Die Medien sehen sich gern als vierte Gewalt im Staate, als Wachhunde der Demokratie, die bellen, wenn sie Faules riechen. Die Selbsteinschätzung trifft auch auf eine Spezies von Medienvertretern zu, die jüngst an Popularität und Prominenz gewonnen hat: die Faktenchecker.
Es sei denn, ein Medium verstehe sich selbst als so erhaben, dass rigoroses Faktenchecken unter seiner Würde liegt. Wie das beim Ressort «Gesellschaft» des «Spiegels» der Fall war, dessen Reporter Claas Relotius unentdeckt mehrere Geschichten gefälscht hat. Für welche ihn die Branche mit renommierten Preisen bedachte.
Einer der prominentesten Faktenchecker Amerikas ist Glenn Kessler von der «Washington Post», den die Zeitung zusammen mit seinem Team in der Kategorie «Reportagen national» 2018 erfolglos für einen Pulitzer Preis vorgeschlagen hat. Kessler ist vor allem dafür bekannt, öffentliche Äusserungen Donald Trumps auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Bis dato hat er dem US-Präsidenten über 12’000 «falsche oder irreführende Behauptungen» seit Amtsantritt nachgewiesen.
Das nicht eben zur Freude Donald Trumps, der jüngst seine Pauschalangriffe auf die Medien intensiviert hat. Via Twitter wirft er ihnen vor, «total VERRÜCKT» geworden zu sein: «Sie schreiben, was sie wollen, stützen sich selten auf Quellen ab (obwohl sie sagen, sie würden es tun), ‘checken’ keine ‘Fakten’ mehr und sind nur noch auf Mord und Totschlag aus. Sie nehmen gute Nachrichten und verwandeln sie in schlechte News. Sie sind heute jenseits von Fake, sie sind Korrupt …»
Zu Recht kann einer fragen, wer die Medien überwachen, die Kontrolleure kontrollieren soll. Grosse amerikanische Zeitungen wie die «New York Times» oder die «Washington Post» sind zum Schluss gelangt, dass sie keine interne Selbstregulierung etwa in Form von Ombudsstellen mehr brauchen. Sie wollen vermehrt auf das Lesepublikum hören, das seine Kritik in Online-Kommentarspalten oder via soziale Medien gratis äussert.
Diese Art von Kritik hat zumindest im Fall von Glenn Kessler funktioniert. Der Faktenchecker der «Post» kam unter Beschuss, nachdem er wiederholt Äusserungen des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders kritisch überprüft und teils für falsch befunden hatte. So zum Beispiel eine Bemerkung des Senators während einer Fernsehdebatte der Demokraten, wonach drei Milliardäre – Bill Gates, Warren Buffet und Jeff Bezos – zusammen reicher seien als die untere Hälfte der amerikanischen Bevölkerung.
Zwar räumten Kessler und sein Team in der Folge ein, Sanders flapsiges Argument basiere «auf Zahlen, die stimmen». Doch sie argumentierten, der Politiker vergleiche «Äpfel mit Orangen», da Leute auf den unteren Stufen der Einkommensskala gar keinen Reichtum besitzen würden, «weil ihre Schulden ausgleichen, was immer sie besitzen». Als Kronzeugen führten die Faktenchecker einen französischen Wirtschaftswissenschaftler an. Dagegen kam das Recherche- und Überprüfungsprojekt «PolitFact» in Tampa (Florida) zum Schluss, Bernie Sanders’ Aussage stimme.
Kritiker werfen Glenn Kessler vor, er versuche, Faktenckecks als ideologische Waffe einzusetzen. Dem linksliberalen Magazin «The Nation» zufolge wird Sanders nicht angegriffen, weil er Falsches behauptet, sondern weil er auf Tatsachen hinweist, die Leute nicht goutieren, die mit dem wirtschaftlichen Status quo zufrieden sind – ein Vorwurf, den die «Washington Post», im Besitz des angeblich reichsten Mannes der Welt, entschieden zurückweist. Skeptiker indes monieren, Kesslers Wirtschaftsfreundlichkeit und die Skepsis gegenüber dem «Sozialisten» Bernie Sanders rühre unter Umständen daher, dass sein Urgrossvater zu den Pionieren des Energiekonzerns Royal Dutch Shell gehörte, dessen Aktionär der Faktenchecker nach wie vor ist.
Die «Washington Post» weist ferner die Unterstellung zurück, das Blatt mache sich falscher Gleichsetzung schuldig, d. h. es messe Trumps gefährliche Lügen mit derselben Elle wie harmlosere Unrichtigkeiten von politischen Gegnern wie Bernie Sanders oder Joe Biden. Wie 2016, argumentiert Jonathan Rauch von der Denkfabrik Brookings Institution, würden die Medien in ihrem Bestreben, ausgeglichen zu berichten, auch heute mithelfen, Donald Trumps Verhalten im Vergleich zu dem seiner Konkurrenten zu normalisieren. «Wir müssen uns im Klaren sein und direkt aussprechen, dass es keine Äquivalenz gibt zwischen der Häufigkeit, mit der sich der Präsident unehrlich äussert und jener, mit der irgendein demokratischer Präsidentschaftskandidat das tut», sagt Daniel Dale, der respektierte Faktenchecker von CNN.
Bedenklich bleibt, dass sich die «Washington Post» bisher geweigert hat, eindeutig belegte Fehler ihrer Faktenchecker einzugestehen. Obwohl in einzelnen Fällen sogar eigene Reporter den Einschätzungen der Kollegen widersprachen. Faktenchecks müssen frei von ideologischen Überlegungen und über alle Zweifel erhaben sein. Sind sie das nicht, erodieren sie zusätzlich das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Medien. Und um diese ist es im Zeitalter von Fake News und alternativen Fakten eh nicht so gut bestellt.
Auf jeden Fall gilt es, Donald Trumps Behauptung akribisch zu widerlegen, er sei am Gewinnen: «Unsere richtigen Gegner sind nicht die Demokraten oder die schwindende Zahl von Republikanern, die vom Weg abgekommen und zurückgelassen worden sind. Unsere Hauptgegner sind die Fake News Medien. Nie in der Geschichte unseres Landes sind sie so schlecht gewesen!»
Auf der Liste der schlechtesten US-Präsidenten taucht Donald Trump nicht auf, da seine Amtszeit noch läuft. Doch gemäss dem History News Network der George Washington University gibt es kaum Zweifel, welchen Platz er belegen würde: «Wie inkompetent oder gar böswillig einige frühere amerikanischen Präsidenten gewesen sind, dieser Amtsinhaber ist einzigartig. Trumps Präsidentschaft ist ein einmaliger Ausreisser, sie beschmutzt ohne Präzedenzfall Normen und Ideale.» An Faktencheckern liegt es künftig, diese Einschätzung zu bestätigen – oder zu widerlegen.