Einst prägten sie das Bild vieler katholischer Orte, die Brüder in braunen Kutten mit spitzen Kapuzen. Heute schliessen die Klöster des Kapuzinerordens. Was wird aus diesen Zeugen mönchischer Kultur? Und wie lebt der franziskanische Geist allenfalls weiter? Das Beispiel Stans.
Der Anblick eines verlassenen Klosters lässt einen nicht kalt. Es ist der Kummer über einen Verlust und vielleicht sogar schmerzhafter als das Bedauern, das einen Liebhaber alter Dinge überkommt. Es ist das Wissen um das Wegbrechen einer Lebensweise, das Verschwinden einer Welt des Gebets und der Mediation, der Stille und der Gemeinschaft, auch der immateriellen Hingabe an die Aufgabe. Abhandenkommt dabei so etwas wie der Gegenentwurf zur modernen säkularen Welt.
Die Kapuziner – ein grosser Orden
Viele Klöster der Kapuziner sind bereits aufgegeben und verlassen. Fehlender Nachwuchs liess keine andere Wahl. Die Kapuziner sind ein Bettelorden in der Nachfolge des Franziskus von Assisi und im Gegensatz zu Mönchen in Abteien nicht sesshaft. Die sogenannte Stabilitas loci, das Gebundensein durch die Profess an ein bestimmtes Kloster, wie bei den Benediktinern beispielsweise, kennen sie nicht. Als Bettelbrüder wandern sie von Kloster zu Kloster.
Die Kapuziner kommen im 16. Jahrhundert von Italien her in die Schweiz – im Zuge der katholischen Reform und als Antwort auf die Reformation. Zuerst mit dem Kloster Bigorio im Tessin 1535, dann jenseits der Alpen in Altdorf 1581 und Stans 1582. Schnell breiten sie sich in der Deutschschweiz aus, wenig später auch in der welschen Schweiz. Überall entstehen Klöster und Hospize; allein in der deutschen Schweiz sind es von Wil bis Freiburg, von Dornach bis Näfels 42 Niederlassungen. 1962 zählen die Kapuziner mit 820 Mitgliedern ihren Höchststand. 60 Jahre später, 2020, sind es noch 91 Ordensangehörige. Und die Zahl sinkt weiter.
Ausbildungsstätte katholischer Akademiker
Der Konvent in Stans zählt zu den grossen Kapuzinerklöstern. Bis zu 65 Ordensmitglieder wirken hier: Patres mit Priesterweihe zusammen mit Fratres, Ordensbrüdern ohne priesterliche Aufgaben. Tätig sind sie in der Kranken- und Gefangenenseelsorge, im Spital und bei den Schwestern im Frauenkloster St. Klara, in den umliegenden Pfarreien und auf den Nidwaldner Alpen, aber auch im klostereigenen Gymnasium.
1909 baut der Orden seine private Lateinschule, das Kollegium St. Fidelis, zur achtjährigen Maturitätsschule aus. Die meisten Schüler kommen von auswärts ins Internat, viele von ihnen aus der Luzerner Landschaft und aus vielköpfigen Bauernfamilien. Es ist eine Internatsschule mit konsequenten Erziehungsgrundsätzen, eine «Pflanzschule überzeugter katholischer Akademiker sowie tüchtiger Ordenskandidaten», wie es im Prospekt heisst – eine klar konfessionell ausgerichtete Bildungsstätte franziskanischer Prägung.
Lehrer mit Langzeitwirkung
Als Externer besucht auch der Stanser Peter von Matt das Kapuzinerkollegium. In einem heiteren Essay porträtiert der spätere Literat seinen damaligen Deutschlehrer: «Er war ein Raubein, bald gerecht, bald ungerecht, wie es ihm gerade gefiel. Seine Autorität war unangefochten. Aufregend war es, wenn er donnerte, kurzweilig, wenn er guter Laune war, etwas lief immer. (…) In der dritten Klasse des Gymnasiums unterrichtete er Deutsch. Ein ganzes Jahr lang «Wilhelm Tell» von Friedrich Schiller. Das nimmt sich heute wie schwarze Pädagogik aus, hat mich aber für mein Leben geprägt.» (1) Ein Lehrer mit «Langzeitwirkung», fügt Peter von Matt bei. Und so war es bei Generationen von Gymnasiasten.
