Dieser Text samt Titel hat eine kurze Vorgeschichte: Im September 2016 hat der Verein Medienqualität Schweiz – dem der Schreibende als einfaches Mitglied angehört – eine aufwändig gestaltete Studie MQR-16 veröffentlicht, der ein demokratietheoretisches Qualitätsverständnis zugrunde lag: Es stellt den gesellschaftlichen Nutzen des Journalismus in den Vordergrund. Bewertet wurden 2016 vier Mediengruppen mit je einer vergleichbaren publizistischen Ausrichtung: 1. Tages- und Onlinezeitungen; 2. Sonntagszeitungen und Magazine; 3. Boulevard- und Pendlerzeitungen; 4. Radio- und Fernsehsendungen. Die Qualitätsleader jeder Gruppe erhielten je ein „goldenes Q“: Neue Zürcher Zeitung (1), NZZ am Sonntag (2), 20 Minuten (3); SRF „Echo der Zeit“ (4).
Die Bewerter wurden aus Fachgremien breit rekrutiert und prüften Relevanz, Vielfalt der Themen und Blickwinkel, Professionalität, Einordnungsqualität. Alle diese Kriterien wurden ansatzweise definiert und auf 43 Titel angewandt. Ebenfalls untersuchte das Gremium die Qualitätswahrnehmung durch die Leser in einer repräsentativen Umfrage. Ein dritter Teil hätte die Redaktionen befragt, welche Qualitätssicherungen sie eingerichtet haben. Dieser Teil musste offenbleiben, weil sich mehrere Medienhäuser und auch der Verband Schweizer Medien am Projekt dieser Fremdbewertung nicht beteiligen mochten. Rainer Stadler, anerkannter Medienredaktor der NZZ, glossierte das unter der sarkastischen Überschrift „Was nicht passt, wird totgeschwiegen“.
Der veranstaltende Verein MQR-16, der von grossen Firmen der Zivilgesellschaft finanziell unterstützt wird, räumte ein, dass man über Zahl und Gewicht der Kriterien streiten könne. Er suchte das Gespräch mit den Kritikern, das anlief, aber nicht zu einem Ergebnis führte. Der Verlegerverband gab das Thema schliesslich an Einzelverlage hinunter.
Das kann weiterführen, wie etwa die amerikanische Qualitätsdebatte zeigt: da dort nationale Presseräte als medienethische Regulierer nahezu unbekannt sind, haben grosse Zeitungstitel eigene Qualitätsreglemente ausgearbeitet, deren Anwendung von Ombudsleuten überwacht und journalistisch begleitet wird.
Hauseigenes Qualitätsmodell
Am Wochenende lag nun die druckfrische Frucht solchen Bemühens aus dem Hause Tamedia in den Briefkästen. Verlegerverbandspräsident Pietro Supino, VR-Präsident auch der Tamedia, hatte zusammen mit seinem frischpensionierten Chefredaktor Res Strehle ein „Handbuch“ verfasst, das in vier Kapiteln das hauseigene Qualitätsmodell umschreibt. Es will inhaltlich und formal begründen, warum etwas für „gut, mässig oder schlecht befunden wird“.
Als einer, der sich schon am „Tages-Anzeiger", beim Schweizer Fernsehen und beim Schweizer Presserat mit solchen Leitlinien abgemüht hat, halte ich das Handbuch für sehr gelungen. Auf rund 40 Blatt im handlichen Postkartenformat spricht es, soweit ich sehe, alle wichtigen Qualitätsfragen an, auch die postmodern-internet bezogenen. Es definiert sie sauber und schreckt auch vor Prioritätensetzung – etwa zwischen Schnelligkeit und Einordnung – nicht zurück. Erfreulich: Auch bei der Sprachqualität, im Internet-Staccato oft misshandelt, werden Nägel eingeschlagen.
Etwas allzu apodiktisch fällt mir das hehre Wort „Wahrheit“ aus; messbar ist doch eigentlich nur „Wahrhaftigkeit“, die Technik des Bemühens um die Wahrheit. Im Nachwort des Verlegers fallen gewichtige Bekenntnisse zur Umsetzung der Qualitätsanforderungen. Der Human factor und der Zeitaufwand, der für Blattkritik einzusetzen ist, kollidiert mit der Tamedia-Ankündigung in derselben Woche, dass den bereits stark ausgedünnten Redaktionen eine neue massive Personalsparrunde bevorsteht. „The Proof of the Pudding is in the Eating“ …