Alljährlich veröffentlicht TRANSPARENCY INTERNATIONAL den «Transparency Corruption Perceptions Index CPI» (Korruptions-Wahrnehmung). 180 Länder werden erfasst. Martin Hilti, Geschäftsführer von TRANSPARENCY INTERNATIONAL SCHWEIZ, sieht für unser Land nach wie vor dringenden Handlungsbedarf - insbesondere beim Lobbying und bei der Transparenz der Politikfinanzierung.
Fortschrittliche Gesellschaft, rückständige Politik
Einerseits zählt unser Land zu den modernen und innovativen Demokratien der untersuchten Länder. Bezüglich Korruption in der Öffentlichkeit steht unser Land gut da, es belegt hinter Neuseeland, Dänemark, Finnland, zusammen mit Singapur und Schweden den vierten Rang. Gegenüber dem Vorjahresbericht tritt die Schweiz 2019 aber an Ort.
Hauptgrund ist nach wie vor die Lobbying-Dunkelkammer des National- und Ständerats. Während sich die Gesellschaft mit den wichtigsten Neuerungen des IT-Zeitalters (z.B. Computer, Handy, Social Media etc) in kürzester Zeit vertraut und wandlungsfähig erwies, kämpft eine konservative Politiker-Gilde erfolgreich gegen jeden Versuch, der verärgerten Bevölkerung Hinweise zu liefern, wer und mit wieviel Fränkli Abstimmungen und Wahlen aus dem Hinterhalt durch Propaganda gesteuert werden.
Warum lässt sich das nicht ändern? Politikerinnen, Politiker, Industrie- und Verbandsvertreter wollen partout nicht, dass Licht ins Dunkel dringt. Da sind die gewählten Politiker, die aus gutem Grund verheimlichen möchten, wer ihnen die respektablen materiellen Aufbesserungen zum staatlichen Funktionsentgelt zusteckt. Dort die diskreten Einflüsterer aus der Wirtschaft, denen es offensichtlich peinlich wäre, wüsste das Volk um ihren grossen Einfluss auf die Schweizer Politik. Bestens verankerte Kommunikationsagenturen (Public Affairs and Relations) sorgen zuverlässig für diskreten Info-Fluss. Stichwort gekaufte Politik. Beide Seiten dieses «Willst du mir, so will ich dir-Szenarios» wehren sich erfolgreich gegen all jene, die zwar Verständnis für das Zusammenwirken Politik/Wirtschaft aufbringen, die jedoch wissen möchten, mit welchen Summen diese «Koordinationsgespräche» abgegolten werden.
Milizparlament?
Gemäss diversen Quellen erhalten die Parlamentsmitglieder für ihre Arbeit in den eidgenössischen Räten jährlich durchschnittlich rund 150'000 Franken. Grob aufgeschlüsselt setzt sich dieser Betrag zusammen aus 40'000 Franken Taggelder, 33'000 Franken Personal- und Sachausgaben, 26'000 Franken Vorbereitung der Geschäfte, Kommissionsentschädigung 15'000 Franken, Mahlzeiten-, Vorsorge- und Übernachtungsentschädigungen je 10'000 Franken. Immer wieder wird herausgestrichen, es handle sich beim National- und Ständerat um Milizparlamente, also – im Gegensatz zum Berufsparlament – um Vergütungen für Teilzeitarbeiten. Doch das ist nur die Vorderseite der Medaille.
Entschädigungen für lukrative Nebenjobs sorgen dafür, dass unsere «unabhängigen» Parlamentarier zusätzlich kräftig einkassieren – sie amtieren als Interessenvertreter für Firmen, Verbände, Organisationen und erhalten dafür z.T. erstaunliche Entgelte. Nicht wenige von ihnen amtieren gleich für mehrere Auftraggeber gleichzeitig. Wie unabhängig sie ihre Meinungen im Zusammenhang mit den Ratsgeschäften bilden, bleibt der persönlichen Beurteilung der Leserschaft überlassen. Das ist dann die Rückseite der Medaille.