Doch den Kapuzinern fehlen zunehmend jüngere Kräfte: Die Ordenseintritte nehmen ab, die Aufgaben aber zu. 1988 geht das Kollegium St. Fidelis an den Staat über. Das Internat verschwindet, das private Gymnasium wird zur kantonalen Mittelschule, zur Nidwaldner Kantonsschule. 2004 verlassen die letzten Kapuziner das Kloster Stans – nach 422 Jahren. Es ist zu gross geworden für den kleinen zwölfköpfigen Konvent. (2)
Ein Buchtitel gibt den Impuls
Was geschieht mit einem solchen Gebäude? Es ist denkmalgeschützt; die Frage stellt sich darum erst recht. Und wie kommt wieder Leben ins einstige Kloster? Eine zukunftsfähige Lösung zu finden, ist anspruchsvoll. Der Kanton Nidwalden trifft einen kühnen Entscheid: Er kauft das Areal für eine Million Franken und vermietet die Liegenschaft an ein biopharmazeutisches Unternehmen. Doch die überladenen Pläne und die rund vierzig versprochenen Arbeitsplätze erweisen sich als Wolkengebilde. Der Traum platzt, die High-Tech-Firma zieht 2014 wieder aus. Die Suche beginnt von vorne.
Eine neue Idee kommt ins Spiel. Sie kommt vom Ernährungsforscher Dominik Flammer. Als Food-Scout sammelt er im Alpenraum während Jahren traditionelle Rezepte, er sucht nach vergessenen Lebensmitteln und forscht zu seltenen Obst- und Gemüsesorten. Das Wiederentdeckte beschreibt er in seinem Werk «Das kulinarische Erbe der Alpen». Das ist die zündende Idee fürs ehemalige Kloster: ein Kompetenzzentrum für alpine Kulinarik, das Culinarium Alpinum. (3) Die Idee besticht. 2018 folgt der Spatenstich.
Ausdruck der franziskanischen Lebensweise
Für rund elf Millionen wird das ehemalige Kloster umgebaut: zurückhaltend und bescheiden, einfach und zweckmässig, ganz nach den Prinzipien der franziskanischen Lebensweise. Verantwortlich zeichnen die Stiftung KEDA (Kulinarisches Erbe der Alpen), das Winterthurer Büro Rothen Architektur und als Bauherrin die Senn Values AG. Gönner und Sponsoren, Stiftungen und der Kanton helfen mit. Anfang Herbst 2020 kommen die ersten Gäste.
Das ehemalige Refektorium der Kapuziner, ihr gemeinsamer Speisesaal, wird zu einem Restaurant mit Spezialitäten aus dem Alpenraum, die alte Klosterbibliothek zum schmucken Festsaal. Jeweils zwei karge Klosterzellen ergeben ein Gästezimmer. Dazu braucht es aber noch eine zusätzliche Klause fürs Badezimmer. Das Culinarium Alpinum bietet 14 schlichte Herbergszimmer an. Sie atmen noch heute etwas von der ehemaligen Atmosphäre dieser spartanisch eingerichteten Klosterkammern. Der Genius Loci geht nicht verloren.
Im Tonnengewölbe von 1583 entsteht ein Alpsbrinz-Käsekeller und der ehemalige Klostergarten wird zu einer «essbaren Landschaft» umgestaltet. Heranwachsen sollen hier über 250 Obst- und Beerensorten. Als Gegenstück zu den agro-industriellen Monokulturen bei Beeren und Obst wird hier zusammen mit Pro Specie Rara die biologische Vielfalt von Nutzpflanzen gefördert.
Klösterliche Innerlichkeit
Als Sakralraum erhalten bleibt lediglich das Gotteshaus. Es bleibt weiterhin ein Ort des Gebets, des Kultus und der Kultur. Träger ist der Verein Kapuzinerkirche Stans. Er lebt – wie der Bettelorden der Kapuziner – von Spenden.
Als Aussenstehender kann man das Geheimnis klösterlicher Innenwelten wohl nur erahnen. Doch wer heute als Gast im Culinarium Alpinum Stans weilt und durch das ehemalige Klosterareal streift, wird etwas von diesem Geist spüren. «Verzicht auf grossen materiellen Besitz kann nur aufgewogen werden durch die Geborgenheit in der Gemeinschaft», meinte der letzte Vorsteher des Klosters Stans, Pater Guardian Damasus Flühler. Der sorgsame Umbau hat dieses geistliche und kulturelle Erbe bewahrt.
(1) Peter von Matt: Langzeitwirkung. In: NZZ, 22./23.03.2008, S. 66.
(2) Vgl. Hansjakob Achermann, Marita Haller-Dirr, Fabian Hodel (Red.): Kapuziner in Nidwalden 1582–2004. Ein Buch mit 13 Beiträgen und 174 Illustrationen zum Wirken der Kapuziner im Kanton Nidwalden. Stans: Historischer Verein NW, 2004.
(3) Vgl. https://culinarium-alpinum.com/ Dazu: Lila Glanzmann: Eine Heimat für die Alpenküche. In: Sonntagszeitung, 01.08.2021, S. 40