Unter den 60 Unterzeichnern des Aufrufs „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ (der Wortlaut ist im Journal21 nachzulesen) befinden sich politisch erfahrene Veteranen wie etwa der frühere Bundespräsident Herzog, Ex-Bundeskanzler Schröder, der ehemalige SPD-Chef Hans-Jochen Vogel oder Kohls aussenpolitischer Berater Horst Teltschik. Die Sorge um den Frieden, die sie zum Ausdruck bringen, beschäftigt angesichts des andauernden Ukraine-Konflikts viele Bürger in Europa. Bis zu einem gewissen Grade sind der therapeutisch-zurückhaltende Ton gegenüber Russland und die Mahnung vor „Dämonisierung“ in westlichen Medien (die russischen Medien werden nicht erwähnt) begreiflich.
Allerdings nur bis zu einem gewissen Grade. Die gefährliche Konfrontation sei durch die „für Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens“ und durch die „völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin“ provoziert worden, heisst es in dem Appell. Und weiter: „Es geht nicht um Putin. Staatenlenker kommen und gehen. Es geht um Europa.“ Eine seltsame Logik. Warum soll es beim Bemühen, die Krise um die Ukraine zu verstehen und zu lösen, nicht auch um Putin gehen? Putin bestimmt praktisch uneingeschränkt die russische Politik. Mit Sicherheit hat er den Entscheid zur Annexion der Krim und zur hybriden Einmischung in der Ostukraine gefällt. Soll das heissen, dass jeder andere Staatschef in Moskau so gehandelt hätte? Auch Gorbatschow, auch Jelzin?
Es gibt noch andere Punkte in diesem Aufruf, die zu Kopfschütteln Anlass geben. Da ist zum einen die angeblich bedrohliche Ausdehnung des Westens nach Osten. Wenn die Aufnahme neuer Nato-Mitglieder für Russland 1999 und 2004 so bedrohlich war, weshalb hat der damals regierende Bundeskanzler Schröder diesen Schritten, die er jetzt mitkritisiert, denn zugestimmt? Schliesslich der implizite Vorwurf an Bundeskanzlerin Merkel, sie tue zu wenig, um den Frieden zu wahren und den Dialog mit Russland zu pflegen. Ist nicht sie es, die intensiver und gründlicher als alle andern mit Putin spricht? Zu einem sinnvollen politischen Dialog muss auch Klartext zählen. Therapeutische Einfühlung, wie sie in diesem Aufruf einseitig gegenüber einem Hauptakteur vorherrscht, genügt allein nicht zur Konfliktlösung.