Bescheidene Beträge?
Wie oben gezeigt, hat ein Miliz-Parlamentarier Im Prinzip – neben der Ratsarbeit – einen angestammten Beruf, der durchaus lukrativ sein darf, da sind wir uns wohl einig. Erst bei der Verknüpfung Parlamentsarbeit mit Vergütungen für politikbeeinflussende Interessenorganisationen macht das Ganze leicht dubios, grenzfällig.
Was ist gemeint? Sitzt ein Nationalrat zum Beispiel in der Gesundheitskommission und erhält so nebenbei 142'300 Franken als Präsident der Krankenkasse Visana, mögen viele stutzen. Wenn er dann in der SRF Talkshow «Arena» noch klärend nachschiebt, er sei kein Lobbyist – es darf gelacht werden. Die Gesundheitskommission ist eines der wichtigsten Gremien – unser Sorgenkind ewig steigender Gesundheitskosten widerspiegelt die enormen Summen, die auf dem Spiel stehen.
Insgesamt gibt es 12 ständige Nationalrats- und 11 Ständeratskommissionen mit je 25, resp. 13 Mitgliedern. Um nochmals die Gesundheitskommission zu erwähnen: Da sitzt z.B. ein Ständerat, der als Präsident des Krankenkassenverbands Curafutura (wie sinnig, diese Bezeichnung!) jährlich 140'000 Franken kassiert. Übrigens soll ein früherer Präsident (Ignazio Cassis, der Name ist unwichtig) 180'000 Franken dafür bezogen haben.
Lukrative Pfründe
Seit kurzem müssen Mitglieder des Bundesparlaments ihre Interessenbindungen offenlegen, dies in der Meinung, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Gemäss NZZ am Sonntag deklarieren die 246 National- und Ständeräte der laufenden Legislatur 1959 solcher Mandate. Transparency International Schweiz hat berechnet, dass dies im Schnitt acht Mandate pro Nationalrat, resp. zehn für einen Ständerat ergibt. Es erstaunt dann wenig, dass der gleiche NGO in seinem jährlich publizierten Index (siehe weiter oben) für die Schweiz Platz nur 11 innerhalb der EU-Länder errechnet, was Transparenz und Lobbyismus in der Politik betrifft.
Klägliche Machtspiele der Parlamentarier
Kommen wir auf den Anfang dieses Beitrags zurück. Transparency International Schweiz meint, dass Lobbying zwar ein fester und legitimer Bestandteil des demokratischen Prozesses sei, doch müsse er transparent sein. Ein Verharren im Status quo gefährde das Vertrauen in die Integrität der Politik (NZZ).
«Die Parlamentarier fürchten um ihre Macht. Denn das Versteckspiel mutet aus heutiger Sicht absurd an», schrieb die NZZ schon 2019. «Keine Chance für Transparenz im Bundeshaus. Das heutige System ist ungesund und vergrössert die Korruptionsgefahr», lesen wir im selben Beitrag. Wie wahr!
Was in anderen Ländern als Korruption bezeichnet wird, nennt man hierzulande ehrfurchterheischend »Milizparlamentarier beim Sammeln von Informationen»…
Natürlich gäbe es ein einfaches Mittel, diesem helvetischen Lobby-System den Garaus zu machen: Die bezahlten Politiker hätten bei Abstimmungen zu Verbandelungs-relevanten Geschäften in den Ausstand zu treten.
Genau das verlangt der im Februar 2020 eingereichte Vorstoss von Beat Rieder, Ständerat, nämlich ein «Verbot der Annahme von bezahlten Mandaten im Zusammenhang mit der Einsitznahme in parlamentarischen Kommissionen». Zwar ist diese Aktion (in perfektem Bundesbernpolitikerjargon formuliert) ein Schrittchen in die richtige Richtung, doch die Ausnahmen sind schon vorprogrammiert: Bestehende Mandate dürfen beibehalten werden. Da wundern wir uns wenig darüber, dass in Bern neuerdings der Begriff «Parlamentarier-Shopping» die Runde macht…