Es ist kein Geheimnis, dass die No-Billag-Initiative aus einer libertären Küche kommt. Durch den Vorstoss und die Auseinandersetzung mit ihm ist es zu einer Diskussion über diese hierzulande zwar nicht unbekannte, aber doch ziemlich exotische Strömung gekommen.
Die Libertären sind bekanntermassen in den USA eine einflussreiche Kraft. Sie haben in Politikern wie den Republikanern Ron und Rand Paul prominente Figuren, in der Tea Party ein politisches Vehikel, in den milliardenschweren Koch-Brüdern potente Sponsoren und in einem Netz von Think-Tanks und Hochschulen die Brutstätten für Ideen und Meinungen.
Auf andere Art anders
Rechtsgerichtete Jungparteien hierzulande haben sich dem libertären Gedankengut begeistert geöffnet. Führt man sich die Einfachheit und Sprengkraft dieser Denkweise vor Augen, so ist deren Anziehungskraft nachvollziehbar. Junge Leute, die sich abgrenzen wollen von ihrer Väter und Mütter Politik, finden hier ein Angebot. Mit libertären Positionen kann man radikal anders sein, ohne sich nach links orientieren zu müssen. Im Vergleich zur libertären oder anarcho-kapitalistischen Option ist jede linke Haltung ewiggestrig und von geradezu ehrenrühriger Harmlosigkeit.
Was fasziniert so an diesem Libertarismus? Er haut den gordischen Knoten des immer komplizierter und widersprüchlicher werdenden modernen Staats mit dem Schwert eines radikalen Individualismus kurzerhand durch. Das Individuum soll frei und auf sich selbst gestellt sein. Punkt. Staatliches wird unter Generalverdacht gestellt: Steuern sind staatlicher Raub, Vorschriften kommen der Entmündigung der Bürger gleich und öffentliche Einrichtungen sind als unzulässige Gängelung abzulehnen. Idealerweise braucht es gar keinen Staat; doch unter den nichtidealen Bedingungen der Realität sind Zugeständnisse zu machen. Allerdings gilt: so wenig Staat wie möglich.
Aufklärer oder Sektierer?
Libertäre Theoretiker sehen sich in der Tradition der Aufklärer. Diese mussten ihre geistigen und politischen Freiheiten einem autoritären Staat und einer dogmatisch starren Kirche abringen – immer unter der Drohung, deren Macht am eigenen Leib und Leben zu spüren zu bekommen. Auch die Totalitarismen kommunistischer und faschistischer Ausprägung haben im libertären Gedankengut verständliche Reflexe hervorgerufen.
Ohne präsente Bedrohung des Individuums durch Machthaber und Herrschaftssysteme fehlen dem Libertarismus verständlicherweise der unmittelbare Antrieb und die Plausibilität. Er muss deshalb die offene Gesellschaft und ihre Ordnungen dämonisieren. So kommt es zu den erstaunlich schrillen Zustandsbeschreibungen, die der Libertarismus von den in modernen europäischen Staaten herrschenden Zuständen gibt. Und es ist wohl diese künstliche Aufgeregtheit, die ihm ausserhalb der Zirkel von Eingeweihten das Image einer sektiererischen Gruppe verleiht.
Cleverer Schachzug
Angesichts dieser für libertäres Politisieren ungünstigen Ausgangslage war das in diesen Kreisen ausgeheckte No-Billag-Projekt ein cleverer Schachzug. Oft als „Bieridee“ verunglimpft – weil von den Initianten erklärtermassen beim feierabendlichen Bier ausgeheckt –, war der Vorstoss in Wirklichkeit ein Geniestreich.
Will man mit den notorisch aussichtslosen libertären Ideen in der Schweiz endlich einen Fuss in die Tür bekommen, so braucht man einen Ansatzpunkt, der die Unzufriedenheit und Empörungsbereitschaft weiter Kreise der Bevölkerung nutzt. Die unbeliebte Billag AG, welche die Radio- und Fernsehgebühren einzieht, war genau der gesuchte Schwachpunkt. Die Gebühr war eben erst mit der in einer Referendumsabstimmung hauchdünn genehmigten Revision des Radio- und TV-Gesetzes umgewandelt worden in eine „geräteunabhängige Abgabe“, die alle Haushalte zu entrichten haben. Dadurch ist sie noch angreifbarer. Zwar fallen jetzt die unangemeldeten Kontrollen weg, mit denen die Billag Schwarzhörer und Schwarzseherinnen ermittelte und empfindlich zur Kasse bat. Dafür kommt jetzt die als Ungerechtigkeit angeprangerte Zahlungspflicht auch für Radio- und TV-Abstinente hinzu.
Mit einem Mal ist ein libertärer Vorstoss politisch salonfähig geworden: Parteien und Verbände, die eigentlich vor libertären Zumutungen zurückschrecken würden, haben sich auf die Seite der Initianten gestellt. Und bis vor wenigen Monaten schien es gar, als läge ein Abstimmungssieg drin.
Gleichzeitig radikal und flexibel geht nicht
Das ist inzwischen zumindest unwahrscheinlicher geworden, und wenn die Gegner keine groben Fehler mehr machen und nicht im Engagement auf der Zielgeraden nachlassen, sollten sie es schaffen, „No Billag“ in die Schranken zu weisen.
Die Schwäche der Initianten liegt – je nach Betrachtungsweise – in ihrem mangelnden Mut zur Kompromisslosigkeit oder in ihren untauglichen Versuchen, dem radikalen Vorstoss ein die Mehrheit nicht verschreckendes Mäntelchen zu schneidern. Der radikal libertäre Ansatz drückt sich in aller Klarheit im Initiativtext aus, über den am 4. März abgestimmt wird. Er lässt keinen Interpretationsspielraum an seiner Forderung, jede Gebührenfinanzierung oder staatliche Förderung sowie jeden öffentlich-rechtlichen Leistungsauftrag für Radio und Fernsehen vollständig abzuschaffen. Der Rundfunk soll einzig durch Marktkräfte geformt werden. Jedes Detail des Textes dient diesem klaren Ziel, das völlig auf der Linie der libertären Urheber liegt.
Dass mit dem Gewerbeverband frühzeitig ein Verbündeter in den Ring trat, der keiner libertären Agenda folgt, hat der Initiative zwar Schub gegeben, sie aber zugleich sichtlich aus dem Tritt gebracht und für fundamentale Widersprüche gesorgt. So will der Gewerbeverband angeblich die SRG als privaten Player neu aufstellen und dadurch beweglicher und freier machen – und keineswegs abschaffen. Mit einem „Plan B“ für die SRG versuchte der Verband die Machbarkeit seiner Variante einer Umsetzung von „No Billag“ zu belegen. Der Plan entpuppte sich allerdings schnell als abstimmungstaktisches Machwerk.
Initianten widersprechen der Initiative
Ein Teil der Initianten ist dieser pseudo-pragmatischen Linie gefolgt und zauberte gar einen eigenen „Plan B“ aus dem Hut. Sie schreckten nicht davor zurück, dabei ihrem eigenen Initiativtext diametral zu widersprechen.
Für die libertäre Idee, die hinter der Initiative steht, ist dieser Schwenker fatal. Er mindert nicht nur die Erfolgschancen des Volksbegehrens, sondern spannt dieses auch noch als Zugpferd des libertären Projekts aus. Sollte „No Billag“ wider Erwarten doch noch angenommen werden, so könnten sich die Urheber kaum so richtig darüber freuen. Sie haben die Initiative, die aus ihrer Sicht ein Geniestreich war, nun auch für sie selbst in eine Bieridee verwandelt.