Dieser Band ist weit mehr als ein Resümee. Er enthält frühe und neueste Bilder aus Amerika von Thomas Hoepker. Sie wurden kongenial von Freddy Langer zusammengestellt und in einem Vorwort kommentiert. So entstanden packende und berührende Erzählungen aus einem Land der Träume und Enttäuschungen.
Man kann in dem Band beliebig blättern: Es gibt keine Seite, die den Betrachter nicht in den Bann schlüge. Es ist, als springe man unvermittelt in Begebenheiten, die man deuten kann, aber von denen man gern noch mehr wüsste. Das sind Geschichten, die man erahnt und die einem irgendwie nahe kommen. Ständig entstehen diese magischen Momente.
Rebellen und Aussteiger
Thomas Hoepker, der 1936 geboren wurde, gehört zu den ganz Grossen der deutschen und internationalen Fotografie. Seit 1989 ist er Mitglied der Fotografenagentur Magnum und von 2003 bis 2007 war er deren Präsident. Nach einem Studium der Geschichte und der Archeologie fing er mit der Fotografie an und arbeitete zunächst für die Zeitschrift «Kristall». Amerika faszinierte ihn aus mehreren Gründen. Als Kind hatte er erlebt, wie amerikanische Panzer in einem kleinen bayerischen Dorf einrollten, Soldaten ausstiegen, Süssigkeiten verteilten und den Krieg für beendet erklärten. Das war für ihn unvergesslich. Aber wie war Amerika?
Freddy Langer schreibt in seinem Vorwort, dass Hoepker stark von den Bildern Robert Franks beeindruckt war. Dazu kam in den 1960er Jahren der Einfluss der Beat-Generation, der Rebellen und Aussteiger, deren Lebensgefühl von Jack Kerouac in dem Roman «On the Road» gefeiert wurde. Zusammen mit dem Autor Rolf Winter unternahm Thomas Hoepker lange Reisen durch die USA. Die Zeitschrift «Kristall» machte daraus eine Serie.
Die neue Reise
In dem Band sind zahlreiche dieser Bilder, damals noch in Schwarzweiss, zu sehen. Sie wurden von Freddy Langer zusammengestellt und mit den neuen Bildern der Reise, die im November 2020 begann, kombiniert. Thomas Hoepker bedankt sich bei ihm ausführlich dafür, dass er derartig enthusiastisch in dieses Projekt «eingetaucht» sei.
Tatsächlich ist das Gespann Hoepker und Langer ein Glücksfall. Denn Freddy Langer ist selbst ein anerkannter Fotograf, ausgewiesener Experte für Fotografie und zudem ein renommierter Reisejournalist. Er leitet die Reisebeilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Mehrfach hat er die Route 66 abgefahren und darüber einen stark beachteten Bildband, «Route 66 – The Final Cut», herausgebracht.
In seinem ausführlichen Vorwort beschreibt er, wie Thomas Hoepker, der seit Jahrzehnten in New York lebt, zusammen mit seiner Frau in einem Wohnmobil von beachtlichen Ausmassen seine neue Reise durch die USA angetreten hat. Er wollte die USA noch einmal ganz neu sehen. Freddy Langer merkt dazu an, dass Hoepker mehr und mehr sein sprachliches Gedächtnis verliert, aber sein Bezug zum Fotografieren so eng ist wie eh und je. Und tatsächlich erweisen die neuen Farbbilder wieder die grosse Kunst Hoepkers, Situationen in Sekundenbruchteilen zu erfassen, sie in einer ästhetisch überzeugenden Form zu fotografieren und damit noch eine Geschichte anzudeuten, die des Erzählens wert ist. – Deswegen kann man den Band an jeder Stelle aufschlagen und ist sofort in ein Geschehen eingesponnen, das die Fantasie enorm beschäftigt.
Fatalismus
Was aber erzählt Thomas Hoepker? Es ist die Begegnung mit einem Land, das der Inbegriff eines Traums war und dessen Realität ernüchternd ist. Langer meint sogar, dass sich in vielen Gesichtern Enttäuschung spiegele. Hoepker liebt dieses Land trotzdem und ist weit davon entfernt, es aus europäischer Arroganz heraus zu verachten. Aber er leidet auch an einer Trostlosigkeit, die schon aus den Bildern von Robert Frank spricht.
Und er stösst auch auf einen schwer zu verstehenden Fatalismus. In seinen frühen Reportagen gibt es Bilder im Zusammenhang mit der Ermordung John F. Kennedys. Auf den Strassen stehen die Zeitungsverkäufer mit den erschütternden Schlagzeilen, und in den Bars werden Münzen in die Jukeboxen eingeworfen.
Die neue Reise von Thomas Hoepker stand im Zeichen der tiefen politischen Spaltung des Landes und den Folgen von Covid-19. Es ist ein Land, das buchstäblich erschüttert ist, das Thomas Hoepker aber nicht aufgehört hat zu lieben.
Thomas Hoepker: The Way It Was. Road Trips USA, edited and text by Freddy Langer, 192 pages, 436 photographs, Steidl, Göttingen 2022, 45 Euro