Die nervenaufreibende Situation ist bekannt: Auf der Autobahn geht es Kilometer um Kilometer an Lastwagen vorbei. Einer schwenkt auf die linke Spur, setzt im Schneckentempo zum Überholen an und drosselt hinter ihm die Geschwindigkeit der Personenfahrzeuge. Parallel zu den Sattelzügen, Containertransportern, Silo- und Tankwagen bildet sich eine Kolonne im Kriechgang.
Anregung aus dem 17. Jahrhundert
Sie weckt neben hässlichen Gedanken auch die schöne Vorstellung, wie befreiend es wäre, würden die Güter per Schiff auf unseren Flüssen verschoben. Langsam, aber stetig, tagsüber und in der Nacht. Die Vision von den Kapitänen der Landstrassen, die auf die Wasserstrassen wechseln, ist mehr als bloss eine Fantasterei nervöser und egoistischer Automobilisten.
Vor der Abstimmung vom 12. Februar über den Fonds für die Nationalstrassen und den Agglomerationsverkehr lohnt es sich, in die Vergangenheit abzutauchen. Im 17. Jahrhundert begann mit dem Projekt eines Kanals von den Niederlanden bis ins Mittelmeer die schweizerische Binnenschifffahrt, und zwar rassig. Der Franzose Elie Guret reichte der Berner Regierung 1635 ein Konzessionsgesuch ein, mit dessen Bewilligung bereits drei Jahre später am Kanal vom Neuenburger- zum Genfersee gearbeitet werden konnte.
Der 1648 eröffnete Canal d'Entreroches zwischen Yverdon und Cossonay blieb bis 1829 – bis zur Verbesserung der Strassen und zum Aufkommen der Eisenbahn – in Betrieb und diente rentabel dem regionalen Warenaustausch. Spuren des Kanals sind noch heute sichtbar. Für die Verlängerung bis in den Genfersee fehlte allerdings das Geld.
Freiheit für die Schifffahrt
Weiter ging es aber mit dem Bemühen, für die Binnenschifffahrt die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Mit Belgien, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und den Niederlanden unterzeichnete die Schweiz 1868 die Mannheimer Akte, die der Schifffahrt auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen die Freiheit garantierte.
1880 einigte sich die Schweiz mit dem Grossherzogtum Baden unwiderrufbar darauf, jedermann die Schiff- und Flossfahrt von Neuhausen bis unterhalb von Basel zu gestatten.
Das 1916 in Kraft getretene Bundesgesetz über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte regelte die Schiffbarkeit des Rheins von Rheinfelden bis Basel-Kleinhüningen und behielt sich die Schiffbarmachung vor für den Rhein zwischen Aaremündung und Rheinfelden sowie für die Rhone vom Genfersee bis zur Landesgrenze.
Euphorisch für Autobahnen
Der Bundesbeschluss betreffend schiffbarer und schiffbar zu machender Gewässerstrecken von 1923 löste die Erarbeitung verschiedener Projekte aus, so für die Verbindung von Basel bis zum Bodensee und von Locarno bis zum Po sowie für den transhelvetischen Kanal Rhein–Aare–Bielersee–Neuenburgersee–Genfersee.
Diesen Pioniergeist griff die Landi 1939 auf, in deren Katalog es hiess: „Einen Blick in eine vielleicht nahe Zukunft bietet uns das mächtige Wandgemälde, das den Plan eines freien Schifffahrtsweges von Basel bis hinauf an den Bodensee im Zustand der Verwirklichung zeigt; sogar der Rheinfall ist hier mit Wehr und Schleuse überwunden.“ Vor Augen geführt wurden auch der transhelvetische Kanal, die Schleuse von Nidau und der Aarehafen in Brugg.
Das erwies sich als utopisch. Mit Detailplänen und durchaus optimistisch stimmenden Machbarkeitsstudien hatte es sein Bewenden. Das politische Interesse verlagerte sich auf ein nationales Autobahnnetz, das zu realisieren die Eidgenössischen Räte 1960 beschlossen. In der allgemeinen Euphorie wurden Lärmemissionen, Unfallgefahren und Umweltbelastung ausgeblendet.
