Hinter dem etwas trocken wirkenden Titel verbergen sich 30 Lebensgeschichten von zum Teil grösster Spannung. Erzählt wird nicht nur von Mut und Überzeugungskraft, sondern auch von Festen, Verfehlungen und Abenteuern.
Der Band, der unter der Ägide des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier entstanden ist, bietet den Lesern den Reiz geradezu farbenprächtiger Schilderungen. Er gibt nicht nur Einblicke in die zum Teil gewaltsamen Auseinandersetzungen auf dem Weg zur deutschen Demokratie mit allen Rückschlägen und fatalen Entwicklungen. Er geht darüber hinaus. Er schildert das Leben der gestaltenden Frauen und Männer in einer Weise, dass sie als Persönlichkeiten hervortreten, die über die Rolle der «Wegbereiter der deutschen Demokratie» weit hinausgehen.
Nach Amerika
Carl Schurz zum Beispiel. Er war nicht nur massgeblich an den Umtrieben beteiligt, die Deutschland den Weg zur verfassunggebenden Versammlung in der Paulskirche 1848/49 bahnten, sondern er verfügte über Energien, für die Deutschland keinen Raum bot. 1852 ging er über England nach Amerika, unterstützte dort Abraham Lincoln in seinem Wahlkampf und nahm als General am amerikanischen Bürgerkrieg teil.
Seine Frau, Margarethe Meyer, die aus wohlhabenden Verhältnissen stammte und die er am 6. Juli 1852 in England heiratete, war aus ähnlichem Holz geschnitzt. In Amerika richtete sie den ersten «Kindergarten» ein. Während einer Deutschlandreise plauderte Carl Schurz mit Bismarck, der ihn unter anderem danach ausfragte, wie er es seinerzeit geschafft habe, seinen Freund Gottfried Kinkel aus einem preussischen Zuchthaus zu befreien. – Von Carl Schurz gibt es eine schön edierte Autobiographie unter der Ägide der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung im Göttinger Wallstein Verlag.
Ungerichtetes Geschehen
Historische Betrachtungen haben den Nachteil, dass sie vielschichtige und keineswegs einlinige Entwicklungen als irgendwie zielgerichtet darstellen. Dafür hat sich das Modewort «Narrativ» eingebürgert. Entsprechend hält sich bis heute der Glaube, dass der Weg zur Demokratie zwar freigekämpft werden musste, dass dieser aber irgendwie vorgezeichnet war. In ihrer klugen einleitenden Betrachtung «Viele Wege zur Demokratie» beschreibt Barbara Stollberg-Rilinger die Entwicklungen, die aus der mittelalterlichen Feudalgesellschaft herausführten. Dabei betont sie, dass zunächst einmal die Rechte, die der Adel, die Feudalherren oder die Honoratioren der Städte gegenüber den Monarchen durchsetzten, überhaupt nichts mit der Vorstellung demokratischer Teilhabe aller Volksschichten zu tun hatten. Der Gedanke kam erst später auf, als zum Beispiel das Naturrecht Einzug in die Staatslehre und die Jurisprudenz hielt.
Das deutsche politische Klima wurde durch die Ereignisse in Frankreich nach 1789 stark beeinflusst. Allenthalben setzten sich die Ideen der Gleichheit und demokratischer Verfassungen nicht nur in den Köpfen von Künstlern und Literaten fest, sondern auch bei manchen, die in Diensten der bisherigen Administrationen standen.
Die Hallgartener Treffen
In diesem Zusammenhang ist eine der interessantesten Gestalten Adam von Itzstein. Er trat in die Dienste des Fürsten von Leiningen und wurde 1822 in den badischen Landtag gewählt. Dort lehnte er den Militäretat ab. Zur Strafe sollte er von Mannheim an das Hofgericht in Merseburg versetzt werden, was er aber ablehnte. Daraufhin wurde er bei vollen Bezügen pensioniert. Das hätte der Fürst besser nicht getan. Denn Itzstein besass ein Weingut in Hallgarten, auf das er sich zurückzog und das er zu einem Treffpunkt hauptsächlich oppositioneller Geister machte. Der österreichische Staatskanzler Clemens Fürst von Metternich soll Itzstein als den «einzigen gefährlichen Mann der badischen Opposition» bezeichnet haben. Aber man darf sich Itzstein nicht als finsteren Verschwörer vorstellen. Denn die Hallgartener Treffen waren auch berühmt für ihre Geselligkeit, bei der es hoch herging.
