Ganze drei Ausgaben lang konnte die «SonntagsZeitung» sich darin sonnen, auch an der «Auswertung» des tiefsten Einblicks in die verborgene Welt von Steuerhinterziehung, Trusts, Offshore-Paradiesen und überhaupt von asozialen Superreichen beteiligt zu sein. Dunkel wurde von Abgründen geraunt. Endlich erfährt die Welt, wie und wo angeblich bis zu 20 Billionen Dollar, die vor den Steuerbehörden versteckt werden, aufbewahrt sind.
Geplatzte Blase
Eigentlich folgt dieses journalistische Modell zur Erregung von Aufmerksamkeit, Absatz und Verkaufe dem Prinzip einer klassischen Finanzblase. Etwas wird zum Hype aufgepumpt, für wenige Tage beherrschte «Offshore Leaks» die Schlagzeilen weltweit. Die verborgene Welt von Offshore-Paradiesen ist enttarnt. Alle diese kleinen Inseln im pazifischen und atlantischen Ozean und natürlich in der Karibik. Wo es mehr Trusts und Ltds. und Holdings gibt als Palmblätter. Da wird jetzt aufgeräumt, durchgegriffen, enthüllt. Weltweit, auch in der Schweiz. Ach ja?
Und es kommt nichts
Ein verstorbener Playboy und Multimillionär, eine reiche Witwe mit Multimillionen schwerer Kunstsammlung wurden in der Schweiz als Benutzer von Trusts enttarnt. Ein paar Kantonalbanken und die inzwischen von der Credit Suisse einverleibte Clariden Leu wurden als Beteiligte an Trustschnitzereien geoutet. Ohne dass bislang in einem einzigen Fall auch nur der Hauch eines Indizes präsentiert wurde, von Beweisen ganz zu schweigen, dass es dabei zu illegalen Handlungen gekommen wäre. Und vergangenen Sonntag suchte man in der SoZ vergeblich nach weiteren, erschütternden Enthüllungen.
Das war wohl nix. Nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit. Die letzte «Enthüllung» auf der Homepage des International Consortium of Investigative Journalists, das den Datenklau zugespielt bekam, ist vom 15. April, gefolgt von einer Klecker-Meldung über die finnische Post am 23. April. Aber immerhin, der Sprecher des mongolischen Parlaments ist zurückgetreten, und wir wissen nun, dass «Crocodile Dundee»-Schauspieler Paul Hogan im Film geschickter im Umgang mit Krokodilen als im wahren Leben mit seinen Vermögensverwaltern ist.
Aufmerksamkeit ist flüchtig
Zwei irre Terroristen in Boston und Uli Hoeness, der Boss des FC Bayern, mehr braucht es nicht, damit die grösste Enthüllung aller Zeiten abgebucht werden kann unter: Da war doch mal was.
Zusammen mit den kläglichen Ergebnissen von «Offshore Leaks» verschwinden auch einige interessante Fragen im Orkus der flüchtigen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Wer war der Dieb? Warum taucht das grösste Offshore-Paradies der Welt, die USA, nicht auf? Wieso wurde noch keine einzige Verbrecherorganisation als Besitzer einer Trust-Struktur enttarnt? Wieso wurde bislang noch kein einziges Dokument den Strafverfolgungsbehörden übergeben? Ach, Schwamm drüber.
Nochmals: cui bono?
Auffällig ist allerdings, dass die Politik «Offshore Leaks» als willkommenen Anlass nimmt, verstärkt nach der Einführung des Automatischen Informationsaustauschs und nach dem gläsernen Bürger zu rufen. So beim G20-Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs in Washington. Und natürlich setzt auch der Präsident des Europäischen Rats, Herman van Rompuy, das Traktandum «Steuerflucht» auf die Agenda des nächsten Ratstreffens im Mai. Wohlgemerkt sprechen wir hier immer von individuellen Steuerzahlern. Niemals von Firmen. Obwohl die sich durch geschickte (und völlig legale) Wahl des Orts, wo Gewinne möglichst steuergünstig anfallen, problemlos um Milliardenzahlungen drücken können. Das Volumen an so entgangenem Steuersubstrat ist logischerweise viel höher als die Versuche von einzelnen reichen Individuen, möglichst wenig Steuern zu zahlen.
Reiner Populismus
Nicht zuletzt durch «Offshore Leaks» hat das Wort Trust ungefähr die gleiche Konnotation wie Kinderpornoring bekommen. Wer zugibt – oder zugeben muss –, dass er tatsächlich im Rahmen seiner Vermögensverwaltung über einen Trust verfügt, wie das in der englischen Welt unzählige kleine Hausbesitzer völlig legal und normal unterhalten, kann zuschauen, wie seine gesellschaftliche Reputation ins Minus absackt. Wenn auf ihn auch das Wort «vermögend» zutrifft.
Durch den Umweg über die Medien wird noch ganz nebenbei das wohl fundamentalste Prinzip unserer Rechtsordnung ausgehebelt: Die Unschuldsvermutung. Wer in einem ordentlichen Prozess angeklagt wird, unterliegt zwar einem Anfangsverdacht, ist aber solange unschuldig, bis ihm das Gegenteil letztinstanzlich bewiesen wurde. An einen solchen Anfangsverdacht werden zudem höhere Ansprüche gestellt als: Wir haben da ein paar geklaute Finanzdaten über dich. Wer vor das öffentliche Tribunal der Medien gezerrt wird, ist alleine schon dadurch schuldig.
Beweise deine Unschuld
Es steht dem von der Medieninquisition Angeschuldigten höchstens frei, seine Unschuld zu beweisen. Also zu belegen, dass da nichts ist, wo aber vielleicht etwas sein könnte. Aber dieser Unschuldsbeweis wird eigentlich unmöglich, denn das Wort Trustbesitzer sagt doch schon alles. Ist jemand wirklich unschuldig, hat er keinen Trust. Hat er einen, ist er schuldig, auch wenn man ihm vielleicht nichts Strafbares nachweisen kann.
Vielleicht sollte man, wenn schon die Umkehrung des Schuldbeweises wie im Mittelalter immer mehr um sich greift, auch wieder auf die gute alte Methode des Geständnisses unter Zwang zurückgreifen. Wäre doch gelacht, wenn man mit Anwendung von Folter nicht zu jeder Menge Geständnissen von angeblich Unschuldigen käme.