Der syrische Bürgerkrieg wird auf drei Ebenen gleichzeitig geführt: der nationalen syrischen, der regionalen arabischen und der internationalen des Uno Sicherheitsrates.
Blockaden auf drei Ebenen
Alle drei sind blockiert: Das syrische Regime kämpft gegen Widerstandsgruppen (unterschiedlicher und untereinander verfeindeter Natur); Sunniten bekämpfen Schiiten (die Alawiten als Schiiten miteinbezogen) auf der regionalen Ebene; Russen treten gegen Amerikaner (mit ihren jeweiligen Verbündeten) im internationalen Bereich an.
Bisher wurde eine diplomatische Lösung primär auf der internationalen Ebene angestrebt; Genf I und Genf II neben vielen anderen diplomatischen Schritten. Dies erwies sich als unfruchtbar, weil eskalierende Interessen der Weltmächte aufeinander stiessen. Es ging auf dieser Ebene nicht allein um Syrien, sondern auch um die möglichen Weiterungen, wobei die Russen sich als übervorteilt ansahen, und dann immer mehr und entscheidend um die Ukraine.
Spielball der Weltmächte
"Regimewechsel" war zum Reizwort für Moskau und Peking geworden. Beide sahen in den Versuchen des Westens, weltweit für "Demokratisierung" zu wirken, bloss einen Vorwand, um die Sicherheit ihrer eigenen Machtsphäre zu untergraben und den Geltungsbereich der Nato auf ihre Kosten auszudehnen. Auf diesem weltweiten Spielfeld war Syrien nur eine erste „Strassensperre“, die nach Libyen klar machen sollte: nicht weiter!
Auf der Krim erfolgte dann die Gegenoffensive. Weil diese nun auch in der Ukraine fortgesetzt wird, ist zur Zeit die syrische Frage auf der Weltmachtebene nicht zu lösen. Eine Entspannung in Osteuropa müsste eintreten, bevor über den Abbau der syrischen „Strassensperre“ auch nur verhandelt werden kann. Der Uno-Vermittler für Syrien, Lakhdar Ibrahimi, hat soeben die Konsequenzen aus dieser Lage gezogen. Er ist zurückgetreten.
Machtverschiebung im Irak
Bisher war auch die mittlere Ebene blockiert, weil dort ein die ganze Region überspannender Krieg zwischen Sunniten und Schiiten begonnen hatte. Saudi Arabien hatte ihn ausgelöst. Doch seine Wurzeln lagen in der Machtverschiebung, die durch den amerikanischen Eingriff im Irak bewirkt worden war. Durch ihn wurde im Irak die schiitische Mehrheit zur Macht gebracht, die zuvor während der letzten 500 Jahre von Sunniten dominiert worden war.
Da sich das saudische Königreich gegenüber seinem drei Mal grösseren schiitischen Nachbarn, Iran, demographisch und militärisch als unterlegen ansah, war für das Königreich eine sunnitisch beherrschte Armee im Irak ein Schutzwall gegen Iran gewesen. Mit dem Machtwechsel im Irak wurde aus dieser, nun schiitisch gewordenen und bisher von dem Königreich als Gegengewicht gegen Iran gewerteten Armee eine zusätzliche Bedrohung. Sie musste nun in der Sicht Riads gemeinsam mit der schiitischen Macht Irans als eine weitere mögliche Feindesmacht eingestuft werden.
Saudi Arabien war deshalb präventiv in die Offensive gegangen. Das Königreich hatte die Gelegenheit der syrischen Volkserhebung gegen Asad von März 2011 genutzt, um den Versuch zu unternehmen, das syrische Regime zu Fall zu bringen und damit den "schiitischen" Arm abzuschneiden, der sich von Teheran aus über Damaskus (nun auch mit freiem Feld im Irak) bis zum Mittelmeer erstreckte, wo er mit dem libanesischen Hizbullah schon seit 1982 (dem Jahr des ersten israelischen Überfalls auf Libanon) einen Ansatzpunkt gefunden hatte.
Amerikaspezialist Bandar bin Sultan
Ein - möglicherweise der wichtigste - Befürworter dieser Offensiv-Politik in Riad war Prinz Bandar Bin Sultan, der einflussreiche Botschafter Saudi Arabiens in Washington während 22 Jahren. Er galt als ein persönlicher Freund der Bush Familie.
