Die römische Weltsynode über Synodalität hat mit positiven Überraschungen geendet. Der Grossanlass dürfte zum Vermächtnis von Franziskus werden, der als Mystiker gross denkt, aber als Papst immer wieder bremst. – Ein Kommentar.
Vor einer Woche (am 27. Oktober) ist in Rom die 16. Ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode zum Abschluss gekommen. Diese Weltsynode hat vier Jahre gedauert und war die grösste Versammlung der katholischen Kirchenführung seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–65). Sie geht auf jenes Konzil zurück und repräsentiert die katholische Kirche auf der ganzen Welt, umfasst aber nicht alle (heute etwa 5000) Bischöfe, sondern nur Vertreter aus allen Kirchenprovinzen. Sie ist im Unterschied zum Konzil nicht das oberste Entscheidungsorgan der Kirche, sondern ein Beratungsorgan des Papstes, das etwa alle zwei Jahre einberufen wird.
Synodalität – alle beraten miteinander
Das Thema der abgeschlossenen Synode war ein Herzensanliegen von Franziskus, dem gegenwärtigen Bischof von Rom: die Synodalität der Kirche. Synoden haben seit den ersten Jahrhunderten aktuelle Fragen der Kirche beraten und darüber beschlossen, meist in einzelnen Kirchenregionen. Nach dem Konzil wurden Synoden auf weltkirchlicher Ebene eingerichtet. Bis vor wenigen Jahren nahmen nur Bischöfe daran teil.
Weil gemäss dem Zweiten Vatikanischen Konzil jedoch nicht nur die Hierarchie Kirche ist und Verantwortung wahrnimmt, sondern das ganze Volk Gottes, berief Franziskus zur letzten Synode auch Vertreterinnen und Vertreter aller Gläubigen, um den Weg der Kirche in die Zukunft zu beraten. Dementsprechend haben, abweichend vom bisherigen Konzept, auch Männer und Frauen teilgenommen, die keine Bischöfe sind. Auch wenn sie nur eine Minderheit und keineswegs repräsentativ vertreten waren (rund 275 Bischöfe und gegen 100 Frauen und Männer, darunter zur Hälfte Priester und Ordensleute), haben sie doch den Auseinandersetzungen einen neuen Stempel aufgedrückt.
Der neuralgische Punkt: die Stellung der Frauen
Dies zeigte sich an einem neuralgischen Punkt der Beratungen: Sollen auch Frauen in der katholischen Kirche zu Diakoninnen (und später allenfalls zu Priesterinnen) geweiht werden? Die Auseinandersetzungen darüber verliefen heftig. Der Bischof von Rom delegierte die Frage schon früh in eine Subkommission und liess eine Woche vor Abschluss der Synode über Kardinal Victor Fernandez, den Präfekten der Glaubenskongregation, ausrichten: «Die Zeit ist nicht reif dafür!»
Es ist unter anderem der Schweizer Teilnehmerin Helena Jeppesen-Spuhler (der inoffiziellen Anführerin der Frauenlobby) zu verdanken, dass die Synode sich mit einer Zweidrittelmehrheit dem päpstlichen Veto widersetzte und im Schlussdokument trotzig die Minimalforderung festhielt: «Darüber hinaus bleibt die Frage des Zugangs von Frauen zum diakonischen Amt offen» (Nr. 60).
Der Bischof von Rom überlässt der Synode das letzte Wort
Vor diesem Hintergrund ist es einigermassen überraschend (Kommentatoren nannten es eine kleine Revolution), dass der Bischof von Rom das Schlussdokument mit den Empfehlungen der Synode telquel in Kraft setzte und auf eine eigene Schlussfolgerung verzichtete. Vom Konzept der Synode her ist es konsequent, dass der Bischof von Rom seine Autorität zurücknimmt. Denn eine synodal verstandene Kirche soll ja ein Gegengewicht bilden zum absolutistischen Kirchenbild des Ersten Vatikanischen Konzils (1869–70), bei dem alles in der unfehlbaren Autorität des Papstes gipfelte. Hätte Franziskus freilich schon bei der Amazonassynode im Jahr 2019 auf einen eigenen Schlussentscheid verzichtet, gäbe es in Lateinamerika längst verheiratete Priester – mehr als zwei Drittel der Synodenteilnehmer stimmten damals dafür, obwohl nur Kleriker abstimmen durften.
