schon vor vier Jahren, als er nach Anfangserfolgen bei den Primaries die demokratische Präsidentschaftskandidatur an Hillary Clinton verloren hatte, zeigte sich Sanders als wenig loyales Parteimitglied. Nur spät und halbherzig unterstützte er sie im Wahlkampf gegen Trump. Mit etwas mehr Schub seitens der Sanders-Enthusiasten wären die drei entscheidenden Swing-Staaten Michigan, Pennsylvania und Wisconsin vielleicht nicht an Trump gefallen (er hatte dort nur eine hauchdünne Mehrheit von insgesamt 77’000 Stimmen) und Hillary wäre Präsidentin geworden.
Trumps Wunschkandidat
Nach dem Super-Tuesday scheint es zwar eher wahrscheinlich, dass der nur ein Jahr jüngere Joe Biden schliesslich zum demokratischen Herausforderer Trumps gekürt wird und Sanders seine Ambitionen wieder begraben muss. Aber wenn es das oberste Ziel aller Kräfte in Amerika ist, die Trumps Charakter als schädlich und gefährlich für die Demokratie beurteilen, eine Wiederwahl des amtierenden Präsidenten zu verhindern, dann kann man das nur begrüssen. Denn wenn der Präsidentschaftswahlkampf im Herbst auf ein Duell Trump–Sanders zuspitzen sollte, dann wird man sich im Trump-Lager begeistert die Hände reiben. Einen Gegner mit besseren Angriffsflächen als den selbstdeklarierten Sozialisten Sanders, der noch im vergangenen Oktober einen Herzinfarkt erlitten hat, kann sich der Egomane im Weissen Haus bestimmt nicht wünschen.
Der britische «Economist» bezeichnet einen derartigen Zweikampf zwischen einem linken und einem rechten Populisten als «Albtraum für Amerika». Man kann sich jedenfalls lebhaft ausmalen, mit welcher Schlagwort-Munition die Trump-Propaganda Sanders Pläne zu einer voll verstaatlichten Einheitskrankenkasse (die es in dieser radikalen Form nicht einmal in Grossbritannien gibt) zu einem kommunistischen Horrorgespenst aufblasen würde.
Es geht um das kleinere Übel
Wer Joe Biden nicht als idealen Kandidaten betrachtet, mag verständliche Gründe ins Feld führen. Doch wer als jugendlicher Idealist oder Latino glaubt, im zutiefst markwirtschaftlich durchtränkten Amerika hätte ein 78-jähriger verbissener Sozialist aus dem überwiegend «weissen» Neuengland bessere Wahlchancen gegen den gewissenlosen New Yorker Baulöwen Trump, der sollte sich von Veteranen wie Joe Klein den Wahlkampf 1972 McGovern gegen Nixon erklären lassen. Man könnte, um falschen Illusionen vorzubeugen, auch auf die jüngste Parlamentswahl in Grossbritannien vom vergangenen Dezember verweisen, bei der ein sektiererischer, kompromissunfähiger Linker wie Jeremy Corbyn vom populistischen Schwadroneur Boris Johnson in eine verheerende Niederlage manövriert wurde.
In der Politik geht es für die Wähler selten um ideale Optionen. Es geht fast immer um die Wahl des kleineren Übels.
Bei der nächsten Primärwahl vom Dienstag in Michigan, die Sanders gegen Hillary Clinton vor vier Jahren überraschend gewonnen hatte, wird man sehen, ob die demokratischen Wähler das in diesem Swingstaat inzwischen begriffen haben.