Zum Nachruf auf Klaus Harpprecht, den eminenten Journalisten und ehemaligen Redenschreiber Willy Brandts, hat „Die Zeit“ eine Glosse aus dem Nachlass des Verstorbenen publiziert, in der er sich über den eher hochtrabenden neudeutschen Begriff „Lebensentwurf“ mokiert. Wer wohl diese Vokabel erfunden habe, fragt Harpprecht. „Ein windiger Philosoph, ein schillernder Psychologe, ein sogenannter Lebensberater?“ Der Begriff nehme sich zwar gebildet aus, offenbare sich aber beim zweiten Hinsehen als barer Unsinn. Wann sollten wir denn je unser Leben entworfen haben? Das Wort gehöre „ins Lexikon der Angebersprache (das leider dicker und dicker wird)“.
Historisch!
Ein ähnlich missbilligendes Urteil verdient in vielen Fällen das besonders von Journalisten strapazierte Adjektiv „historisch“. Unmittelbar vor der ersten TV-Debatte zwischen Hillary Clinton und Donald Trump posaunte der bekannte CNN-Moderator Wulf Blitzer ins Mikrophon: „We’re living history!“ – wir erleben Geschichte! Alles was im Moment gerade spannend ist oder als bedeutungsvoll erscheint, wird flugs zum „historischen“ Ereignis aufgebläht.
Dabei lässt sich in aller Regel erst im Rückblick einigermassen zuverlässig beurteilen, ob dieser oder jener Händedruck, dieser oder jener Umsturz oder dieses oder jenes Abstimmungsergebnis wirklich das bedeutungsschwere Prädikat „historisch“ verdient. Der Medien-Kosmos ist voller atemloser Berichte über „geschichtliche“ Ereignisse, an die sich einige Monate oder Jahre später ausser den unmittelbar Beteiligten so gut wie niemand mehr erinnert.
Freiheit statt Sozialismus?
Auch der teils feierlich gemeinte oder faute de mieux verwendete Begriff der „Staatengemeinschaft“ ist in den meisten Fällen eine leere Worthülse. Wenn es in den Medien heisst, „die Staatengemeinschaft“ sei gefordert, für ein Ende des blutigen Irrsinns in Syrien zu sorgen, so handelt es sich bei dem angesprochenen Kollektiv nur um eine traurige Fiktion. In der Uno sind zwar praktische alle Staaten der Welt vertreten, aber von einer Gemeinschaft kann bei so brennenden Problemen wie dem syrischen Inferno oder dem seit zweieinhalb Jahren schwelenden Krieg in der Ostukraine nicht die Rede sein. Statt das verblasene Wort von der „Staatengemeinschaft“ zu bemühen, ist es deshalb überzeugender, die an diesen Konflikten direkt beteiligten oder im weiteren Sinne daran involvierten Länder und ihre Regierungen beim Namen zu nennen.
Oft missbraucht werden in der journalistischen und politischen Rhetorik so hehre Begriffe wie Freiheit, das Volk, oder ideologisch aufgeladene Termini wie Kapitalismus und Sozialismus. In den siebziger und achtziger Jahren des vorhergehenden Jahrhunderts marschierten die bürgerlichen westdeutschen Schwesterparteien CDU/CSU mit dem Slogan „Freiheit statt Sozialismus“ in den Bundestagswahlkampf. Das forcierte scharfe ideologische Polemik, diente aber nicht einer halbwegs differenzierten Debattenkultur. Denn das manichäische Schlagwort unterstellte den demokratisch legitimierten Sozialdemokraten pauschal, dass ihre Politik stracks in den Sozialismus führen werde – und das konnte nach damaligem Verständnis nur ein undemokratischer Sozialismus à la DDR oder Sowjetunion sein. Ebenso krude verkürzt suggerierte dieser Schlachtruf, dass Freiheit und sozialstaatliche Ideen grundsätzlich unvereinbare Werte seien.
Simplistisch verzerren auch jene Ideologen die Wirklichkeit, die den Begriff Kapitalismus kategorisch als unvereinbar mit sozialstaatlichen Mechanismen definieren. Deshalb hantiert man im Lager der linken Propaganda viel lieber mit dem Kampfbegriff Kapitalismus als mit der politisch neutraleren, aber wirklichkeitsnäheren Bezeichnung Marktwirtschaft.
„Lügenpresse“ – so wird die Welt verständlich
Auch der vor allem im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt und der Flüchtlingskrise neu in Umlauf gebrachte Schimpf-Begriff Lügenpresse appelliert an radikal vereinfachte Verschwörungsphantasien. Alles was von den Medien verbreitet wird und der eigenen Weltsicht nicht entspricht, wird patenterweise zum finsteren Lügengespinst deklariert. Dieses wiederum wird gemäss diesem Denkmuster von einer weltweit agierenden Propagandazentrale im Hintergrund (mit Hauptsitz in den USA) und ihren nationalen Befehlsempfängern im Vordergrund gesteuert und manipuliert.
Was nicht heissen soll, dass in den Medien von einigermassen pluralistisch funktionierenden Gesellschaften nicht unzählige Beispiele von Falschmeldungen, Widersprüchen, Halbwahrheiten und schlichtem Unsinn zu finden wären. Doch all diese Unzulänglichkeiten auf ein systematisch betriebenes Lügensystem zu reduzieren, das nur eine Minderheit von cleveren Querdenkern zu durchschauen vermag, hat so gut wie gar nichts mit den heutigen Realitäten in offenen Gesellschaften und ihren Myriaden von Informationsmöglichkeiten zu tun.
Natürlich sollen und können grosse Worte und pauschalisierende Kampfbegriffe nicht aus dem Wortschatz verbannt werden. Aber wer sie gebraucht oder als Medienkonsument auf sie stösst, tut gut daran, im Geiste immer ein paar Fragezeichen dazu setzen.