In das Bild einer katholischen Kirche, in der nicht mehr alles auf den Papst zentriert ist, gehört auch ein Begriff, den Franziskus schon am Abend nach seiner Wahl benützte: Er bezeichnete sich selbst nicht als Papst, sondern als Bischof von Rom (als solcher ist er ja Papst). Diese Intention hat das Synodenpapier aufgenommen und spricht konsequent vom «Bischof von Rom».
Dezentral und eigenverantwortlich
Im Kontrast zur «kleinen Revolution» stehen die Aussagen des Schlussdokuments. Liest man die 60 Seiten, erwecken sie eher den Eindruck einer frommen Predigt mit wohlabgewogenen Gedanken zum gemeinsamen Weg der Kirche in unserem Jahrhundert. Am ehesten greifbar sind Forderungen, es sollten in den Ortskirchen Synoden stattfinden, in denen die Laien auf kirchliche Entscheidungen Einfluss nehmen. Sie sollten auch bei Bischofswahlen ein Mitspracherecht bekommen, eine Rechenschaftspflicht der Bischöfe gegenüber ihrer Basis abfordern und die Arbeit der Bischöfe regelmässig evaluieren. Alles in allem dezentral und eigenverantwortlich.
Realpolitisch wird man sagen müssen, dass nach dem letzten Konzil die römische Kurie unter den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. bewiesen hat, wie effizient sie solche Forderungen verwässern und in ihr Gegenteil verkehren kann. Der Gegenbeweis ist geliefert, wenn an der nächsten Schweizer Bischofskonferenz auch Laien aktiv teilnehmen, oder wenn der nächste Papst auf dem Petersplatz ein Dutzend Frauen zu Priesterinnen weiht.
Der «Synodale Weg» Deutschlands bekommt recht
Ohne Wirkung bleibt die Synode freilich nicht. Aufmerksame Zeitgenossen haben in den letzten Jahren mit einigem Erstaunen beobachten können, wie die Katholische Kirche Deutschlands ihrerseits einen mehrjährigen und sorgfältig austarierten «Synodalen Weg» beschritten hat. Er ging konsequent davon aus, dass der erschütternde sexuelle und seelische Missbrauch der Kirche das moralische Genick gebrochen hat. Die Verantwortlichen anerkannten die systemischen Gründe dahinter und versuchten einen Neuansatz im «Synodalen Weg». Dieser mündete letztes Jahr in die Gründung eines «Synodalen Ausschusses», der zu einem «Synodalen Rat» führen sollte. Darin würden Bischöfe und Laien künftig gemeinsam über wichtige innerkirchliche Fragen ihres Landes beraten und beschliessen.
Gegen dieses Vorhaben schoss die Kurie aus allen Rohren, und sogar Franziskus begegnete dem Beschluss mit den in diesem Kontext verletzenden Worten: «Wir brauchen keine zweite Evangelische Kirche in Deutschland.» Liest man nun – post festum – das Abschlussdokument der Weltsynode, darf sich der «Synodale Weg» der katholischen Kirche in Deutschland voll bestätigt wissen. Georg Bätzig, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz: «Man könnte auch sagen: Die Synode bittet uns, einen Synodalen Rat einzurichten.» Zukunftsweisend ist die Sache aber erst, wenn entscheidende Aussagen der Weltsynode durch adäquate kirchenrechtliche Strukturen abgesichert sind.
Ein ökumenisches Verständnis des Petrusdienstes?
Nicht unterschätzen sollte man Ansätze zu einem neuen Verständnis des Papstamtes. Es wird im Schlussdokument erwähnt (Nr. 137) und wurde bereits Mitte Juni von Kardinal Kurt Koch, dem Leiter des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen, unter dem Titel «Der Bischof von Rom» der Öffentlichkeit vorgestellt.
Es ist unbestritten, dass das Papstamt ein zentrales Hindernis der Ökumene darstellt. Darum versucht der Vatikan eine Relecture – im Klartext: eine Umdeutung – der Texte des Ersten Vatikanischen Konzils beliebt zu machen. Danach wären mit dem päpstlichen Primat verschiedene Funktionen verbunden: Für die Katholiken könnte er das verbindliche Oberhaupt bleiben, für die anderen Kirchen könnte ein synodal verstandener «Petrusdienst» eine Art oberste moralische Instanz aller Christen – ohne direktive Macht – repräsentieren. Man darf gespannt sein, wie die Kirchen der Reformation auf diese vorerst noch vage Idee reagieren.
