Premerminister Narendra Modi hat einen massiven Wahlsieg errungen. Laut letzten Hochrechnungen wird er im neuen Parlament auf 349 Parlamentarier zählen können, bei einem vollen Haus von 543. Damit wiederholt er seinen ersten erfolgreichen Auftritt als Führer der nationalreligiösen BJP im Jahr 2014. Die zwei Oppositionsblöcke kamen auf insgesamt weniger als 200 Sitze, die Kongresspartei auf 50 Sitze.
Kein Rezept gegen die Planierraupe
In gewisser Weise ist dieser Sieg noch eindrücklicher. 2014 konnte er sich als Hoffnungsträger und Visionär profilieren, dem die Leistungsprüfung noch bevorstand. Fünf Jahre später hat er diese in den Augen der Wähler offenbar bestanden. Denn bei dieser erdrückenden Mehrheit lässt sich kaum mehr allein von einem TINA-Faktor sprechen.
Die Opposition war offensichtlich keine Alternative für die Wähler. Sie hat alles versucht, um sich diesmal nicht von dieser Planierraupe der Marke NaMo erdrücken zu lassen. Sie hat alle möglichen Rezepte probiert – Wahlabsprachen, Koalitionen, Einzelgänge. Sie hat seine Giftpfeile mit «Gegengift»-Pfeilen zu parieren versucht. Oder sie hat – wie Kongresspräsident Rahul Gandhi – seine Gemeinheiten mit gefalteten Händen entgegengenommen, um ihnen mit gandhischen Methoden den Stachel zu nehmen.
Eine Persönlichkeitswahl
Es hat nichts gefruchtet. Der ganze nordindische Hindi-Gürtel, der noch vor Monaten die Kongress-Opposition in mehreren Provinzen an die Macht gebracht hatte, hat diesmal für Modi gewählt – ein weiteres Indiz, dass es eine Persönlichkeitswahl war.
Formal muss dennoch von einem Sieg der Regierungskoalition, der National Democratic Alliance, gesprochen werden, und hier von ihrem weitaus stärksten Mitglied, der Indischen Volkspartei BJP. Aber die ganze Kampagne war auf die Person Modis ausgerichtet, und er hat in über hundert Auftritten, in Millionen von Videos, Plakaten und dröhnenden NaMo-Slogans Gegner und Satrapen vom Tisch gefegt.
Der Verteidiger von «»Mutter Indien»
Modi ist ein demagogisches Naturtalent. Nur einem solchen kann es gelingen, eine negative ökonomische Gesamtbilanz als Trumpfkarte auszuspielen. Die tiefe Agrarkrise, eine steigende Unterbeschäftigung, eine stagnierende Industrie – sie sind für eine Mehrheit der Wähler eine einschneidende Realität. Doch gerade deshalb wählten sie Modi – den einzigen starken Mann, dem sie es zutrauen, der Krise beizukommen.
Für die städtische Mittelklasse nutzte der Premierminister eine andere Form der Angst als Wahlkampfthema: Sicherheit vor dem Terrorismus. Der Fedayin-Angriff im Februar in Süd-Kaschmir kam gerade gelegen, um ihn in die Rolle des Verteidigers von «Mutter Indien» schlüpfen zu lassen.
In Indien trägt der Terror das Gesicht eines Pakistaners, eines Muslims zudem. So war es für den Wahlkämpfer Modi ein Leichtes, das Thema der Sicherheit als national-religiöses zu drapieren.
Statt wie früher historische Ängste muslimischer Herrschaft zu wecken, tat er es nun über den Umweg des Nationalismus: Nur ein Hindu ist ein wahrer Nationalist, war die unterschwellige Botschaft. Es war ein Feindbild mit genügend Angriffsflächen, um sowohl liberale Kritiker wie Hindutva-Gegner in den Geruch des Landesverrats zu bringen.
Effiziente BJP-Organisation
Dennoch wäre es falsch, Modi allein den Wahltriumph gutzuschreiben. Amit Shah, Parteipräsident und seit langem Modis «Mann fürs Grobe», hat eine Partei-Organisation aufgebaut, die bereits nach dem Wahlsieg von 2014 ans Werk ging. Während die Kongresspartei nur noch ein Rumpf ist, pflegten Freiwillige der BJP-Ortszellen schon früh den engen Kontakt mit Wählern.
Ein Indiz für den Erfolg der BJP ist nicht nur die Erhöhung der Zahl ihrer Abgeordneten von 282 auf 300 (das absolute Mehr liegt bei 272). In dieser Wahl, die übrigens einen Wahlbeteiligungsrekord von 65 Prozent verzeichnete, konnte die BJP ihren Wähleranteil drastisch um über zehn Prozent erhöhen – weit mehr als die Mandatsgewinne.