Nach seinem Rücktritt in Washington 2005 und seiner Ernennung zum Chef des neu geschaffenen saudischen Sicherheitsrates verschwand Bandar für zwei Jahre von der Weltbühne. Es gingen sogar Gerüchte um, er sei ermordet worden.
Doch 2009 kehrte er nach Riad zurück und wurde bei einem grossen öffentlichen Auftritt empfangen. Er wurde darauf zum Chef des saudischen Geheimdienstes ernannt. Man hat anzunehmen, dass es seine Stimme war, die König Abdullah ermutigte, den Eingriff gegen Asad zu wagen. Man weiss mit Sicherheit, dass Riad damit rechnete, die Amerikaner würden falls nötig zu gegebener Zeit in Syrien intervenieren und dem Regime ein Ende bereiten. Die Enttäuschung darüber, dass dies nicht geschah, als Obama sich im September 2013 dazu duchrang, nicht einzugreifen, konnte Riad nicht verbergen. Weil Bandar unter anderem so etwas war wie ein saudischer Amerika Spezialist, kann man vermuten, dass er dem König versichert hatte, im Notfall werde eine amerikanische Intervention in Syrien stattfinden.
Rücktritt zu Gunsten der Nayef Linie
Nun ist Bandar bin Sultan, wie im vergangenen April bekannt gegeben wurde, "auf eigenen Wunsch hin" - dies ist in Riad in derartigen Fällen stets die Sprachregelung - von seinem Posten als Geheimdienstchef zurückgetreten. Seine Ablösung scheint in Wirklichkeit schon im Februar stattgefunden zu haben. Sein Nachfolger wurde Prinz Mohammed bin Nayef, der Sohn des langjährigen saudischen Innenministers und späteren Thronfolgers, Nayef bin Abdul Aziz. Prinz Nayef ist am 17, Juni 2012 gestorben.
Nayef war dadurch berühmt und mächtig geworden, dass er den Aktionen der radikalen Islamisten in Saudi Arabien ein Ende setzte. Diese hatten in den Jahren 2007 bis 2009 Bombenanschläge in den saudischen Städten verübt, die primär gegen im Königreich arbeitende westliche Fachkräfte gerichtet waren. Nayef selbst war später sehr knapp einem Bombenanschlag durch einen Qaeda Selbstmörder entronnen.
Nayef und sein Sohn haben im inneren Bereich des Königreiches Karriere gemacht, Vater Nayef wirkte zuerst als Gouverneur von Riad, bevor er 1975 Innenminister wurde. Bandar bin Sultan dagegen gehört zu den Protagonisten der Aussenpolitik und des aussenpolitischen Arms der Geheimdienste. Für Personen wie Nayef und dessen Sohn, die für die innere Ruhe verantwortlich waren, stellten Jihadisten, die aus Saudi Arabien nach Syrien zogen (wie schon zuvor aus Saudi Arabien nach Afghanistan) und die früher oder später als erfahrene und fanatische Kämpfer nach Hause zurückkehren würden, eine Gefahr für das Königreich dar. Für Leute wie Bandar waren sie eher Bauern im Schachbrett der saudischen Aussenpolitik.
Kurz nach der Ernennung von Muhammed bin Nayef zum Sicherheits- und Geheimdienstchef erging ein Verbot für saudische Bürger, als Jihadisten in Syrien zu kämpfen.
Kritik an der Syrien Politik Bandars
Über die inneren Diskussionen um die saudische Politik, die im Kreis der königlichen Familie und deren Berater geführt werden, gelangt nichts an die Aussenwelt. Doch angesichts der personellen Entwicklungen kann man vermuten, dass sich Kritik an der politischen Linie Bandars erhoben hatte, als deutlich wurde, dass der syrische Bürgerkrieg nicht in der Weise verlief, wie er ihn erhofft und vorausgesagt hatte. Ohne Zweifel war der Entschluss der Amerikaner, auf eine Intervention in Syrien zu verzichten, auch in saudischen Augen zur Wasserscheide für Syrien geworden.
Die Erfolgsaussichten der Linie, die Bandar empfohlen hatte, nahmen ab, und seine Linie schien zunehmend kompromittiert. Dass soeben das saudische Aussenministerium erklärt hat, das Königreich sei bereit, den iranischen Aussenminister zu empfangen, sobald dieser für einen solchen Besuch Zeit finde, ist ebenfalls Zeichen einer Neuorientierung der saudischen Politik, - oder vorsichtiger formuliert, erster Schritte, um die Möglichkeit einer Neuorientierung zu erkunden.