Über Jahre hinweg veranlasste jeder neue Autobahnabschnitt zu einem Volksfest mit den Spitzen der Politik, mit Blasmusik, Trachtengruppen, pathetischen Reden und einem Medienecho bis in die hintersten Täler, wo von Anschlüssen ins staufreie Tempo-Paradies geträumt werden konnte.
Güterverkehr auf dem Rhein bis in die Ostschweiz
Seither ist die unschuldige Freude verflogen. Wer die Vorteile schneller Strassenverbindungen aufzählt, muss sich die Nachteile anhören wie CO2-Belastung, Lärm, Unfallhäufigkeit, Verkehrszusammenbrüche, Land-Verschleiss.
Der bundesrätliche Bericht über die schweizerische Schifffahrtspolitik aus dem Jahr 2009 hält die Verlagerung des Gütertransports von der Strasse und der Schiene auf unsere Flüsse als Alternative offen. Das Bundesamt für Verkehr bestätigte sie 2014. Zudem stellt das 2015 erlassene Gütertransportgesetz Schiene, Strasse und Wasser als Verkehrsträger gleich.
Der Schweizerische Binnenschifffahrts-Verband ist von der Richtigkeit überzeugt, den Rhein für den Güterverkehr bis in den Raum Zürich und in die Ostschweiz zu öffnen, und kämpft, von Präsident Franz Brütsch energisch dazu angehalten, für diese Idee.
Tüchtige Leistung ohne öffentliche Beachtung
Sie ist auch deshalb nicht verwegen, weil Lastschiffe auf unseren Gewässern Jahr für Jahr Massengüter und Grossobjekte im Gesamtgewicht von über drei Millionen Tonnen befördern. Das geschieht so problemlos – leise und ohne Verkehrsbehinderung –, dass die Öffentlichkeit diese Leistung kaum wahrnimmt.
Eigentlich müsste die Förderung des Gütertransports auf den Binnengewässern aus ökologischem Bewusstsein und wegen der überlasteten Nationalstrassen selbstverständlich sein. Das ist aus hauptsächlich drei Gründen nicht der Fall.
Ökologische Interessen im Widerstreit
Der Druck, die Güterspedition aufs Wasser zu bringen, ist zu gering. Das hängt zusammen mit der Entwicklung vom Agrar- übers Industrieland zur Dienstleistungsgesellschaft. Der Transportbedarf für Rohprodukte wie Holz, Kohle, Stahl und chemische Grundstoffe nimmt ab.
Ökologische Interessen liegen miteinander im Widerstreit. Die Binnenschifffahrt für sich genommen ist umweltfreundlicher als der Landtransport, verlangt jedoch bei einer Erweiterung mit dem Bau von Häfen und Schleusen Eingriffe in die Natur, denen eine heftige Opposition gerade aus ökologischen Kreisen erwachsen würde.
Schliesslich ist die Kontroverse, ob Schiffe unter Berücksichtigung aller Faktoren billiger wären als Eisenbahnen und Lastwagen, weiterhin in vollem Gang. Den Befürwortern der Binnenschifffahrt muss bis hinters Komma der glasklare Beweis des volkswirtschaftlich günstigeren Transportträgers gelingen.
Scheitern und neuer Anlauf
Der Schweizerische Binnenschifffahrts-Verband weiss um diese zwingende Notwendigkeit. Er beauftragte die Fachhochschule Nordwestschweiz mit einer realitätsbezogenen, detaillierten und umfassenden Studie. Das Unterfangen scheiterte, weil die Datenerhebung auf Vertraulichkeitsvorbehalte stiess und auf Auskunftsverweigerung.
Die Folgerung ist wohl erlaubt, dass eine ausgebaute Binnenschifffahrt bahn- und strassenseitig keine Sympathien geniesst. Es herrscht offenbar Konkurrenzangst. Dieses Eingeständnis betont, ungewollt und dennoch nachdrücklich, die Bedeutung der Binnenschifffahrt als einem intelligenten und wenig Land beanspruchenden Transportträger.
Der Verband nimmt für eine hieb- und stichfeste Vollkostenrechnung nochmals einen kräftigen Anlauf. Dazu Franz Brütsch: „Es ist unsere Absicht, mit einem verkannten, intelligenten Transportträger den ökologischen und volkswirtschaftlichen Haushalt unseres Landes zu verbessern und Engpässe im Strassen- und Schienenverkehr zu entlasten.“
www.binnenschiff.ch