Die Ortskirchen sind gefordert
Die Reaktionen auf die Weltsynode 2024 sind insgesamt zwiespältig, auch in der katholischen Kirche der Schweiz. Man anerkennt einen Reformwillen, Bischöfe stimmen zu, Frauenverbände zweifeln und protestieren. Ein Momentum der Euphorie und der Mobilisierung ist nicht zu erkennen.
Dazu kommt, dass es in der Schweiz dank der dualen Struktur der katholischen Kirche schon viele Möglichkeiten der Teilnahme und Mitbestimmung gibt. So nimmt man zur Kenntnis, dass in Rom ein paar Schwalben aus dem Käfig gelassen wurden, doch den Frühling wartet man ein wenig skeptisch ab. «Die Nagelprobe steht auf allen Ebenen noch aus» (Eva Maria Faber). Aber man sollte nicht übersehen: Die Ortskirchen sind nun gefordert. Der Bischof von Rom hat sie in die Pflicht genommen.
Eine Mystikerin der Peripherie
In seinem Schlusswort zur Synode kam der Bischof von Rom zurück auf die Klerikerschelte, mit der er in seinen Anfängen für Aufsehen gesorgt hatte. Er zitierte ein Gedicht von Madeleine Delbrêl. In diesem Gebet unter dem Titel «Vor allem, seid nicht starr» schrieb die «Mystikerin der Peripherien», wie er sie nannte:
Ich glaube, du hast von den Leuten genug, die ständig davon reden,
dir zu dienen – mit der Miene von Feldwebeln,
dich zu kennen – mit dem Gehabe von Professoren,
zu dir zu gelangen nach den Regeln des Sports,
und dich zu lieben, wie man sich nach langen Ehejahren liebt. …
Herr, lass uns unser Leben leben …
wie ein unendliches Fest, wo sich die Begegnung mit dir erneuert,
wie ein Ball, wie ein Tanz, in den Armen deiner Gnade,
in der universalen Musik der Liebe.
Und im Abschlussgottesdienst vom letzten Sonntag legte Franziskus ein sinnenfälliges Symbol für ein bescheideneres Papstamt frei. Erstmals seit vielen Monaten war der monumentale Bronze-Baldachin von Gian Lorenzo Bernini nach seiner Restaurierung wieder ohne Gerüst zu sehen. In der Hauptapsis dahinter entfaltet Bernini in einem gewaltigen Figuren-Ensemble eine Apotheose päpstlicher Macht. Darin ist der antike Papst-Thron, eine aus dem ersten Jahrtausend stammende Cathedra Petri verborgen. Franziskus liess den schlichten Holzstuhl aus seiner barocken Hülle herausnehmen und verharrte still davor, zusammen mit der Gottesdienstgemeinde. Zuvor hatte er in seiner Predigt gesagt, der uralte Thron sei Sinnbild der Liebe, Einheit und Barmherzigkeit, in der Jesus den Apostel Petrus beauftragt habe, «nicht über andere zu herrschen, sondern ihnen in Liebe zu dienen».
Mystiker auf verlorenem Posten?
Ja, was ist nun eigentlich von diesem sonderbaren Bischof von Rom zu halten? Die Synode über die Synodalität der Kirche wird wohl sein letztes grosses Projekt bleiben. Bei allen Widersprüchen beflügelt ihn eine Vision: weg von der monolytisch-hierarchischen Kirche – hin zu einer synodalen Verfassung und Beteiligung. Vielleicht ist Franziskus selbst ein Mystiker der Peripherie. Vielleicht erträumt er sich unter der Chiffre der Synodalität eine Kirche jenseits klerikaler Vorherrschaft, jenseits starrer Dogmen und Organisationsstrukturen, jenseits der ewig Gestrigen in seiner Kurie, jenseits auch der Visionen progressiver Reformbewegungen. Kirche als schlichte Weggemeinschaft von Menschen, die jenem Jesus von Nazareth nachfolgen, auf einander hören und sich so ins Einvernehmen setzen, um gemeinsam Wege in eine gute Zukunft zu finden.
Es ist zu vermuten, dass sich viele Christinnen und Christen gerne mit ihm auf den Weg machen und als Pilger unterwegs bleiben. Aber es ist gleichzeitig zu befürchen, dass eine Miliarden-Kirche so nicht geführt werden kann. Armer Franziskus! Der Papstthron ist für den Mystiker ein verlorener Posten.