Die Haltung Washingtons gegenüber Iran
Dabei spielt natürlich auch eine Rolle, dass Aussichten auf eine Versöhnung Irans und der USA im Atomstreit und auch in allen anderen Spannungsbereichen bestehen und sich positiv zu entwickeln scheinen. Dass die USA sich gegen eine kriegerische Konfrontation mit Iran entschieden hatte, war in Saudi Arabien ebenfalls zunächst mit bitterer Enttäuschung aufgenommen worden.
Doch nun gibt es offenbar Vertreter einer realistischen Sicht unter den saudischen Herrschern, die dafür eintreten, dass zunächst die Absichten und Aussichten des gegenwärtigen Iran erkundet werden, bevor der begonnene "Krieg gegen die Schiiten" in der arabischen Welt und in Iran fortgeführt und auf die Spitze getrieben wird.
Versuche des Umdenkens?
Was eine solche Erkundung der bisher als Gegner gesehenen Macht auf der Südseite des Golfs ergeben wird, kann man noch nicht absehen. Eine Neuakzentuierung der saudischen Aussenpolitik dürfte auch dadurch geboten sein, dass den Saudis offensichtlich bewusst geworden ist: Die USA möchten den Nahen Osten in ihrer Aussenpolitik eher zurückstellen, gewissermassen auf einen hinteren Brenner, gegenüber dem wichtiger werdenden Engagement im Fernen Osten und wohl auch angesichts der Hoffnungen, durch das Fracking in Zukunft unabhängig vom Öl aus dieser Region zu werden.
Saudi Arabien konnte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Gegenwart auf den Pakt zählen, der 1945 von Präsident Roosevelt und König Abdul Aziz geschlossen worden war. Sein kern: Sicherheit für das saudische Regime gegen Erdöl für die USA.
Ob all dies wirklich zu einem Umdenken in der Frage der saudischen Konfrontation mit dem Schiismus Irans führen kann, ist noch offen. Es sind erst kleine Erprobungsbewegungen in dieser Richtung feststellbar. Viel wird natürlich davon abhängen, ob und wie die iranisch-amerikanischen Beziehungen sich weiter entwickeln. Wenn es nicht zu einer Versöhnung Irans mit Amerika kommt, hat auch Saudi Arabien weniger Anlass, seinerseits eine solche zu wagen. Eine entspannende Auswirkung auf Syrien kann man von einer solchen Versöhnung erst dann erhoffen, wenn sie wirklich auf Dauer zustande kommt und sich zu bewähren scheint. Das wird Zeit brauchen.
Suche nach Kompromissen
Eine Beilegung des Zwists auf der "schiitischen" Ebene würde wohl keine Entscheidung im syrischen Bürgerkrieg bringen, - jedenfalls weniger im Sinne eines Sieges der einen oder der anderen Seite. Eher wäre mit vermehrten Druck von zentralen Partnern auf beide Seiten zu rechnen - der saudischen auf die Rebellen, der iranischen auf die Regierung - Kompromisse zu finden. Dieser Druck könnte mit einer schon heute feststellbaren Ermüdung der beiden kriegsführenden Seiten in Syrien zusammenkommen. Die Ausgangslage bei einer Kompromisssuche wäre natürlich jene der in diesem Zeitpunkt bestehenden innersyrischen Kriegssituation.
Dieser Umstand spricht dafür, dass es, falls überhaupt, wahrscheinlich ein Kompromiss werden dürfte, in dem sich Asad als "wiedergewählter Präsident" mindestens anfänglich wird halten können. Ob es möglich sein wird, glaubwürdige Garantien auszuhandeln, die ein allzu brutales Durchgreifen seiner Sicherheitskräfte, mässigen, wenn ihre Seite die Oberhand erhält, müsste sich zeigen.
Könnte, ähnlich wie es im Libanon nach dem dortigen Bürgerkrieg (1975-1991) zur Zeit Rafik Hariris geschah, Aufbauhilfe von saudischer Seite, die Syrien bitter benötigen wird, in diesem Sinne mässigend wirken?
Jedenfalls hätte eine Lösung, die von der zweiten Ebene ausgehend angestrebt würde, das heisst durch Iran und Saudi Arabien, den wichtigen Vorteil, dass sie von Mächten der Region selbst ausginge, die dem betroffenen Lande Syrien näher stehen als die Grossmächte mit ihrer durch ihre weltweiten Interessen bestimmten Grossmachtdiplomatie.