Kerala als BJP-Gegenbastion
Mit ihrer komfortablen absoluten Mehrheit ist die BJP noch weniger auf ihre Koalitionspartner angewiesen als in der vergangenen Legislaturperiode. Es sind mehrheitlich Parteien aus Regionen, in denen die BJP nicht stark vertreten ist, wie im Panjab und in Tamil Nadu. Ihr Ziel ist es, auf dem Rücken einer Lokalpartei Fuss zu fassen und dann abzuspringen und die Rolle der führenden Nationalpartei zu übernehmen – wie früher der Kongress.
Nach der jüngsten Wahl ist dies in Tamil Nadu und Panjab wohl nur noch ein Frage der Zeit. Denn ausgerechnet in diesen beiden Bundesstaaten hat die BJP nicht punkten können – wegen des schlechten Rufs ihres Lokalpartners. Als einzige wirkliche Anti-BJP-Bastion verbleibt eigentlich nur Kerala, wo die Partei auf ihrem einen Mandat sitzenbleibt und der Kongress als Gewinner hervorgeht. Die BJP konnte also nicht von der Schwäche der Kommunisten profitieren; deren Stimmen wanderten zum Kongress.
In einer weiteren ehemaligen Hochburg der indischen KP, in Westbengalen, dürfte die BJP dagegen deren Erbe antreten. Sie hat gemäss den vorläufigen Resultaten fast die Hälfte der Sitze in dieser bevölkerungsstarken Region gewonnen, eine Verzehnfachung ihres Mandatsanteils auf rund zwanzig Sitze.
Debakel für Rahul Gandhi
Die Kongresspartei ist die grosse Verliererin der Wahl. Sie könnte zwar behaupten, ihre Sitzgewinne um zehn Prozent erhöht zu haben. Doch die Seriengewinnerin von früher verfügte im letzten Parlament über wenig mehr als vierundvierzig Sitze – sogar zu wenige, um sich als offizielle Sprecherin der Opposition zu qualifizieren.
Besonders schmerzvoll war die Niederlage von Parteipräsident Rahul Gandhi in Amethi. Zwar kann er sich mit einem zweiten Sitzgewinn in Kerala gütlich tun. Aber der Verlust des alten «Stammsitzes» der Nehru-Gandhi-Familie ist schmerzhaft, und er trägt auch Symbolcharakter.
Journalisten, die sich alle fünf Jahre in diese abgelegene Kleinstadt in der weiten Gangesebene verirren, sind immer wieder erstaunt über den Dreck und die Armut Amethis. Wie im Rest der Region finden sich hier kaum grosse Gehöfte mit mechanisierter Landwirtschaft, und schon gar nicht Industriezonen.
Noch kein Rückzug der Gandhi-Familie
Amethi zeigt, wie sehr die Gandhis Gefangene ihres feudalen Besitzanspruchs waren. Die Bewohner hatten für sie zu stimmen, als sei es eine Ehre – nicht um Ansprüche an ihren Parlamentsvertreter zu stellen. Genauso, so hört man es seit Jahrzehnten von jeder BJP-Rednertribüne, behandelte die Dynastie Indien als ihre Stammlande.
Deshalb werden die Forderungen nun zweifellos immer drängender, dass die Familie ins Glied zurücktreten muss. Dies dürfte allerdings noch eine Weile dauern, denn Rahuls Mutter Sonia Gandhi gewann ihren Sitz – das einzige Mandat der Kongresspartei in Indiens grösster Provinz. Auch Rahuls Schwester Priyanka konnte, im letzten Moment mobilisiert, nur wenig Wirkung erzielen. Im Gegenteil, mit ihrem Einsatz spaltete sie das Stimmpotential der Opposition noch mehr.
Nicht-Hindus als Bürger zweiter Klasse?
Doch der Kongress ist nun nur noch ein Nebenschauplatz. Zentral ist die Frage, was Narendra Modi mit seiner Machtfülle anstellen wird. Wird er weiterhin Indiens Divider-in-Chief sein, wie ihn «Time»-Magazine kürzlich betitelte? Wird er Indiens Hindu-Mehrheit weiterhin politisch konsolidieren, sodass die Minderheiten am Ende nur noch als Bürger zweiter Klasse geduldet werden müssen?
Wird er sich nun als demokratisch gewählter Cäsar gerieren – wenn nicht mit Lorbeer bekränzt, dann (wir sind in Indien) mit einem Heiligenmäntelchen? Vorige Woche führte er es vor, vor einer Himalaya-Kulisse. Behangen mit einer schweren königlichen Robe wandelte er im Pilgerort Kedarnath über einen Roten Teppich, der ihn in eine Meditationskaverne führte. Dann liess er sich vor deren Eingang ablichten, sitzend und im roten Umhang, meditierend und auf sein Land hinunterschauend, das ihm nun zu Füssen liegt.