Der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan, der in Charkiw lebt, hat in der «Zeit» auf den Appell deutscher Intellektueller zu sofortigen Waffenstillstandsverhandlungen mit Putin mit bitter-empörten Argumenten reagiert. Sein Standpunkt wird auch von einem Gutachten deutscher Friedensforschungsinstitute gestützt.
Der 47-jährige Serhij Zhadan ist heute der wohl bekannteste Autor in der Ukraine. Er lebt und arbeitet in Charkiw, der zweitgrössten Stadt des Landes, die nur rund 50 Kilometer von der russischen Grenze entfernt ist und die sich trotz wiederholten schweren Angriffen erfolgreich gegen eine Besetzung durch Putins Truppen gewehrt hat. Als Sänger der Rock Band «Sabaki w Kosmosje» (Hunde im Kosmos) tritt er öfter bei ukrainischen Armee-Einheiten auf. In diesem Herbst soll Zhadan mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet werden.
Jetzt hat Zhadan in der Wochenzeitung «Die Zeit» eine bittere Antwort auf einen neuen Offenen Brief mit dem Titel «Waffenstillstand jetzt!» von 26 deutschen Intellektuellen publiziert. Dieser Brief war eine Woche zuvor in der gleichen Zeitung veröffentlicht worden war. Zu den Unterzeichnern gehören der Publizist Jakob Augstein, der Filmer Alexander Kluge, der Philosoph Richard D. Precht, der Soziologieprofessor Harald Welzer und die Schriftstellerin Juli Zeh.
«Die Russen wollen nicht mit uns verhandeln»
Zhadan schreibt, die deutschen Briefverfasser verkündeten zwar, bei den angestrebten Verhandlungen dürfe es keinen «Diktatfrieden Putins» geben. Doch es sei zynisch, jetzt gleichzeitig von der Ukraine und Russland Verhandlungen zu fordern. «Wir können unseren Widerstand nicht aufgeben, weil wir sonst vernichtet werden. Wir müssen vom Westen Waffen fordern, weil wir sonst vernichtet werden.» Und darin liege «der grösste Trugschluss» der deutschen Briefverfasser: «Die Russen wollen nicht mit uns verhandeln, sie wollen uns (als Ukrainer) vernichten.» «Wenn die Ukraine verliert, gehen die Opfer nicht in die Tausende, sondern in die Hunderttausende.»
Die Verfasser des offenen Briefes hatten argumentiert, die westlichen Länder, die die Ukraine unterstützten, müssten sich fragen, welches Ziel sie genau verfolgen und ob (und wie lange) Waffenlieferungen weiterhin der richtige Weg seien. Der Westen müsse sich zwar «Russlands Aggression in der Ukraine und weiteren revanchistischen Ansprüchen geeint entgegenstellen». Aber, so betonen die Briefunterzeichner, «je länger der Krieg andauert, desto mehr internationaler Druck ist erforderlich, um zur Verhandlungsbereitschaft beider Seiten zurückzufinden».
Das mag zwar auf den ersten Blick einigermassen vernünftig klingen. Doch die besorgten Intellektuellen weichen der entscheidenden Frage aus, durch welchen Druck denn der Kriegstreiber Putin zu glaubwürdigen Waffenstillstandsverhandlungen mit der Ukraine bewegt werden könnte. Dass diese Bereitschaft im Kreml schwerlich gefördert würde, wenn von westlicher Seite gemäss der Vorstellung der deutschen Waffenstillstands-Propheten ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt signalisiert würde, man überlege sich, die Waffenlieferungen an die Ukraine herunterzuschrauben.
Wie man Putin zu ernsthaften Verhandlungen bringt
Dieser Argumentation widerspricht interessanterweise ein vor kurzem publiziertes Gutachten der grossen Institute für Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. Auch in diesem 150-seitigen Papier wird zwar die Wünschbarkeit einer Verhandlungslösung zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine unterstrichen. Doch anders als im Brief der friedensbewegten Intellektuellen heisst es in dieser Denkschrift wörtlich: «Zu substantiellen Verhandlungen wird Putin erst dann bereit sein, wenn er einsieht, dass er durch Diplomatie mehr erreichen kann als durch Krieg». Deshalb, müsse der Westen dafür sorgen, dass sich die Kosten und der Druck des Krieges für Russland weiter erhöhten – auch durch verschärfte Sanktionen und durch Waffenlieferungen an die Ukraine.
Wie heisst es schon bei Cicero: «Wenn Du Frieden willst, rüste zum Krieg». Der ukrainische Schriftsteller und diesjährige Frankfurter Friedenspreisträger Serhij Zhadan, der gut Deutsch spricht, darf sich freuen, dass selbst deutsche Friedensforscher mit seinem Appell für mehr Waffennachschub aus dem Westen übereinstimmen.