In den vorbereitenden Beratungen auf die bevorstehenden internationalen Konferenz in Montreux und Genf hat der syrische Aussenminister seinen russischen Kollegen in Moskau getroffen. Sie gaben gemeinsam bekannt, dass Syrien lokale Waffenstillstände vorzuschlagen gedenke. Wie hat man sich diese vorzustellen?
Angesichts derartiger Projekte ist es von Interesse, sich daran zu erinnern, dass es solche Waffenstillstände bereits gibt.
Hunger
In dem Vorort von Damaskus, Muadhdhamiya, ist am vergangenen 19. Oktober ein Waffenstillstand zustande gekommen, nachdem die Stadt über ein Jahr lang umzingelt war und die syrischen Truppen alle Nahrungszufuhr abgeschnitten hatten. Die Bewohner litten Hunger, zwölf von ihnen sollen Hungers gestorben sein. Andere Bewohner seien gestorben, weil ihnen die Medikamente fehlten, die ebenfalls nicht eingelassen wurden.
Schliesslich stimmten die Einwohner und die Bewaffneten einem Waffenstillstand zu, der es erlaubte, den Belagerungsring zu sprengen. So konnte ein Teil der Bevölkerung evakuiert werden. Etwa 1‘600 Personen verliessen den Ort in zwei Wellen, allerdings nur Frauen, Kinder und Männer über 60 Jahre alt. In Friedenzeiten wohnten dort gegen 60‘000 Menschen. Als erneut, zum dritten Mal Menschen evakuiert werden sollten, wurden sie beschossen und mussten in die belagerte Stadt umkehren. Welche Seite schoss, ist umstritten.
Einige Nahrungsmittel wurden in die Stadt hereingelassen. Auch Hilfsorganisationen wurde der Zugang nicht verwehrt. Doch Nahrung scheint nur in beschränktem Masse in die Stadt gelangt zu sein.
Die Fahne des Regimes gehisst, um nicht zu verhungern
Doch nun hat ein Aktivist, der unter dem Decknamen Qusair Zakaria auftritt, über Skype weitere Einzelheiten bekannt gegeben, wie es zu dem Waffenstillstand kam und in welcher Form er verwirklicht wurde. Zakaria ist schon aus früheren Kontakten bekannt. Er ist die einzige Informationsquelle. Seine Angaben sind im Detail nicht überprüfbar. Doch sie können schwerlich als Propaganda abgetan werden, schon deshalb nicht, weil sie den "Waffenstillstand" als eine weitgehende Kapitulation schildern.
Zakaria erklärt, er sei an der Ausarbeitung des Waffenstillstandes beteiligt gewesen. Er sagt, er selbst gehöre dem Verwaltungsrat von Muadhamiya an. Die hungernden Bewohner seien gezwungen worden, auf den Waffenstillstand einzugehen. "Wir haben zugestimmt, gepanzerte Fahrzeuge und schwere Waffen zu übergeben, die wir in Kämpfen erobert hatten. Alles um zu essen. Wir haben die Fahne des Regimes gehisst, auf dem höchsten Gebäude des Ortes, dem Wasserturm im Zentrum. Dafür haben wir einen Waffenstillstand erhalten, eine gemischte lokale Regierung und etwas Nahrungsmittel, genug für eine Mahlzeit pro Person."
Nur noch wenige „gute Leute“ in Syrien
"Doch nun kommen weitere Forderungen. Wir sollen unsere leichten Waffen abgeben und überall die Flaggen der Regierung hissen. Die Regierung will, dass wir ihr "Sicherheitsinformationen" über die Kämpfer und über andere Personen in der Stadt geben. Die Regierung will auch einen "Kommunikationsoffizier" entsenden, der die lokale Verwaltung übernehmen soll. Wir sind damit einverstanden - vorläufig, solange sie uns nicht umbringen". - "Wir brauchen Ordnung, nicht das Chaos eines Spielplatzes für alle Weltmächte, um unsern Ort wieder aufzubauen". Zakaria meinte auch, es gebe nur noch wenige "gute Leute" in Syrien, und diese schwebten in grosser Gefahr. "Doch wir werden zurückkommen..."
Vergleichbare Waffenstillstände werden zurzeit auch in anderen umzingelten und vergessenen Teilen der Ghuta von Damaskus ausgehandelt. Jener von Barzeh schien schon abgeschlossen zu sein, doch dann begannen neue Schiessereien. Dafür machten beide Seiten die andere verantwortlich. Die Belagerten erklärten, Heckenschützen der Regierung hätten das Feuer eröffnet. Die Regierung behauptet, "Terroristen" wollten den Waffenstillstand untergraben. Verhandlungen gab es auch in Beit Sahem und um das Palästinenserlager von Yarmouk.
Rückkehr der Geheimdienste
Diese Waffenstillstände werden zwischen der Regierung und den ausgehungerten belagerten Ortschaften ausgehandelt. Es gibt keine dritte Instanz, die garantieren könnte, dass die festgelegten Bedingungen eingehalten werden. Für die Regierung ist das logisch. Sie sieht die Aufständischen samt und sonders als "Terroristen". Wenn sie zum Schweigen gebracht werden, kehrt für die Regierung die Normalität zurück. Zu dieser Normalität gehört für sie offensichtlich auch, dass die Geheimdienste in die Orte zurückkehren und ihre durch den Aufstand abgebrochene Tätigkeit "normal" fortsetzen.
Es ist zu erwarten, dass die angekündigten Waffenstillstandsvorschläge der Regierung Asad ähnlicher Natur sein werden. Ziel ist: Waffenruhe und Rückkehr zur Normalität. Wobei die Normalität in Syrien seit über 60 Jahren durch die Herrschaft der "Sicherheitskräfte", genauer der 15 im Lande wirkenden Geheimdienste, bestimmt ist. Auch für die geteilte Stadt Aleppo scheinen derartige Pläne zu bestehen.
Auf der andern Seite müssen die USA und die „Freunde Syriens“ Wege finden, damit Waffenstillstandsabkommen auch wirklich von unabhängiger Seite kontrolliert werden können. Vor allem müssen sie verhindern, dass solche Abkommen nicht einfach nur Asad den Weg ebnen, damit er seine alten Machtstrukturen wieder aufbauen kann.