Überhaupt waren manche Revolutionäre dem gesellschaftlichen und glamourösen Leben gegenüber durchaus nicht abgeneigt. Georg Herwegh zum Beispiel, der als eine Art Lyriker der Revolution – «Gedichte eines Lebendigen» – in jungen Jahren grössten Ruhm erntete, heiratete mit Emma Siegmund, die zum Kreis seiner Bewunderer gehörte, in eine reiche Familie ein. So konnten sich die Herweghes vieles leisten, wozu auch ein luxuriöses Leben in Paris gehörte. Allerdings konnte Georg Herwegh lange Zeit nicht an seine früheren Erfolge anknüpfen, was ihm zum Beispiel den Spott von Heinrich Heine eintrug. Statt dessen hatte er eine Affäre nach der anderen, die seine Frau Emma nicht immer ertrug. Ihren Mann hat sie allerdings um knapp drei Jahrzehnte überlebt.
Das Scheitern Georg Forsters
Der Band enthält viele andere bewegende Geschichten wie zum Beispiel die «Mainzer Republik», an der der hoch berühmte und gerühmte Weltumsegler und Wissenschaftler Georg Forster massgeblichen Anteil hatte und an deren Scheitern er selbst zugrunde ging. Dies ist ein Lehrstück zu dem Thema, dass beste Absichten, beste Ideen und Köpfe nicht davor gefeit sind, das Gegenteil von dem Beabsichtigten zu erreichen. Auch die Versammlung in der Frankfurter Paulskirche scheiterte nicht nur, aber auch, an zu viel Intellektualität. Carl Schurz urteilte hart, dass diesem Parlament «das Genie» fehlte, «das die Gelegenheit erkennt und rasch beim Schopf ergreift». Es habe vergessen, «dass in gewaltsam bewegter Zeit die Weltgeschichte nicht auf Denker wartet. Und so sollte ihm alles misslingen».
Die Rolle der Frauen
In dem Band sind politisch engagierten Frauen zahlreiche Beiträge gewidmet, ging es doch immer auch um das Thema der Gleichberechtigung. Aber die politischen Gräben zogen sich auch durch diese Emanzipationsbestrebungen. So schreibt Kirsten Heinsohn in ihrem Beitrag über Minna Cauer, dass die sozialdemokratisch orientierten Frauen nicht das Konzept der «bürgerlichen Damen» mittragen wollten, während umgekehrt diese sich von den «vaterlandslosen» Sozialdemokratinnen abgrenzten. – In diesem Zusammenhang fällt auf, dass in dem Band zwar ein Beitrag über August Bebel vorhanden ist, aber Rosa Luxemburg nicht vorkommt.
Aber jenseits der Kapitel, die speziell einzelnen Frauen gewidmet sind, spielen diese immer wieder eine zentrale Rolle. Sie sind massgebliche Gefährtinnen ihrer Männer. Ohne sie hätten einige von ihnen ihren Weg gar nicht gehen können. Und eine der anrührendsten Episoden rankt sich um den Tod von Robert Blum. Blum war ein massgeblicher Kopf der Paulskirchenversammlung. Kurz vor ihrem Scheitern ging er nach Wien und verteidigte die Stadt gegen österreichische Truppen, die gegen die dortigen Revolutionäre vorgingen. Das Militär triumphierte, Blum wurde festgenommen, vor ein Kriegsgericht gestellt und zum Tode verurteilt. Vor seiner Hinrichtung am 9. November 1948 schrieb er einen bis heute berühmten Abschiedsbrief an seine Frau. Als er zur Exekution schritt, rollte eine Träne über seine Wange. Ein Soldat versuchte, ihn zu trösten. Robert Blum antwortete: «Nicht der Abgeordnete Blum weint, nur der Gatte und Vater!»
Frank-Walter Steinmeier (Herausgeber): Wegbereiter der deutschen Demokratie. 30 mutige Frauen und Männer 1789–1918, 448 Seiten, Verlag C. H. Beck, München 1921, 28 Euro