Der Grundsatz, dass Leistung am besten durch Wettbewerbe stimuliert wird, hat den grossen Vorteil, einfach und eingängig zu sein. Und wo gedeiht der Wettbewerb besser als auf dem Markt? Der Mechanismus von Angebot und Nachfrage generiert die Preise, die jederzeit präzise Auskunft darüber geben, wie viel eine Dienstleistung oder ein Produkt wert ist.
Schade nur, dass diese Art des Marktes eine Fiktion ist. Den idealen Marktbedingungen steht eine Realität entgegen, in der die Marktteilnehmer zum Beispiel über zu wenig Informationen verfügen, um die Qualität und die Preise von Produkten und Dienstleistungen zu vergleichen. Und der Wettbewerb besteht nicht darin, möglichst bessere und preisgünstigere Produkte herzustellen als die Konkurrenz. Vielmehr geht es darum, die Konkurrenz gleich ganz aus den Weg zu räumen. Wenn das einmal geschafft ist, kann man Produkte herstellen, die eigentlich keiner braucht, aber jeder kauft, weil es keine anderen mehr gibt.
Kundenzufriedenheit und Reputation
Mathias Binswanger, der an der Universität St. Gallen habilitiert worden ist und an der Fachhochschule Solothurn Volkswirtschaft lehrt, nimmt in seinem Buch, „Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren“, jenen Hammer in die Hand, mit dem Friedrich Nietzsche die idealistische Philosophie zertrümmert hat. Mit Lust und Witz beschreibt er im Detail, dass der Markt nur ausnahmsweise funktioniert. Zudem bringt das Prinzip des Wettbewerbs in marktfernen Bereichen wie etwa der Bildung die verrücktesten und leider auch schädlichsten Blüten hervor.
So zeigt Binswanger am Beispiel der Reklamationen, wie das Bestreben, die Leistung der Mitarbeiter irgendwie zu messen, grundsätzlich kontraproduktiv ist. Reklamationen spielen in der Privatwirtschaft ebenso eine Rolle wie in der staatlichen Verwaltung. Wozu überhaupt messen? Der Nutzen einer optimalen Bearbeitung von Reklamationen zeigt sich in der Kundenzufriedenheit. Und die ist für die Reputation wichtig. Man kann also Kunden von Unternehmen, Behörden oder Krankenhäusern – es gibt ja heute nur noch Kunden - befragen. Was aber geschieht mit denjenigen, deren Reklamationen gar nicht erst zur Kenntnis genommen werden? Die kann man nicht befragen, und deren Unzufriedenheit fällt unter den Tisch. Das ist wirklich praktisch.
Diejenigen, die sich mit der quantitativen Auswertung der Bearbeitung von Reklamationen beschäftigen, haben sich entsprechend raffiniertere Messmethoden ausgedacht. So kann man zum Beispiel zählen, wie viele Reklamationen von einem Sachbearbeiter zur Zufriedenheit der Kunden aufgearbeitet werden. Der Effekt ist dann allerdings, dass die Sachbearbeiter jene Fälle bevorzugen, die sich einfach und schnell lösen lassen. Das Gleiche gilt für das Bestreben, insgesamt die Zeit zwischen Eingang und Bearbeitung einer Reklamation so kurz wie möglich zu halten. Sachbearbeiter werden sich dann auf neue Fälle stürzen und ältere Fälle der Resignation anvertrauen.
Die Bildung messen
Breiten Raum nimmt bei Binswanger das Thema der „Evaluierung“ im Bildungssektor ein. Wie lässt sich zum Beispiel die „Exzellenz“ von Professoren oder ganzer Universitäten messen? Das geht relativ einfach, indem man zählt. So ist ein Professor, der viel publiziert, allemal besser als einer, der einen geringeren „Output“ hat. Jedenfalls glauben das diejenigen, die sich die „Rankings“ ausgedacht haben. Aber die wissen auch, dass die reine Anzahl von Publikationen nicht unbedingt alles über die Qualität des Inhalts aussagt. Wie kann man die also „messen“? Nichts einfacher als das: Man zählt, wie oft jemand zitiert wird. Und wie verhindert man, dass einzelne Professoren gegenseitig ihre Arbeiten in erstrangigen Zeitschriften und Jahrbüchern publizieren? Das geschieht in „Peer Reviews“ im „Doppelblindverfahren“. Angeblich weiss niemand, wer was eingereicht hat und wer die Elaborate beurteilt. Als gäbe es keine „Scientific Community“, keine Kongresse und kein Telefon.
Wunderbar schildert Binswanger, wie aus dem staatlichen Bestreben, wissenschaftliche Freiheit zu eliminieren und Bildung zu messbaren Grössen zu machen, eine ausufernde Bürokratie, sinnlose Beschäftigungen und aberwitzige statistische Verfahren hervorgegangen sind und sich immer weiter ausbreiten. Wozu die statistischen Verfahren? Die werden dringend benötigt, um zum Beispiel zu bewerten, wie oft eine Arbeit in den nachfolgenden Aufsätzen, den diesen nachfolgenden Arbeiten und den sich dann anschliessenden weiteren Aufsätzen und Büchern an welcher Stelle zitiert werden. Binswangers Feststellung, dass heute im akademischen Milieu fast nur noch heisse Luft produziert wird, klingt gemessen daran fast verharmlosend.
Campbell´s Law
Die Ideologie der „Incentives“ ist eine weiteres Ziel für Binswangers Hammer. Wenn es um messbare Belohnungen und Bewertungen geht, wird niemand mehr bereit sein, Risiken in Kauf zu nehmen, Umwege zu gehen oder Neues zu erkunden. Studenten, so schreibt er, würden sich bei freier Wahl in einer Unterrichtsstunden meistens für schwierige Aufgaben entscheiden. Wenn allerdings Belohnungen ausgesetzt werden, entscheiden sie sich für die leichteren. „Belohnungen sind Feinde der Neugier“, zitiert er zustimmend John Condry von der Cornell University. Plastisch macht er zudem die Naivität, die hinter dem Gedanken der Leistungssteigerung durch Incentives steht, deutlich: „Nur weil man einen Hund durch die Belohnung mit einem Stück Wurst dazu bringen kann, durch einen Ring zu springen, kann man ihn durch die Belohnung mit zwei Stück Wurst nicht dazu verleiten, einfache Kopfrechenaufgaben zu lösen.“
Qualität durch Quantität messen zu wollen, geht nicht nur an den Eigenarten spezifischer Leistungen vorbei, wie Binswanger an Sportarten wie dem Eiskunstlauf oder dem Kunstturnen im Vergleich mit Rennsportarten darlegt. Solche Messverfahren führen grundsätzlich zu Verfälschungen, wie „Campbell´s Law“, das auf den Sozialpsychologen D. Campbell zurück geht, zeigt: „Je stärker ein einzelner quantitativer sozialer Faktor dazu benutzt wird, soziale Entscheidungen zu begründen, desto stärker ist er verzerrenden Einflüssen ausgesetzt und desto mehr führt er selbst dazu, die sozialen Prozesse zu verzerren und zu verfälschen, die eigentlich untersucht und verbessert werden sollen.“
Binswanger hat ein scharfsichtiges und unterhaltsames Buch geschrieben. Man kann dem Autor nur wünschen, dass sich das Buch auf dem Markt behauptet.
Mathias Binswanger, Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2010